Veröffentlichungen

„Le mobilier industriel“ – Industriemöbel 1. Teil

Mit „Le mobilier industriel“ setzt Brigitte Durieux ihre Publikationen zum Thema Industrie-Design fort, die sie mit dem Buch über die Eisenmöbel der Firma Tolix („Inoxydable Tolix“, Brigitte Durieux, Editions de La Martinière, Paris, 2007) begonnen hat (das Sammler Journal berichtete im Heft 05/2008 darüber). Die Geschichte der Eisenmöbel beginnt bereits im 18. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung Europas. Von der Schmiede in die Wohnung – mit den hygienischen Erkenntnissen der modernen Medizin ging auch die Bevorzugung leicht zu reinigender Stahlmöbel einher, von den Hospitälern bis in die königlichen Kinderzimmer. Eisenmöbel und -konstruktionen fanden aber auch Eingang in die wohl gestalteten Gärten des Adels, zum Beispiel in Form der imposanten Glorietten aus Gusseisen. Die von Hector Guimard gestalteten Eingänge zur Pariser Metro sind eines der dekorativen Beispiele des Gusseisens. Das Buch vollzieht den Wandel der Objekte vom funktionalen Hilfsmittel des Arbeitslebens der 1. Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts zum heute begehrten „Stilmittel“ individueller Interieurs nach. Konzipiert für ein langes und strapaziöses Arbeitsleben in Werkstatt oder Büro, zeichnen sie sich durch eine robuste Bauweise und hohe Verarbeitungsqualität aus.

Arbeit im Umbruch!

Mit dem Umzug der Konsumgüterproduktion vom kleinen Handwerksbetrieb in riesige Fabriken im Rahmen der industriellen Revolution, fanden neben den eigentlichen Maschinen und Werkzeugen auch „eiserne“ Hilfsmittel ihren Platz in den Fabriken. Die nun strukturierten arbeitsteiligen Herstellungsprozesse führten zur Notwendigkeit die Ausgangsmaterialien und Endprodukte zu bevorraten, zu lagern und innerhalb der Produktionsstätte zu transportieren: Schließfächer, Kästen, Schütten, Regale, Metallschränke, Wägen und auf Schienen montierte Wagons charakterisierten die neuen Arbeitsplätze. Die kleineren Teile unter diesen finden heute wieder Verwendung als „storage“ Elemente. Dekorative Accessoires heutiger Interieurs sind auch alte Fabrikuhren, die ursprünglichen Taktgeber der schönen neuen Industriewelt und schlichte Eisenhocker, auf denen die Arbeiter vor ihren Werkbänken schwitzen. Anfang des 20. Jahrhunderts, im Zuge der von den Gewerkschaften erkämpften Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie der Sicherheit am Arbeitsplatz, wurden auch Garderoben, Spinde, Waschbecken sowie Tische und Stühle in den Kantinen der Fabriken installiert.

Während in den produzierenden Betrieben die eigene Möblierung teils als Nebenprodukt ab fiel, lehnte sich der tertiäre Bereich, Büros und Handel, bei der Gestaltung seiner Arbeitsräume zunächst bei den Ausstattungen im privaten Wohnbereich an. Die Beschleunigung der Geschäftsprozesse beendet jedoch schnell den angestaubten, bourgeoisen Komfort. Die antiken Tempeln ähnelnden Hallen von Kaufhäusern, Bahnhofshallen große Büros von Versicherungen, neue Abteilungen in der Industrie mit Büros für Studien-, Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, erforderten neue Standards. Daraus resultierten enorme Bedürfnisse der Verwaltung, Organisation und Klassifizierung. Der Bedarf an Mobiliar aus schwer brennbaren Materialien, auf Grund der großen Feuergefahr zur damaligen Zeit, lässt ab 1910 neue Firmen, spezialisiert auf Entwurf, Herstellung und Vertrieb von Metallmöbeln, entstehen. Daneben fordert die adäquate Beleuchtung der Arbeitsplätze, sowohl des Maschinisten an seiner Drehbank als auch der Schreibkraft im Büro, die Kreativität der Designer. Ab den 1920er Jahren erfüllen mehrarmige, verstellbare Klemm- und Schreibtischleuchten vielfache Anforderungen.

Pioniere der Metallprodukte

Im 19. Jahrhundert erweiterten viele der traditionellen französischen Schmiede ihre Fähigkeiten auf die Herstellung von Metallarbeiten, Weißblechwaren, Schlossereiprodukten und Artikeln aus Blech. Diese Kleinunternehmen des Kunsthandwerks fertigten schmiedeeiserne Tore für Kapellen oder Gewölbe, eiserne Hähne, Kreuze, gusseiserne Jardinieren (Blumenkästen), emaillierte Platten sowie Gebrauchsgegenstände für Keller und Garten. Damit formierte sich eine breite handwerkliche Basis zur späteren Produktion der Metallmöbel, neue Berufe wie der Metalldrücker oder der Gürtler entstanden, die heute schon wieder fast verschwunden sind. Um die Produkte kostengünstig in hohen Stückzahlen produzieren zu können, ersetzten im nächsten Schritt riesige Maschinen, wo immer möglich, die Handarbeit.

Dass man sich neben der Produktion auch mit der Gestaltung und Funktion auseinander setzen musste, zeigt ein bereits im Jahr 1889 eingereichtes Patent für einen klappbaren Bistrostuhl. Oder die Brüder Frank und Harry Nelson, die durch ihr Wissen im Umgang mit Stahl und Holz zum Entwurf des Stuhlmodells „Bienaise“ inspiriert wurden. Mit Federkraft stabilisierte im Jahr 1933 George Carwardine den Schreibtischleuchten-Klassiker „Anglepoise“. Oft bleiben aber die findigen Gestalter so verbreiteter Objekte wie der Mazda Leuchte, der Stahlrohr Möbel Marke „Cycles Peugeot“ oder der beliebten französischen Garderobenständer anonym. Die Erfindungen sprechen allerdings für ihre Urheber, häufig Ingenieure oder Autodidakten, die ein gemeinsames Kennzeichen vereint: die Materialkenntnis, die zum perfekten Verarbeiten des Metalls notwendig ist und die damals noch vorhandene Aufmerksamkeit für das Detail.

Industrie Stil?

Die bekanntesten Epochen der Gestaltung werden in bestimmte Zeitabschnitte unterteilt und unter den Begriffen Biedermeier, Jugendstil oder Art Déco zusammen gefasst! Aber der Industrie Stil? Zeitlich könnte man ihn mit der Industrialisierung beginnen lassen, für Brigitte Durieux schlägt seine Geburtsstunde im Jahr 1851, als Sir Joseph Paxton für die erste Weltausstellung in London den Kristallpalast, überwiegend aus Stahl und Glas bestehend, entwarf. Ihm folgte 1889 der Eiffelturm in Paris als weiteres Monument des Industrie-Zeitalters. Das charakteristische Merkmal aller Produkte der letzten 160 Jahre, die sich dem Oberbegriff Industrie Stil zuordnen lassen, ist die Funktionalität unter weitgehendem Verzicht des Ornaments. Stühle sind stapelbar, Leuchten verstellbar, der Materialeinsatz wird aufs Notwendige beschränkt. Ihr Charme wird definiert von leuchtendem Metall, der Patina teils abgeplatzter, stumpfer Lackoberflächen und nicht zuletzt von Beulen oder Druckstellen, den Schicksalsschlägen eines langen Arbeitslebens. Als Konsequenz des Diktats der Funktionalität und auch aus Kostengründen, verdrängte zu Beginn des 20. Jahrhunderts Metall das Holz als Werkstoff, das wiederum ab den 1950er Jahren großflächig durch moderne Kunststoffe ersetzt wurde.

Anfang des 20. Jahrhunderts forcierte die Einführung neuer mechanischer Büromedien wie der Schreibmaschine, dem Kohlepapier und den Karteikarten, zusammen mit der zunehmenden Einbindung des Taylor Systems auch bei der Büroarbeit, die Arbeitsrhythmen. [Das Taylor System (Frederick Windsor Taylor; 1856 – 1915) erzielte im produzierenden Gewerbe hohe Produktivitätsgewinne durch die Zerstückelung der Arbeitsprozesse und wissenschaftliche Neuzusammenstellung der einzelnen Arbeitsschritte. Erstes Beispiel extremer Arbeitsteilung waren die Fließbänder der Automobilfertigung bei Ford in den 1920er Jahren.] Organisatorische Veränderungen in den Verwaltungen, besonders die sogenannte Büroreform in den 1920er und 1930er Jahren mit der daraus resultierenden Stärkung des Registraturwesens, schufen Bedarf an neuen Hilfsmitteln zum systematischen Ablegen der Dokumente. All diese radikalen Umbrüche führten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu zahlreichen Firmengründungen, die mit neuartigen Produkten den Bedarf in Büro und Werkstatt deckten. In Frankreich fühlte sich der Hersteller der Pirouett Schreibtischleuchte auf dem Gipfel des Fortschritts angekommen, was er auch in einer Annonce kund tat.

Seit den 1980er Jahren verlassen die Industrie Stil Objekte Fabrikhallen und Büros und erobern den privaten Lebensraum: Werkstattleuchten über Küchentischen, Bürostühle an rohen Werkbänken im Esszimmer, Spinde im Schlafzimmer, der kreativen Umwidmung scheinen keine Grenzen gesetzt.

Sitzen

Die industrielle Revolution platzierte den Stuhl sowohl auf den Boden der Fabrikhallen als auch auf den Bürgersteig der Straße und den Rasen der Gärten. Um den Bedürfnissen der wachsenden Freizeit- und Industrie-Gesellschaft zu genügen, entstand im Laufe der Jahre ein vielfältiges Spektrum an Stühlen, Sesseln und Hockern. Konnte das Holz zunächst noch in den Wohnungen seinen angestammten Platz behaupten, so erschienen die ersten Metallstühle in der Arbeitswelt und auf Plätzen sowie in Gärten als kollektive Bestuhlung erholungsbedürftiger Massen.

Der Artikel R 4225-5 des französischen Arbeitsgesetzes besagt: „Eine geeignete Sitzmöglichkeit ist jedem Arbeitnehmer an seinem Platz oder in der Nähe zur Verfügung zu stellen!“ Dies war nicht immer so. Produktivität war vorrangig an den Fließbändern, so dass es anfangs weder Zeit noch Platz zum Sitzen gab. Erst nach und nach setzte sich der Sitz durch, zunächst ab den 1920er Jahren als Hocker (frz. tabouret). Er wurde entweder als Kombination eines Stahlgestells und einer hölzernen Sitzfläche (z.B. beim Textilunternehmen Singer) oder komplett aus Stahl (Tolix, Nicolle) eingesetzt. Er war entweder über eine Gewindestange höhenverstellbar oder wurde in verschiedenen festen Höhen produziert. 3-beinige Hocker wurden zur besseren Standfestigkeit rasch durch 4-beinige ersetzt.

Im Jahr 1825 entwarf der Architekt Karl Friedrich Schinkel einen Stuhl aus Gusseisen für die Gärten des preußischen Hofs. 1889 bekam Édouard Leclerc das Patent „Simplex“ für einen klappbaren Bistrostuhl zugesprochen, ähnlich den bayerischen Biergartenstühlen, der mit zwei beweglichen seitlichen „X“-Konstruktionen formal dem Schinkel Gartenstuhl entsprach.

Wer heute den Jardin du Luxembourg in Paris besucht, freut sich auf die bequemen Stühle, die nach diesem Park benannt sind: La chaise du Luxembourg, der als Stuhl oder halber Liegestuhl mit stärker geneigter Rückenlehne zur Rast einlädt. Sie entstanden um das Jahr 1920, geschaffen von einem unbekannten Entwerfer in den Werkstätten der Stadt Paris. Zwischen 1920 und 1990 wurden sie von verschiedenen Herstellern produziert, seit 1990 von der Firma Fermob.

1922 reicht der aus Lyon stammende Ingenieur Joseph Mathieu das Patent für den ersten stapelbaren, industriell gefertigten Stuhl ein. 1928 wird er in Stuttgart bei der Ausstellung „Der Stuhl“ präsentiert. Ab 1929 wird das Modell von der Sociéte industrielle des meubles Multipl’s gefertigt. Auf den ersten Blick wird er leicht mit dem zur Zeit sehr populären Tolix Stuhlmodell „A“ verwechselt. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal sind seine konkaven Beine im Gegensatz zu den konvexen des Tolix Stuhls. Im Jahr 1935 werden die beiden schlanken seitlichen Stützen der Rückenlehne durch eine zentrale breite ersetzt. Achtung – von diesem Stuhl gibt es in Handarbeit gefertigte Kopien aus Indien.

Einige Jahre später, 1930, vereinte Xavier Pauchard Funktionalität und Ästhetik in seinem Chaise „A“, weitere Stühle, Sessel, Hocker und Tische folgten. Pauchard war ein Mann der Praxis, Handwerker ohne Ausbildung als Architekt oder Designer, aber mit einem guten Gespür für die Bedürfnisse des Marktes. Hergestellt wurden diese Modelle ab 1932 bei der Firma Tolix Steel Design in Autun, wo die Produktion nach einer längeren Pause im Jahr 2004 wieder aufgenommen wurde. 1935 werden Tolix Produkte Teil der Ausstattung des legendären Luxusliners „Normandie“ und ebenfalls 1937 der Weltausstellung in Paris.

An der Schwelle zu den 1930er Jahren drängen Stahlrohrmöbel auf den Markt. In Neuilly-sur-Seine, heute ein Vorort von Paris, erhält die Firma Tubor 1930 das Patent für einen stapelbaren Metallstuhl.

Verchromtes Stahlrohr mit hölzerner Sitzfläche und Rückenlehne sind die Bestandteile des modernen und bequemen Stuhls der Firma „Cycles Peugeot“, die ab 1935 die Produktion von Stahlrohrmöbeln, darunter auch Tischmodelle vergleichbar dem deutschen Mauser Schlaufentisch, startete.

Ein breites Spektrum an Modellen findet man im Bereich der Arbeitsstühle, die durch Höhenverstellbarkeit und Anpassung der Rückenlehne das stundenlange Sitzen der Arbeiter und Angestellten erleichtern. Ihrer strengen Geradlinigkeit wegen sind sie heute begehrte Objekte vieler Einrichter. Große Firmen, wie Singer, Erfinder der Nähmaschine, ließen für ihre Fabriken eigene Möbel entwerfen und bauen. 1910 begann das Programm mit dem Singer Hocker, 1924/25 folgte der Singer Stuhl. Nach fast 5 Jahrzehnten wurde die Produktion von Singer Arbeitsmöbeln 1959 eingestellt.

Die Entstehung weiterer Modelle wie des Klassikers „La chaise bienaise“ von Frank und Harry Nelson aus dem Jahr 1920, des Bürodrehstuhls „La chaise flambo“ von Henri Liber 1927 für die Firma Flambo (Produktionsende 1986) entworfen, oder der Hocker und Stühle der Modellreihe „Nicolle“ (seit 1933 produziert) wird von Brigitte Durieux rekonstruiert.

Arbeitsplätze

Le Corbusier stellte im Nachhinein fest, dass die Schreibmaschine zu einer Normierung der in Büros verwendeten Papiergrößen und damit zur Standardisierung von Ordnern und in deren Folge aller Möbel geführt hat. Durch die Industrialisierung verließen Tonnen von Papier die Druckpressen und Schreibmaschinen, die sortiert und archiviert werden mussten. In diesem organisatorischem Stadium folgte ziemlich schnell ein Trend zu mehr Produktivität des Archivierens und Wiederfindens, und mit ihm neue Möbelsysteme. Ihre Aufgabe: der schnelle Zugriff auf Information in Tausenden von Datensätzen, generiert durch die neuen wirtschaftlichen Aktivitäten. Karteikästen, Aktenschränke und Schreibtische mit entsprechenden Ablagen aus der Produktion der Firmen Strafor, Ronéo, Flambo oder Progressivement schufen Abhilfe und steigerten die Effektivität der Verwaltungen. Für diese Kilometer von Regalen und Bibliotheken warben die Hersteller mit zerleg- und wandelbaren, auf Wunsch vergrößerbaren Lösungen mit horizontalen Teilungen und Schubläden.

Messingplaketten mit der Aufschrift „Möbel und Regale aus Stahl – Strafor – elegant, praktisch, beständig“verweisen auf den Hersteller, die Firma Strafor (abgeleitet von Les Forges de Strasbourg). Die Marke Strafor wurde 1926 eingeführt, seit 1974 kooperiert sie mit der US-amerikanischen Steelcase Inc..

„Die Arbeit vereinfachen heißt Energie gewinnen!“ war der Wahlspruch der Manager der Firma Roneo. Der Purist Le Corbusier war ein großer Anhänger der Produkte der 1921 gegründeten Firma.Moderne Karteisysteme vereinfachten die Arbeit im Büro während der 1920er Jahre. Das Format standardisiert, angeordnet in offenen Kästen, ermöglichten Kartendateien die schnelle Beherrschung bis dahin ungeahnter Datenmengen. Die Karteisysteme der Firma Ronéo überzeugten durch ihre modulartigen Anordnungsmöglichkeiten und hervorragende Mechanik.

Der heutige Weltmarktführer Steelcase wurde 1912 als The Metal Office Furniture Companyin Michigan gegründet. 1914 erhielt sie ihr erstes Patent für einen metallenen Papierkorb, dessen Bedeutung zu Zeiten häufiger, schwerer Bürobrände nicht unterschätzt werden darf. Diese amerikanische Erfolgsstory setzte sich mit Metallschreibtischen fort, wie sie in Deutschland besonders die Firma Mauser/Waldeck bekannt gemacht hat. Mit Holz imitierenden Anstrichen versuchte Steelcase anfangs noch über die wahre Identität des Materials hinweg zu täuschen.

Leuchten

Neben dem Stuhl bestimmt die Beleuchtung das Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Bevor Gas und später Elektrizität künstliches Licht ermöglichten, orientierten sich die Konzeptionen für Fabrikhallen am bestmöglichen Einsatz von Tageslicht. Als Erste statteten die großen amerikanischen Automobilhersteller ihre Fabrikhallen mit elektrischem Licht aus. Die elektrischen Leuchtmittel wurden in riesige Kuppeln aus emaillierten Stahl eingebaut. Diese Reflektoren für Fabrikhallen, mit weiß glühenden Lampen, sind bis heute universelles Synonym für Industrie-Leuchten. Kreisrunde oder glockenförmige Reflektoren eroberten, auch wegen ihrer moderaten Kosten, ab dem Ende des 19. Jahrhunderts die Decken der Fabriken und Werkstätten.

Um die Lichtstrahlen optimal bündeln und in eine bestimmte Richtung lenken zu können, wird das Leuchtmittel in einen trichterförmigen Reflektor eingebaut. In den 1930 Jahren wurden Reflektoren aus 0,7mm dickem Blech mittels der alten Handwerkstechnik des Metall-Treibens erstellt. Neben dem Reflektor gibt es alternativ den Diffusor. Dieser hilft große Flächen gleichmäßig zu beleuchten und Schatten zu reduzieren. Der Diffusor besteht aus mattiertem Glas oder weißem Opalglas – wie bei den Mazda Leuchten – und sorgt für eine weiche, blendfreie, gleichmäßige Lichtverteilung. Ein Kombination aus Reflektor-Diffusor ermöglicht es die Lichtstrahlen sowohl in eine bestimmte Richtung zu konzentrieren als auch das unangenehm blendende Leuchtmittel zu kaschieren.

Als erste Diffusoren wurden einfache Opalglaskugeln verwendet. Der Bedarf an immer präziserer, ausgefeilter Beleuchtung führte im September 1893 zum Patent der Physiker Andre Blondel und Spiridion Psaroudaki, das einen Reflektor-Diffusor aus Pressglas mit parallelen oder kreuzförmig verlaufenden Prismen beschreibt. Ihre Erfindung nannten sie Holophane, zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern holos (ganz) und phanos (leuchtend), und erreichten damit eine helle, gleichmäßige Leuchtstärke. Die Gläser wurden in vielen Größen, Formen und Mustern gefertigt, jeweils optimiert für eine spezielle Anwendung. Frühe Holophane Gläser vor 1950 sind eines der schönsten Beispiele des Industriedesigns. 1896 erwarb der Amerikaner Otis A. Mygatt das Patent und produzierte Holophane Gläser in den USA, England und schließlich ab 1920 auch im Land der Erfinder, wo er im Städtchen Les Andelys bei Rouen riesige Fabrikhallen erbauen ließ.

Die ersten verstellbaren Leuchten finden sich an den Zeichenbrettern der Ingenieure, Architekten und Wissenschaftler wie auch an den Maschinen der Mechaniker. Entstanden sind sie aus dem Bedürfnis nach individuell einstellbaren Leuchten. Die Designer mussten das Problem leichter Verstellbarkeit bei ausreichender Stabilität in jeder Position lösen. Ohne große Erfahrung im Umgang mit Metall und Glas im Leuchtenbau, und mit teilweise neuartigen Kunststoffen wie Bakelit, erschienen teils riskante Kreationen auf dem Markt, die aber auch schnell wieder verschwanden. Ausgereifte Produkte wie die Buquet, die Anglepoise oder die Lampe Gras setzten sich schließlich mit dem Konzept beweglicher Arme durch.

Mit dem Patent vom 13. Oktober 1921 für Bernard-Albin Gras beginnt die Geschichte der Lampe Gras, einer einstellbaren Leuchte für industriellen Gebrauch. Bei Editions Ravel wird sie bis 1970 gefertigt und kann heute wieder als Re-Edition der Firma DCW erworben werden. In den ersten 50 Jahren ihrer ursprünglichen Produktion erfuhr sie nur geringfügigste Veränderungen, bedingt durch technische Neuerungen. Um allerdings allen denkbaren Situationen am Arbeitsplatz gerecht zu werden, listet bereits ein früher Katalog 23 Varianten des Leuchtenfußes mit 7 verschiedenen Reflektoren auf, die jeweils in 3 verschiedenen Oberflächen erhältlich waren: verchromt, vernickelt oder schwarz emailliert. Ab 1932 wird sie unter dem Namen RAVEL vertrieben.

Der Erfolg der Lampe Gras bewirkte zahlreiche Nachahmer wie die deutsche Kandem „Reissbrettlampe“ von 1924 oder die Midgard Leuchte 113 von 1926. In Frankreich konkurrierte mit ihr die Buquet Leuchte (Édouard Wilfrid Buquet) von 1927. Wegen ihrer sehr modernen Ästhetik und raffinierten Gleichgewichtstechnik wurde sie häufig auf Schreibtische in Thonet Katalogen dekoriert. Die konstruktive Besonderheit der 1- oder 2-armigen Leuchte ist das durch Drehen verstellbare Gegengewicht an einem Ende jedes Armes. Ist das Gegengewicht einmal entsprechend eingestellt, so ist es möglich die Leuchte in 360° um ihren Fuß an jeder Stelle stabil zu platzieren. Ihrer Eleganz wegen wurde sie vornehmlich in den Büros von Architekten wie Marcel Breuer oder Inneneinrichtern, bei Jacques-Émile Ruhlmann als Wandleuchtenmodell, gesehen.

Etwas verspätet, an den aerodynamischen Formen der 1930er Jahre orientiert, schuf 1945 André Mounique für die Firma Jumo die Schreibtischleuchte Bolide, die im offiziellen Jumo Katalog die Bezeichnung Lucidus – Bloc erhielt und entweder aus braunem Bakelit oder weißem Galalith gefertigt wurde. Nach der Bolide, inzwischen Kultobjekt des Plastikdesigns, stellte Jumo eine breite Palette an metallenen Schreibtischleuchten, verchromt oder lackiert, zusammen.

Ein technischer Quantensprung gelang 1951 dem Ingenieur Jean-Louis Domecq mit dem Modell Jielde. Mit seinen kabellosen Gelenken (Sans Fils) gelang ihm die Lösung eines Jahrzehnte alten Problems: durchgescheuerte oder abgetrennte Kabel an den beweglichen Teilen konnten lebensgefährlich sein. Sein Trick war es, an Stelle des bis zur Fassung durchgezogenen Kabels eine Art von „Schleifkontakten“ in die Gelenke einzubauen. Jede Halbschale eines Gelenkarms besitzt 2 metallische kreisrunde Bahnen, durch gewellte Kupferringe wird der elektrische Kontakt zur jeweils gegenüberliegende Halbschale des folgenden Gelenkarms hergestellt. Bis 1970 prangt eine metallische Plakette mit dem Namen Jielde auf jedem Leuchtenschirm, danach wird sie durch einen Papieraufkleber ersetzt. Die vielseitige Verstellbarkeit demonstrierte eine zeitgenössische Annonce eindrucksvoll.

Schon der britische Gestalter William Morris (1834 – 1896) postulierte: „Have nothing in your house which you do not know to be useful or believe to be beautiful!“ Die von Brigitte Durieux präsentierten Objekte erfüllen beide Kriterien. Aus Gründen der Nützlichkeit einst hergestellt, sind sie heute wegen ihrer – teils derben – Schönheit wieder „in“. Wenn dereinst die aktuell hoch bewerteten i-Produkte mit dem Apfellogo schon längst im Recyclingprozess von Elektroschrott in Einzelteile zerlegt sind, wird dieses klassische industrielle Mobiliar noch immer zu Diensten sein und durch seine unprätenziöse Authentizität seine Besitzer erfreuen.