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Das Fahrrad – Kultobjekt – Designobjekt Teil II

Die Menschen hinter dem Design

In der Frühzeit der Fahrrad Entwicklung waren es meist Tüftler und Bastler, die als einsame, oft unbekannte Schrauber, aber auch als geniale Erfinder die technische wie gestalterische Entwicklung des Fahrrads seit seiner Erfindung vorangetrieben haben. Meist stießen sie über ihr Handwerk als Schlosser, Schmiede oder Mechaniker auf das Thema und verbesserten sukzessive mit ihren meist gleich patentierten Erfindungen das Fortbewegungsmittel. Manchmal waren es die Rennradfahrer selbst, die eigene Kreationen schaffen wollten, so wie der Italiener und Tour de France Gewinner Ottavio Bottecchia. Als dann die Technik immer komplizierter und ausgefeilter wurde, finden sich zahlreiche prominente Entwürfe von aerodynamisch sensibilisierten Flugzeug- und Automobilingenieuren wie Paul Jaray, Hermann Klaue oder Alex Moulton sowie von Industrie-Designern, darunter Luigi Colani, Richard Sapper, Michael Conrad, Giorgetto Giugiaro, Marc Newson, Christian Zanzotti oder Ross Lovegrove, die sich alle auch in dieser anspruchsvollen Disziplin bewähren wollten.

Exponate – Räder der Ausstellung

Das Sicherheitsniederrad der Neckarsulmer Strickmaschinen-Fabrik AG von etwa 1888/89 ist ein frühes Beispiel eines Fahrrads, das unseren heutigen Rädern schon sehr ähnelt. Der neue Direktor Gottlob Banzhaf (1858 –1930) erweiterte ab 1886 die Strickmaschinen Produktion auf Fahrräder. In den ersten beiden Jahren waren dies zunächst noch Hochräder, ab 1888 folgten Niederräder. Benötigte man zu Beginn noch Zukäufe englischer Fahrradteile, war man später in der Lage Pedale, Naben, Tretlager und Co. selbst zu produzieren. Die Verlagerung des Produktionsschwerpunkts hatte 1897 die Umbenennung in Neckarsulmer Fahrradwerke A.G. zur Folge. Das Rad von 1888 hat einen aufwändig gearbeiteten Kreuzrahmen und ist mit eigens entwickelten und patentierten Pedalen ausgestattet. Seine Besonderheiten sind der Kettenspann-Mechanismus, der über das Umklappen des Tretlagers funktioniert sowie der eigenwillige Lenker, in dessen Schaftrohr die Stoßbremse untergebracht ist. Bei längeren Abfahrten konnte diese schleifend eingestellt werden.

Die ungewohnte halbmondförmige Rahmenform des Hirondelle Superbe (1888/91) des französischen Unternehmens Manufacture Française d’Armes, später als Manufrance die größte französische Waffen- und Fahrradfabrik sowie das erste und bekannteste Versandhaus Frankreichs, ist dem Streben nach guter Federung geschuldet. Auch der spiralförmig eingedrehte Lenker der Hirondelle (Schwalbe), der an ein Lenkerhorn erinnert, sollte die Federung dieses Luxusmodells verbessern.

Dem dänischen Schmied und Erfinder Mikael Pedersen (1855–1929) schwebte auch ein bequemes Fahrrad vor. Sein 1893 patentiertes Rahmendesign besteht aus dünnen Rohren, die einen nur aus Dreiecken bestehenden Rahmen bildeten, der eine hohe Stabilität bei minimalem Gewicht ermöglichte. Nachteilig waren die vielen Lötstellen, die die Produktion gegenüber konventionellen Fahrrädern verteuerte. Ein Komfortsitz sollte sein geflochtener, seitlich schwingender Sattel sein, der wie eine Hängematte eingehängt wurde. Zunächst wurde es von dem 1896 gegründeten Unternehmen Pedersen Cycle Frame Co. gefertigt, später von weiteren englischen Firmen.

Der Luftfahrtingenieur und Schöpfer der Stromlinienform Paul Jaray (1889–1974) legte durch eine niedrige Sitzposition, in Vorwegnahme der Chopper Motorräder, den Schwerpunkt seines J-Rads (1921/22) tiefer und verringerte so den Luftwiderstand. Drei Antriebsübersetzungen boten die drei Positionen der Trethebelkonstruktion, womit sich der Kraftaufwand des Fahrers reduzierte. Ein tödlicher Unfall aufgrund eines Materialfehlers und das darauffolgende Gerichtsverfahren führten zum Ende der Produktion 1923 bei der Hesperus-Werke GmbH in Stuttgart.

Bei seinem Blattfeder-Fahrrad (1935) ersetzte Adolf Bareuther das Ober- und Unterrohr
durch Blattfederbündel, die relativ starr nur bei starken Stößen federn und für eine gute Verwindungssteifigkeit sorgten.  Damit sollte das Fahren auf den mit Schlaglöchern übersäten Straßen angenehmer werden. Mit dieser Optimierung des Fahrkomforts und den zahlreichen
verchromten Teilen zielte das bei der Firma Premier im tschechischen Cheb/Eger produzierte Rad auf wohlhabende Käufer.

Oftmals entstehen zivile Produkte aus militärischen Entwicklungen. So geschah es auch beim Airborne Parabike (um 1940) von Albert Edward Wood und William Henry Taylor. Es sollte im Zweiten Weltkrieg die Fallschirmjäger beweglicher machen. Zusammengeklappt und am Fallschirm aufgehängt wurde es mit der Truppe aus den Flugzeugen abgeworfen. Die Energie des Aufpralls schluckten Sattel, Gabel und die sich ineinanderschiebenden Rohre. Der fischähnlich gestaltete Doppelrohrrahmen mit einfachen Klappmechanismus und die Bolzenpedale zum Durchschieben ergaben eine kompakte Größe für den Transport. Ab 1942 und auch nach dem Kriegsende wurde es bei Birmingham Small Arms (BSA) in Großbritannien produziert.

Das Flugzeug-Rad (1946) des Franzosen Reyé Bardet löste die – wie man heute sagt – Kriegs bedingten Lieferketten Probleme der europäischen Fahrradhersteller, indem sein Rahmen aus übrig gebliebenen Aluminiumprofilen des Flugzeugbaus zusammengesetzt wurde. Die aus Gewichtsgründen perforierten Profile reduzierten zusätzlich den Materialeinsatz des teuren Rohstoffs und verliehen dem Rad eine industrielle Ästhetik, ähnlich den zeitgenössischen Spielzeug Kränen und Metallbaukästen.

Für höchste Geschwindigkeiten war der Vagant (1950) von H. & W. Sudbrack ausgelegt. Mit dieser Spezialanfertigung stellte der deutsche Radfahrer Karl-Heinz Kramer 1950 bei einem Steherrennen im Windschatten eines motorisierten Schrittmachers über eine Distanz von einem Kilometer einen neuen Weltrekord mit 154,5 km/h auf. Dieser Rekord konnte erst 72 Jahre später im Jahr 2021 gebrochen werden. Auffällig ist das für hohe Geschwindigkeiten entwickelte Spezialkettenblatt mit dem Namen des Herstellers und die umgekehrte Gabelkrümmung, die im Falle des Kontakts der Walze des Schrittmachermotorrads mit dem Vorderrad vorteilhaft sein sollte.

Mit dem Duemila von Cesare Rizzato wurde 1965 auf der internationalen Klappradmesse in Mailand ein auffälliges Gefährt vorgestellt. 1968 wies der Werbespruch „Ein DUEMILA ist nicht nur faltbar, sondern auch wandelbar.“ auf den verstellbaren Lenker und die klappbare Sattelstütze hin. Vor dem trapezartigen Rahmen ist das Vorderrad in einer sichelartigen Gabel gelagert, die einen Frontgepäckträger mit integriertem Licht aufnimmt. Das vordere Schutzblech folgt nicht der Krümmung des Reifens, sondern verläuft parallel zum abfallenden Rahmenrohr bis zum Klappmechanismus. Der zweite Gepäckträger und die kontrastreiche Farbgestaltung komplettieren die extravagante Erscheinung des Winzlings. Zusammengeklappt misst das Duemila 78 × 66 cm und konnte damals für 38.000 Lire erworben werden.

In den 1970er Jahren wurde in Deutschland das Bonanzarad, auch High Riser genannt, populär. Seinen Ursprung hatte es in der aufmüpfigen Jugendkultur der USA in den späten 1950ern und frühen 1960ern. Inspiriert von den mit einer langen und vergleichsweise flach angestellten Vorderradgabel modifizierten Chopper Motorrädern, schraubten in Kalifornien viele Jugendliche an ihren Fahrrädern. Diese dienten wiederum Al Fritz (1924–2013), einem Ingenieur der Schwinn Bicycle Company in Chicago als Vorlage, um daraus das industriell gefertigte Schwinn Fastback (1967) zu entwickeln. Es verfügt über die charakteristischen Attribute des Bonanzarads: der Bananensattel mit der großen Lehne, der hochgezogene Hirschgeweih-Lenker, die kleinen 20-Zoll-Räder und der an die Gangschaltung eines Automobils erinnernde Schalthebel der 3-Gang-Nabenschaltung mittig auf dem Oberrohr. Die ab 1968 vom Versandhändler Neckermann angebotenen deutschen Bonanzaräder unterscheiden sich vom Schwinn High Riser durch ihre zwei geraden, parallelen Oberrohre und den obligatorischen Fuchsschwanz.

Odo Klose (1932–2020) machte mit seinem federnden Spannrahmen beim Comfortable das Fahren wahrlich komfortabler. Im September 1982 wurde das Comfortable auf der Internationalen Fahrrad-Ausstellung in Köln als „zukunftsweisendste Neuentwicklung der letzten Jahrzehnte.“ gefeiert. Diesen 1983 patentierten Entwurf zeichnen Laufräder aus glasfaserverstärktem Kunststoff mit schlauchlosen Reifen, abschließbarer Gepäckkasten, Flugzeuglenker und ein moderner Unisex-Rahmen aus zwei parallel verlaufenden, gebogenen Rundrohren, die über Kunststoffelemente verbunden waren, aus. Durchdacht sind auch der geschlossene Kettenkasten, Abstandshalter, Halogenscheinwerfer, Rücklicht mit Standlichtautomatik, Reflektor am Gepäckträger und integriertes Rahmenschloss. Irrtümlich als „Colani-Rad“ bezeichnet, wurde dieses Fahrrad von der Sprick Fahrräder GmbH in Oelde gefertigt.

Die durch das schräge obere Rahmenrohr stark nach vorne gebeugte Sitzhaltung beim Cinelli Laser (1981/84) erscheint gewöhnungsbedürftig, zum Glück geht es bei Bahnrennen kaum bergab. Die ersten aerodynamischen Fahrräder aus Frankreich vor Augen, skizzierte Antonio Colombo 1981 das Cinelli Laser. Mit der Unterstützung des Rahmenbauers Andrea Pesenti und des Ingenieurs Paolo Erzegovesi entwickelte das Team eines der erfolgreichsten und schönsten aerodynamischen Bahnräder. Die handgehämmerten Stahlzwickel füllen elegant die Ecken der Rohrverbindungen, die ohne Muffen auskommen und damit ohne Vorgaben, wo und in welchem Winkel sich die Rohre kreuzen sollen. So entsteht eine fließende, kantenlose Form, die die den Luftwiderstand optimal reduziert.

Der erste Blick zeigt, dass Geschwindigkeit das Thema des Bottecchia Air (1987) ist. Kein Wunder, war der Firmengründer Ottavio Bottecchia (1894–1927) doch im Jahr 1924 der erste Italiener, der die Tour de France gewann. 1926 gründeten er und Teodoro Carnielli in Vittorio Veneto die Fahrradfabrik Bottecchia, die heute zu den größten italienischen Herstellern von Renn- und Tourenrädern gehört und auch im Profisport erfolgreich war. Die schmalen, annähernd tropfenförmig gestalteten Rohrprofile und die Aero-Profil-Zwickel an den Hauptdreiecksverbindungen sowie auf der Rückseite des Sitzrohrs sorgten für einen minimalen Luftwiderstand. Die Zeitfahrmaschine Bottecchia Air ist ein Höhepunkt des aerodynamischen Rennraddesigns aus Stahlrohr, das aber bald vom Material Karbon abgelöst werden sollte.

Herausragendes Beispiel einer dieser Karbon Rennmaschinen ist das Togashi 337B (1989), das in der Werkstatt eines japanischen Motorradherstellers entstand. Bei diesem futuristischen Karbonrahmen verschmilzt die diagonale Hauptstrebe mit zwei durchbrochenen Dreiecksformen. An die Spitze des oberen, nach hinten gerichteten Dreiecks sind die Metallstreben der Sattelhalterung montiert, das untere Dreieck beherbergt das Kurbelgehäuse, dient als Kettenstrebe und Nabenaufnahme des Hinterrads. Auf die aufwändige Herstellung des in Handarbeit laminierten Rahmens weisen die Hersteller mit dem Aufdruck „Made with quality and Pride“ hin.

Seit dem Beginn der Pandemie 2020 verbindet man Zoom mit einer sicheren Kommunikationsform. 1998 jedoch wurde unter diesem Namen das von Stardesigner Richard Sapper und Francis Ferrain gestaltete Zoombike auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt präsentiert. Ab 2000 wurden 60 Exemplare produziert. Zum einfachen Transport lässt es sich auf Knopfdruck in zwei Teile zerlegen und zu einem länglichen Paket Zusammenfalten. Das optisch dominante Zentralrohr nimmt das Vorderlicht samt Akku sowie alle mechanischen Teile einschließlich der Antriebskette und der Dreigang-Kettenschaltung auf. Bei der Realisierung halfen Sapper Techniken der Luft- und Raumfahrtindustrie: stranggepresste, hochfeste Aluminiumprofile mit sehr dünnen Wandungen bilden die Rahmenstruktur. Die Technik der Radaufhängung der sehr kleinen Raddurchmesser stammt aus dem Automobilbau.

Mit der hölzernen Laufmaschine des Barons von Drais hat die Designgeschichte des Fahrrads begonnen, Grund genug um mit dem zwei Jahrhunderte später entworfenen Holzfahrrad Keim edition arvak (2014) zu schließen. Sein ungewöhnlicher Rahmen in Form eines asymmetrischen Fünfecks besteht aus 24 Lagen vakuumgeschichteten und mit einem biobasiertem Hochleistungsharz verleimten Eschenholz. Mit diesem Entwurf wollten die französische Designerin Paule Guèrin und der deutsche Tischler Till Breitfuss das Potenzial des Naturmaterials Holz optimal ausschöpfen. Das traditionelle Material Holz wird durch das Hightech-Material Karbon ergänzt, aus dem die anderen Komponenten Steuerrohr, Vorbau, Lenker und Gabel bestehen. Die begrenzte Edition umfasst 20 in Handarbeit gefertigte Räder, die individuell auf Maß dem Käufer angepasst werden, wodurch sich das Sattelrohr und die damit mögliche Höhenverstellung des direkt auf dem Oberrohr sitzenden Sattels erübrigen.

Fahr!Rad

Das Fahrrad ist ein signifikanter Bestandteil unserer Kulturgeschichte. Von Kindesbeinen bis hinauf ins Greisenalter bewegt es Menschen. Die vielseitige Ausstellung, deren großartige Exponate die Stellung des Fahrrads als Kult- und Designobjekt bestätigen, weckt hoffentlich bei den Besuchern den Wunsch das Gerät noch öfter im Alltag einzusetzen. Am besten gleich mal damit anfangen und mit dem Rad zum Museum. Wohl geformte Fahrradständer warten bereits am Eingang der Pinakothek der Moderne. Der begleitende Ausstellungskatalog beschreibt die 70 Fahrräder ausführlich mit vielen interessanten Detailaufnahmen.

Ort: Die Neue Sammlung – The Design Museum, Pinakothek der Moderne, München

Laufzeit: 11.11.2022 – 22.09.2024

Ausstellungskatalog 34,90€