Asterix, Obelix – Tolix? Nein, Tolix ist kein Zaubertrank gestählter Römerschreck wie die anderen auf –ix endenden Helden, die angeblich vor etwa 2000 Jahren in dem kleinen gallischen Dorf wohnten, die Römer zur Verzweiflung trieben und seit einigen Jahrzehnten die „Weltliteratur“ bereichern. Dagegen beschränkt sich der Bekanntheitsgrad der Firma Tolix im Wesentlichen – noch – auf Frankreich. Wie die Gallier den Römern trotzten, so widersteht Tolix in seiner feuerverzinkten Rüstung dem Rost. Xavier Pauchard entwarf ab 1927 eine Kollektion von Eisenmöbeln aus gebogenem Blech, die zur Zeit in einschlägigen Journalen des modernen Wohnens als „stylishe“ Ergänzung des Mobiliars gefeiert werden. Bis heute werden die Stahlmöbel von Tolix produziert und in Frankreich wie im Ausland vertrieben. Der Firmensitz ist die Stadt Autun in Burgund.
Ab zum alten Eisen?
Industriemöbel aus Eisen und Stahl, die über die Jahrzehnte ruhig Rost angesetzt haben dürfen oder besser sollen, deren abgeblätterter Lack und verblasste Farben die begehrte „Patina“ erzeugen, faszinieren die heutige „cleane“ Internetgeneration. Der Kontrast zwischen dem rohen, verschlissenen Material auf der einen und dem sterilen, oft nur noch virtuell erlebten Alltag auf der anderen Seite, erzeugt die besondere Spannung dieser Mischung. Ein Hightech Design prämierter Computer auf einer alten Industriewerkbank als Schreibtisch – genial. Die Kombination mit authentischen Objekten verhilft zur Individualität in einer gleichgerichteten Welt, zu einem Gefühl von Sicherheit und Stabilität in einer sich rasch umwälzenden Gesellschaft. Unterstützt wird der Trend von Stardesignern wie Philippe Starck, der schon mal sein Restaurant in Buenos Aires mit alten Fabrikleuchten mit immensen Metallschirmen beleuchtet.
Stahl war der Werkstoff der Industrialisierung, aus ihm fertigten Architekten Brücken und Gebäude wie den Londoner Kristallpalast im Jahre 1851, Ingenieure bauten Ozeandampfer und Gustave Eiffel den nach ihm benannten Turm (1889). Die Eisenbahngesellschaften ließen bereits ihre schnaubenden Dampfrösser auf Trassen aus Stahl seit einigen Jahrzehnten durch die Landschaften ziehen, als erst spät gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Eisenmöbel als industrielles Massenprodukt auf den Markt drängten. Robust, verschweißt oder vernietet, geformt aus geschnittenem, gebogenenem und gepresstem Stahl versprachen sie lebenslange Haltbarkeit. Geschaffen von findigen Handwerkern, aber produziert in industriellen Maßstäben schwanken die Eisenmöbel zwischen traditionellem Handwerkserzeugnis und Industrieprodukt. Oft stammten sie aus der Fertigung künstlerisch ambitionierter Handwerker, die mit einem sicheren Gespür für Einfachheit klare und funktionale Formen entwarfen. Dieser Purismus wird heute wieder geschätzt, nachdem ab den 1960er Jahren üppige Plastikkreationen den Stahl vorübergehend verdrängt hatten.
Dabei ist es nicht erforderlich auf die teuren Entwürfe der namhaften Ikonen des Industrial-Designs wie Charlotte Perriand, Jean Prouve oder Le Corbusier zurück zu greifen. Funktionale Stücke oftmals anonymer Schöpfer zu fairen Preisen vermitteln ebenso das ersehnte Gefühl von Originalität und Individualismus.
Bedarf an praktischen Gebrauchsobjekten besteht heute wie damals. Spinde aus Fabriken mutieren zu Küchenmöbeln oder Kleiderschränken, Fabrikleuchten erhellen das Wohnzimmer, eiserne Gartenmöbel erzeugen Atmosphäre. Zum „alten Eisen“ gehören sie somit noch lange nicht.
Feuerverzinken als Rostschutz
Xavier Pauchard erzielte erste berufliche Erfolge mit dem Verzinken, also dem Schutz von Eisen oder Stahl vor Rost. Beim Feuerverzinken wird entweder ein noch unbearbeitetes Material oder ein bereits fertig produziertes Werkstück in ein Bad aus geschmolzenem Zink getaucht und durch die Schmelze gezogen. Der Vorteil des Eintauchens besteht darin, dass auch schwer zugängliche Stellen im Inneren und besonders die Schweißnähte optimal geschützt werden können. Bei einer Temperatur des Zinkbades von circa 450°C bildet sich an der Grenze eine Legierungsschicht aus Eisen und Zink, an der dann eine reine Zinkschicht, die mit circa 100µm gegenüber galvanisch aufgebrachten Schichten relativ dick ist, sehr fest haftet.
Im frisch behandelten Zustand erscheint die Oberfläche der Zinkschicht in hellglänzendem Silberton. Erst im Laufe der Zeit „patiniert“ die Schicht und wird durch die Korrosion des Zinks dunkelgrau. Im Idealfall schützt eine entsprechend dicke Zinkschicht jahrzehntelang ohne weiteren Rostschutz das Werkstück.
Erste Erfahrungen mit Zink
Xavier Pauchard wurde 1880 geboren. Der Familientradition folgend, wurde auch er wie sein Vater und Großvater zunächst Bauspengler, im Umgang mit Blechen und Rohren verdiente er sein täglich Brot. So zog er ab einem Alter von 12 Jahren mit seinem Vater von Dorf zu Dorf, um mit dessen fahrbarer Schmiede Schäden an Dächern zu reparieren. Für seine weitere Ausbildung wanderte er kreuz und quer durch Frankreich und kam schließlich über Lyon und Marseille bis nach Algier, einem damaligen Departement Frankreichs. In diesen Jahren erwarb er sich alles Wissenswerte über Zink.
Die Schlachten des 1. Weltkriegs waren gerade erst geschlagen, als Xavier Pauchard eine Firma gründete, die galvanisierte Haushaltswaren aus Weißblech herstellte. Allerdings schützte man die diversen Küchenutensilien, Eimer oder Gießkannen aus Eisen, indem man sie in geschmolzenes Zinn, nicht Zink, tauchte.
In Amerika war das Feuerverzinken bei 450°C bereits seit langem bekannt und eingeführt. Pauchard hatte von dem Verfahren gehört und träumte davon eine eigene Verzinkerei zu betreiben. Mit Hilfe seiner praktischen Kenntnisse und einer üppig illustrierten technischen Publikation aus Amerika, gelangen ihm erste Experimente. Die Probleme bzw. Unklarheiten waren allesamt praktischer Natur: Wie sollten die Werkstücke vorher behandelt werden? Welche Größe sollte das Zinkbad haben? Wie lässt sich das Zink am zweckmäßigsten erhitzen? Von Tag zu Tag machte er Fortschritte beim Verflüssigen und Aufbringen des Materials, das er seit seiner Kindheit für Dächer gestaltet und bearbeitet hat. Schließlich sollte es Pauchard sein, der das Feuerverzinken in Frankreich im Jahr 1907 einführte.
Sein berufliches Engagement beeinflusste das Privatleben der Familie. So errichtete er das erste Wohnhaus für die vielköpfige Familie, sechs der sieben Kinder wurden in diesem Haus geboren, auf dem Firmengelände. Durch die räumliche Nähe von Wohnen und Arbeiten konnte Pauchard das sakrosankte, ewige Feuer unterhalb der Galanisierungsanlage vom Fenster aus Tag und Nacht bewachen.
X – das Markenzeichen
Aus diesem eng verbundenen Familienleben heraus und den damit einhergehenden Bedürfnissen an praktischen Helfern entstanden zunächst bis zu etwa fünfzig sinnreiche Haushalts- und Küchenutensilien, später gefolgt von einer ganzen Kollektion von Möbeln aus gepresstem Stahl. Im vollen Bewusstsein seiner beruflichen Erfolge, und möglicherweise auch aus einem narzistischen Antrieb und Eitelkeit heraus, entschied Xavier Pauchard, dass jede seiner Kreationen den ersten Buchstaben seines Vornamens tragen sollte – X. Die Firmenkataloge stellten das X fortlaufend heraus, ab 1925 findet sich die X-Form sogar als Verstärkung der Konstruktion unter seinem ersten Stuhl. Dank diesem X-Metallkreuz können bis zu 50 (!) Stühle gestapelt werden.
Tolix Design
VW Käfer, Schweizer Armeemesser oder Tolix Eisenmöbel: es gibt nur wenige Beispiele von industriell hergestellten Objekten, die eine derart zeitlich lange Kontinuität, gleich bedeutend mit zeitloser Gestaltung ohne Anbiederung an aktuelle Moden, vorweisen können. Aber nicht nur dieses Kriterium reiht Tolix zu den Klassikern des Designs ein. So schaffte es Xavier Pauchard Funktionalität und Ästhetik zu vereinen und das erfolgreiche Resultat als Massenprodukt zu vermarkten. Dies – in Bezug auf die Verkaufszahlen – im Gegensatz zu dem zu seiner Zeit bereits hoch angesehenem deutschen Bauhaus, das sehr theoretisch fundiert arbeitete, aber entgegen seiner Zielsetzung nie in den Massenmarkt eintrat. Bauhaus Objekte galten schon bei ihrer Entstehung als Luxusprodukte.
Pauchard war Handwerker und Praktiker, dem einige einfache Berechnungen reichten, um eine Form zu beschreiben und ein standardisiertes Stück für die industrielle Massenfertigung zu definieren. Er war weder Architekt, Designer oder Künstler, sondern lediglich ein Hersteller, der die Bedürfnisse des Marktes rasch erkannte und praktische Dinge schuf, die sich leicht verkaufen ließen. Zugleich verstand er es mit kruden Materialien wie Stahl und Zink umzugehen, und kannte die Werkzeuge um diese virtuos zu bearbeiten. So ist er vergleichbar mit anderen Pionieren des industriellen Möbelbaus wie zum Beispiel Michael Thonet. Pauchards „Chaise A“ und Thonets legendärer „14er“ (um 1860) entspringen einem gemeinsamen Antrieb und teilen das gleiche Schicksal des millionenfach verkauften Klassikers.
Chaise A oder „La Paucharde“
Der Chaise A ist der erste „industrial-design“ Stuhl Frankreichs, dessen Fertigung aus vorgeformten Stahlkomponenten die Serienproduktion in großen Stückzahlen ermöglichte. Die betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen des Stahlmöbel-Projekts hatte Pauchard zusammen mit seinen Geschäftspartnern André Baudoin und Émile Jarin am 13. Juli 1925 geschaffen. Das Aktienkapital der neu gegründeten Firma belief sich auf 1 Million Francs. Zwei Jahre später ließ er am 25. Juli 1927 die Marke Tolix registrieren, die auf die Produktion von Stühlen, Sesseln und Hockern ausgerichtet war. Einige Monate vorher war er von Herrn Deville, seinem Vertriebsrepräsentanten in Paris, über die neu in Mode gekommenen Eisenmöbel informiert worden. Kurzentschlossen stellte er eine Entwicklungsgruppe aus Spezialisten seiner Firma zusammen, darunter Pierre Moreau, einem „Metaller“ von ganzem Herzen wie Pauchard selbst, denen er als Ziel die Fertigung von stabilen, leicht gewichtigen und stapelbaren Stühlen und Tischen vorgab. Da das theoretische Entwerfen auf dem Papier nicht die Sache von Pauchard war, erarbeitete er empirisch in der Werkstatt mit dem Team den Prototypen. Das erste Resultat dieses innovativen Umgangs mit gepresstem Stahl war der Chaise A, der den Grundstein der Marke Tolix legte.
Tolix Alphabet
Pauchard entwarf dann sein eigenes „Alphabet“ mit den Stühlen (Chaise) B, E und F, den Sesseln (Fauteuil) C und D sowie dem Tisch G, die in acht Farben verkauft wurden. Zusätzlich gab es gesprenkelte oder geflammte Oberflächeneffekte. Konzipiert waren sie für die Nutzung im Freien, auf Terrassen und in Gärten, Parks und Cafes. Darüberhinaus sollten sie sich ihren Platz auch in der Berufswelt, in Werkstätten, Labors, Büros oder Krankenhäusern erobern.
In den Jahren 1935 bis 1939 hatten Tolix Produkte ihren wohl berühmtesten Auftritt auf dem legendären Art Déco Luxusliner „Normandie“, auf dem der Stuhl A und der Sessel C als Bestuhlung aller technischen Bereiche 132 Mal den Atlantik überquerten. Mit ihren Eigenschaften robust, stapelbar, rostfrei und insbesondere feuerresistent erfüllten die 150 Sessel und Stühle aus Burgund die Anforderungen der „Compagnie Générale Transatlantique“.
1935 erhielt Xavier Pauchard den Auftrag 12000 Stühle und Sessel für die Weltaustellung 1937 in Paris zu produzieren. Firmenintern erhielten sie die Bezeichnung „37er“. Obwohl sie zwar nur in den öffentlichen Bereichen standen, zum Mieten für einige Centimes, erfüllte diese Bestellung Pauchard mit Stolz. Waren seine Produkte nun bei einer Veranstaltung mit Objekten der europäischen Designer Avantgarde wie u.a. Alvar Aalto, Robert Mallet-Stevens, Charlotte Perriand, René Herbst und Jean Prouve angekommen.
Nachdem Tolix Erzeugnisse zunächst begeistert im öffentlichen Raum aufgenommen worden waren, schafften sie dies auf Grund ihrer klaren Ästhetik auch im privaten Bereich. Neben den neu gefertigten Tolix Möbeln der laufenden Produktion, die in Einrichtungsgeschäften zu finden sind, sind zur Zeit die Originalstücke mit sichtbar gelebter Geschichte besonders begehrt.