Think big! Nach Jahren intensiver Suche, ist es der Neuen Sammlung – The International Design Museum Munich – im Jahr 2009 gelungen, das wohl außergewöhnlichste Art Déco Radio in ihre beeindruckende Kollektion von Objekten des internationalen Industrie-Designs aufzunehmen. Der Sparton „Nocturne“, im Jahr 1934 von einem der bedeutendsten US-amerikanischen Designer von Konsumgütern, Walter Dorwin Teague, entworfen, ist wohl der meist gesuchte historische Radioempfänger und einer der Höhepunkte des amerikanischen Art Déco. Schätzungen gehen davon aus, dass noch ca. 10 – 15 Stück von dem 115,6 cm hohen und mit Spiegelsegmenten verkleidetem Gerät weltweit existieren. Die Neuerwerbung des Museums hat nach zwei Stationen, der ersten auf Long Island, wo der Erstbesitzer in den 1930er Jahren eigens eine Nische für seinen „Nocturne“ in sein Anwesen bauen ließ, und der zweiten in Chicago, nun einen dauerhaften Platz gefunden. In Kürze wird diese Seltenheit zusammen mit den kleineren Modellen der Spiegel Baureihe, dem ebenfalls kreisrunden Modell 506 „Bluebird“ und dem rechteckigen Modell 558, in der permanenten Ausstellung der Neuen Sammlung zu bewundern sein.
Der Designer – Walter Dorwin Teague
Walter Dorwin Teague wurde am 18. Dezember 1883 in Decatur, Indiana, geboren. Er zählt zu den maßgeblichen Pionieren, die das Industrial Designs in den Staaten als Beruf populär machten und etablierten. Nach vier Jahren Studiums an der Art Students League in New York (1903 – 07) und weiteren vier Jahren als Mitarbeiter einer Werbeagentur, schlug Teague den Weg eines erfolgreichen freiberuflichen Werbegestalters ein. Während eines Europa Aufenthalts im Jahr 1926 entdeckte er die Arbeiten von Le Corbusier und beschloss, Produkte zu gestalten. Da auch seine Kunden ihn zunehmend mit Fragen des Produktdesigns konsultierten, gründete er 1926 ein ausschließlich dem Industriedesign gewidmetes Büro, das seinen Namen trug und sich um Produkte, Ausstellungen, Einrichtungen und dem Erscheinungsbild von Unternehmen (corporate identity) kümmerte, vergleichbar mit den Aufgaben von Peter Behrens bei der AEG zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts. Mit dem stromlinienförmigen Redesign zweier Fotoapparate der Eastman Kodak Company bekam Teague 1927 die Gelegenheit sich zu profilieren und selbst vom Bekanntheitsgrad des Industrie-Unternehmens zu profitieren; seine – für beide Seiten erfolgreiche – Geschäftsbeziehung zu Kodak sollte 30 Jahre währen. Bald folgten namhafte Kunden wie Ford, Texaco, Boing, Montgomery Ward und Shaeffer Pen.
Teagues Design war sehr an formalen Werten orientiert. Bei seiner Suche nach dem perfekten Verhältnis der Formen folgte er dem Vorbild Le Corbusiers und schuf eine neue geometrische Ästhetik. Er sah das Design des Maschinen Zeitalters mit der klassischen griechischen Kunst verwandt und benutzte Grundelemente der euklidischen Geometrie.
Die Spiegel Radios, die Teague für die Firma Sparton zwischen 1934 und 1936 entwarf, zählen zu seinen spektakulärsten Entwürfen.
Am 5. Dezember 1960 verstarb Walter Dorwin Teague in Flemington, New Jersey, im Alter von 77 Jahren.
Die Firma – Sparton
Im Jahr 1900 gründeten die Brüder Philip H. und Winthrop Withington in Jackson, Michigan, eine Firma, die mit 15 Mitarbeitern kleine Metallteile für Farmwerkzeuge und die ersten Automobile fertigte. Schon bald nach der Gründung trat Captain William Sparks in das Unternehmen ein, das zunächst unter dem Namen Sparks-Withington Company firmierte. Später verschmolz man die Namen der Eigentümer, Sparks und Withington, zum Firmennamen Sparton.
Im Jahr 1926 brachte Sparton ein erstes Batterie betriebenes Radio auf den Markt, dem noch weitere Modelle in den ausgehenden 1920er Jahren folgen sollten. Anfang der 1930er Jahre produzierte Sparton die üblichen, damals populären, Kathedral Modelle und mit Ornamenten überladene Konsolen Radios.
1935 komplettierte Sparton das eher traditionell ausgerichtetes Angebot mit vier avantgardistischen Spiegelradios, darunter der „Nocturne”. Während andere Designer mit neuen Verformungstechniken Holzgehäuse auf die zeitgemäße Stromlinienförmigkeit des Art Déco trimmen wollten, andere mit den noch jungen Werkstoffen der Kunststoffindustrie (z.B. Bakelit, Catalin) neuartige Formen schufen, wählte der von Sparton mit der Aktualisierung des Angebots beauftragte Teague Chrom und Glas für diese Aufgabe. Für eine Stilrichtung, die Natürlichkeit ausschloß und die die kühle Anmut der industriellen Welt verbreiten sollte, waren dies die idealen Medien. Allerdings überforderte diese an sich nahe liegende Materialwahl in Teagues dynamischen Schöpfungen, im Nachhinein gesehen, weite Teile des Kaufpublikum in Zeiten der wirtschaftlichen Depression. Besonders die runden Formen des „Bluebird“ (die konzentrischen Kreise sollten symbolisch die Ausbreitung der Radiowellen darstellen) und des „Nocturne“ erschienen revolutionär für einfache Gebrauchsgegenstände. Statt wie seine Kollegen an einem neuen, formvollendeten Gehäusedesign zu arbeiten, wählte er lediglich eine großartige Verkleidung für einen einfachen Gehäusekasten, die so faszinierend war, das nur wenige den Drang verspürten hinter die „Kulissen“ zu sehen.
Wie in der gesamten amerikanischen Industrie, erlitt auch die Konsumgüter Produktion der Firma Sparton eine Zäsur durch den Zweiten Weltkrieg. Die Einführung eines Fernsehers im Jahr 1939 war das letzte technische Großereignis vor der Umstellung auf die Produktion kriegsrelevanter Güter. Nach dem Krieg nahm Sparton die Herstellung von Konsumgütern wieder auf. Die Firma existiert noch heute (www.sparton.com) und produziert industrielle und militärische Elektronik.
Der Radioempfänger – „Nocturne“
Ästhetisch Musik hören! Und wie sollte dies besser gelingen, wenn nicht durch eine Front aus Spiegel und Chrom, die die unattraktiven technischen Notwendigkeiten kaschiert. Die Spiegelserie der Firma Sparton entstand im Zenith des Art Déco, das die USA erst mit einigen Jahren Verspätung zu Beginn der 1930er Jahre von Europa aus erreichte und allem, von der Architektur bis hin zum kleinsten Gebrauchsgegenstand, seine Gestaltungsmerkmale aufzwang. Farbige Spiegel waren beliebtes Gestaltungselement der europäischen Art Déco Designer. In England wurden Spiegelrahmen aus verschieden farbigen Spiegeln angeboten, französische Leuchtenfirmen wie „Petitot“ benutzten farbige, meist blaue oder rosefarbene Gläser, zur Veredelung ihrer Produkte. Sparton produzierte die Radios der Spiegelserie in blauen, pfirischfarbenen oder grünen Spiegeln. Am häufigsten verkauften sich die blauen Geräte, da sie dem Geschmack der Zeit am Besten entsprachen. Aus diesem Grund sind diese heute etwas leichter zu finden als die der anderen Farben.
Der zur Jahreswende 1935/36 für 350 $ angebotene „Nocturne” zählte nicht zu den typischen Radiogeräten, die Mittelschicht Familien damals erwarben. Vielmehr war er entworfen worden, um das Entrée nobler Hotels zu veredeln oder in Villen von Millionären zu glänzen. Mit dieser Absicht beschrieb Sparton den „Nocturne” in Anzeigenkampagnen als „gewagtes und großartiges Ensemble aus Glas und Metall…. Eine Kreisfläche aus mitternachtsblauen Tufflex Spiegel ruht in einer seidenglänzend verchromten Halterung…. Das verchromte Gitter verbirgt als schöne Kulisse geschickt den Empfänger.“ Das Chrom als Oberflächenveredelung der Metallteile war nicht hochglänzend ausgeführt, sondern als so genanntes „satin chrome“, was man heute als gebürstetes Chrom bezeichnen würde.
Der „Nocturne” ist die perfekte Kombination aus dem blauen Spiegel und dem präzisen Metallbogen. Eine riesige runde Spiegelscheibe allein würde noch nicht das Prädikat Ausnahme Design verdienen. Es ist die Anordnung der vier einzelnen Spiegelsegmente, die von dem Metallbogen und weiteren Rahmenelementen fixiert, das Kreisrund bilden und mit den metallischen Bestandteilen kontrastieren. Die Skala sowie die Bedienknöpfe sind symmetrisch in dem Gitter aus geraden Linien angeordnet, der Lautsprecher verbirgt sich im unteren Teil hinter einem identischen Raster. Die Funktion des großen, hinteren zentralen Drehknopfes ist die Justierung der Frequenz, sein kleinerer, vorne überlagerter dient dem Feintuning. Als „push-pull“ Ein-/Ausschalter sowie Lautstärke-Drehregler funktioniert einer der äußeren vier Drehknöpfe, die anderen drei sind für Klang, Frequenzwahl und Bandbreite zuständig.
Teague gestaltete dieses Radio als monumentale, überproportionale Fassade, die in keinem „vernünftigen“ Größenverhältnis zum eigentlichen technischen Inhalt, dem Empfänger und dem 12 Zoll großen Lautsprecher, stand. Die Skala ist abgesehen von den beiden Erdkugeln unprätentiös gehalten, mehr einem wissenschaftlich-technischen Messinstrument der Zeit gleichend als einem Luxus Konsumgut würdig. Als Hilfsmittel zum optimalen Einstellen der Sendestationen fungierte das grün leuchtende, „Viso-Glo “ genannte, magische Auge, verborgen hinter einer ebenfalls kreisrunden verchromten Abdeckung oberhalb der Skala. Die Maße des Giganten betragen 115,6 cm Höhe, 110,5 cm Breite und 39,4 cm Tiefe.
Die erste Serie von Spiegelradios bestand aus insgesamt vier Modellen: den beiden kreisförmigen „Nocturne model 1186“ und dem kleineren „Bluebird model 566“ sowie den beiden rechteckigen „Sled model 557“ bzw. „Sled model 558“. Eine der Markteinführung vorausgehende Anzeigenkampagne zeigte vier abgedeckte Objekte und die Überschrift „The Style Sensation of the radio world is under these covers”. Am 18. September 1935 wurden als Erste der „Nocturne” und der “Bluebird” für das Modelljahr 1936 enthüllt, als Designjahr des „Nocturne“ wird 1934 angegeben. Es folgten der “Sled 557” im Modelljahr 1937 und der “Sled 558” als Luxusersatz des ersteren im Modelljahr 1938. Hinter den Modellnummern verbirgt sich folgende Systematik: die letzte Ziffer des Modells ist jeweils die letzte Ziffer des Erscheinungsjahrs, „1186“ und „566“ im Jahr 1936, „557“ in 1937 und „558“ in 1938. Bei 3-stelligen Modellnummern gibt die erste Ziffer die Anzahl der verwendeten Röhren an, bei 4-stelligen sind es die ersten beiden. Der „Nocturne“ arbeitet mit 11 Röhren.
Keines der vier Spiegelradios wurde ein Verkaufsschlager für Sparton. Lagen der „Sled“ und der „Bluebird“ mit etwa 40-45 $ schon außerhalb des üblichen Preisgefüges, entsprachen die 350 $ des „Nocturne“ dem Preis eines Autos. Dieser, bereits für damalige Verhältnisse exorbitante Preis, der die Verkaufszahlen des „Nocturne” limitierte, zusammen mit der Zerbrechlichkeit, der im Laufe der Jahre immer wieder einige der ohnehin wenigen Exemplare zum Opfer fielen, hat sich inzwischen auf bis über 100.000 US Dollar vervielfältigt, abhängig vom Zustand. Die Relation zum Autopreis ist damit wieder hergestellt.