Veröffentlichungen

Arne Emil Jacobsen

Design nicht nur für Nordlichter!

Stetig steigende Preise in Auktionshäusern und im Handel sind der eindeutige Indikator für die wachsende Beliebtheit skandinavischer Möbelklassiker. Zu den momentan stark im Fokus der Nachfrage stehenden originalen Objekten namhafter skandinavischer Designer zählen besonders Entwürfe aus deren Blütezeit zwischen 1950 und 1970, die schon bei ihrem Erscheinen im Nachkriegsdeutschland begeisterten Zuspruch erfuhren. Oftmals dienten sie auch als Vorbilder für heimische Designer. Bis heute steht skandinavisches Design als wesentlicher Baustein für die Entwicklung der Nachkriegsmoderne und darf zahlreiche Ikonen der Moderne und des guten Geschmacks sein Eigen nennen. Besonders begehrt werden zurzeit auch die von organisch bis streng gehaltenen Entwürfe des Dänen Arne Jacobsen. In seiner fast 50 Jahre währenden Tätigkeit als Entwerfer summieren sich Textilien, Tapeten, Leuchten, Porzellan, Geschirr aus Metall, Armaturen, Gläsern und besonders Möbel zu dem beeindruckenden Lebenswerk eines Workaholics. „Nebenbei“ arbeitete Jacobsen noch als Architekt und schuf auch in diesem Bereich Denkmäler der Moderne aus Stein, Beton und Glas.

Skandinavisches Design

Skandinavisches Design steht für schlichte Gestaltung, hohen Gebrauchswert und demokratische Werte. Skandinavisches Design, man denke dabei nicht nur an Ikea und seine Nachahmer, ist aus unserem modernen Leben nicht mehr weg zu denken. In der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts ist das skandinavische Design zu einer festen Größe geworden und drückt eine besondere Form der „Leichtigkeit des Seins“, des unbeschwerten Lebens, aus, ganz im Gegensatz zu den teils wenig freundlichen Lebensbedingungen im hohen Norden. Prominente Formgeber wie zum Beispiel Alvar Aalto, Hans Wegner und der Jacobsen Schüler Verner Panton trugen zum internationalen Renommee bei. In der amerikanischen Öffentlichkeit eroberte sich die skandinavische Moderne den Status einer handwerklichen Alternative zu den Stahl- und Glasmöbeln des internationalen Modernismus. Verlor das sachliche Design-Konzept der Skandinavier während der grell bunten und plastik-üppigen Postmoderne in den 1970er und 1980er Jahren an Bedeutung, so erlebt es seit den frühen 1990er Jahren eine enorme Wiederbelebung im Sinne von „weniger ist mehr“. Einer der wichtigsten Protagonisten des skandinavischen Designs ist zweifelsfrei Arne Jacobsen, auf dessen legendären Stühlen vermutlich schon jeder einmal, wenn vielleicht auch unwissentlich, gesessen ist.

Lehrjahre

Arne Emil Jacobsen wurde am 11. Februar 1902 in Kopenhagen als Sohn eines Großhändlers, der Sicherheitsnadeln, Druckknöpfe und anderen nützliche Dinge des täglichen Bedarfs für Kaufhäuser und Betriebe importierte, geboren. Seine Mutter hatte eine Bankausbildung absolviert, die Familie lebte gutbürgerlich in einem viktorianisch ausgestatteten Haus, dessen angestaubte, schwere Inneneinrichtung womöglich für den jungen Jacobsen ein Schock und zugleich der erste Impuls war, neue Wege zu beschreiten. Obwohl in seinen Ausbildungs- und ersten Berufsjahren in Dänemark große soziale Not mit einem Heer Obdachloser herrschte, blieb Jacobsen zeitlebens unpolitisch.

Im Jahr 1924 schließt der junge Mann erfolgreich die Technische Hochschule in Kopenhagen ab. Schon früh setzt er sich mit dem Möbeldesign auseinander und erhält 1925 auf der Weltausstellung in Paris eine Silbermedaille für einen Stuhl. Von 1924 bis 1927 wird er an der Königlich Dänischen Kunstakademie ausgebildet und arbeitet danach als Architekt. In seinen Biographien wird er als Designer und Architekt bezeichnet, wobei man sein Design auch als Architektur in kleinerem Maßstab begreifen kann. Sein Perfektionismus zieht sich als roter Faden durch sein gesamtes Werk, egal ob Design oder Architektur. Urlaub war ihm fremd, er soll fast unablässig gearbeitet haben. Erholung hieß für ihn Abwechslung, aber nur in dem Sinne, dass er sich in dem anderen kreativen Bereich betätigte.

Der Architekt

Die Architektur von Jacobsen definiert sich durch eine unverkennbare, an Geometrie und Material orientierte Formensprache. Dabei fühlte sich Jacobsen nicht immer der Funktion verpflichtet, sondern lediglich seinem rigiden modernistischen Konzept. Deshalb bekam Jacobsen von Kritikern den Titel „architektonischer Diktator“ zugesprochen. Seine Gebäude gestaltete er so konsequent durch, dass persönliche Änderungswünsche seiner Auftraggeber meist vergebens waren. Ebenfalls weigerte er sich fast immer erfolgreich gegenüber seinen Bauherrn, aus ökonomischen Erwägungen Abstriche an seinen Entwürfen hinzunehmen. Trotzdem erhielt er bereits ab den 1920er Jahren und kontinuierlich über Jahrzehnte hinweg viele Aufträge zum Entwurf von Privathäusern, später kamen öffentliche Gebäude, Geschäfte, Hotels und Firmen hinzu. Die Zielsetzungen der Standardisierung der 1920er Jahre prägten seinen Architekturstil mit.

Spektakulär war sein 1929 für die Architekturausstellung in Kopenhagen zusammen mit Flemming Lassen konzipiertes „Haus der Zukunft“, mit dem der 27-Jährige den endgültigen Durchbruch als Architekt schaffte. Im Sinne einer Machbarkeitsstudie implementierte er alle verfügbaren mechanischen und automatischen Möglichkeiten seiner Zeit in das kreisrunde Gebäude, das durch unterschiedliche Höhen den Anschein einer Spirale erweckte. Insgesamt wirkte das Haus auf den Betrachter wie ein präzise gefertigtes Maschinendrehteil, passend möbliert war es mit Stahlrohrmöbeln. Die uns heute selbstverständliche individuelle Mobilität entwickelte sich damals rasant, so dass neben der Garage ein Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach nicht fehlen durfte. Mit dem Haus der Zukunft brachte Jacobsen die moderne Architektur nach Dänemark.

Sein wohl bekanntestes Werk als Architekt ist das SAS Royal Hotel in Kopenhagen von 1960. Ganz im Sinne der Architekten früherer Generationen, vor allem zu Zeiten der Belle Epoque und des Art Déco, gestaltete Arne Jacobsen es ganzheitlich, also nicht nur das Gebäude sondern auch fast die vollständige Inneneinrichtung. Nach zahlreichen Umbauten ist jedoch leider heute kaum noch Originales erhalten geblieben.

In Deutschland findet man diverse Beispiele von Jacobsens’ Architektur, wie zum Beispiel das Gebäude des Gymnasiums Christianeum in Hamburg-Othmarschen und die Zentrale der Hamburgischen Elektrizitäts-Werke (HEW) im Hamburger Stadtteil Winterhude. Aber auch in Berlin, Hannover, Mainz (Rathaus, 1967-73) und Castrop-Rauxel hat Arne Jacobsen gemauerte bzw. in Beton gegossene Zeugnisse hinterlassen.

Der Designer

Wendet man sich vom Architekten Arne Jacobsen, mit der von diesem bevorzugten strengen, geradlinigen Form, dem Designer Jacobsen zu, fallen in diesem kreativen Bereich – im Gegensatz zur Architektur – die meist organischen Formen auf. Seine Formensprache erinnert hier an Objekte der abstrakten Kunst. Ein möglicher Beweggrund für diese gänzlich andere Akzentuierung im Designbereich kann in der Naturverbundenheit des passionierten Botanikers Jacobsen liegen, ähnlich wie bei dem bedeutendsten französischen 50er Jahre Lampendesigner Serge Mouille (s. SJ 11/2006). Dabei erscheint zum Beispiel die Entwicklung der von dem Naturprodukt „Ei“ abgekupferten Form des gleichnamigen Sessels geradezu einfach. Als Idee darf man vermuten, dass der Designer mit der Schalenform des Sessels ein Ambiente der Geborgenheit und ein Gefühl des Schutzes bzw. der Sicherheit erzeugen wollte, ähnlich der Funktion der eiförmigen Hülle des Vogeleis, die das Küken vor der Geburt äußerst stabil vor der Umgebung schützt. Es waren vor allem Sitzmöbel wie die „Ameise“, der „Schwan“ oder auch der meistverkaufte dänische Stuhl aller Zeiten, das Modell „3107“, die zur weltweiten Popularität Jacobsens beitrugen und ihm erst relativ spät ab den 1950er Jahren die höchsten Weihen der Designergilde verliehen.

Einfluss technischer Innovationen

Die amerikanischen Designer loteten in den 1940er Jahren experimentell die Möglichkeiten neuartiger Fertigungstechniken der militärischen Luftfahrtindustrie für deren Übertragbarkeit in den Möbelbau aus. Zum Beispiel induzierte die Produktion kriegswichtiger Flugzeugpropeller neue Techniken in die Holzproduktion. Überhaupt beschleunigte der Krieg die Erforschung und Umsetzung neuer Materialien und Verfahren, wie zum Beispiel neuartige Laminierungen. Charles Eames entwickelte Prothesen aus laminiertem Holz für verletzte Soldaten. Zusammen mit seiner Ehefrau Ray nutzte Charles Eames die technischen Neuerungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg für die Fortschreibung der Formensprache im Möbelbau, sie wurde vielfältiger und betonte die natürliche Beschaffenheit der Materialien. Gleichzeitig wurden die Einrichtungen räumlicher mit skulpturalem Charakter. Diese Entwicklungen finden sich auch in Jacobsens Möbeln.

Fritz Hansen

Vertraute Arne Jacobsens deutsches Pendant Egon Eiermann den produktionstechnischen Fähigkeiten des schwäbischen Herstellers Wilde&Spieth, so fand Arne Jacobsen mit der Firma Fritz Hansen seinen Idealpartner. Am 24. Oktober 1872 beginnt die Geschichte der Firma Fritz Hansen in Kopenhagen, die sich zunächst auf die Herstellung kleinerer Möbel spezialisiert hatte. Erste Experimente mit Bugholz, das unter heißem Dampf verformt wird, führten 1915 zum ersten dänischen Bugholzstuhl. Das sofort beliebte Modell bildete den Auftakt für viele funktional gestaltete Möbel in den nächsten Jahrzehnten, die von Hansens Werkstätten aus dänische Wohnzimmer eroberten. Mitte der 1920er Jahre suchte Fritz Hansen, auch auf gestalterische Qualität bedacht, die Zusammenarbeit mit führenden Möbeldesignern. Mit Arne Jacobsen arbeitete er ab 1934 zusammen. Fritz Hansens Ziel war die industrielle Herstellung ästhetischer Möbel in höchster Qualität, was auch Jacobsens Absichten entsprach. Der große Durchbruch der Verbindung Jacobsen – Hansen sollte sich jedoch erst ab 1952 mit dem Stuhl „Ameise“ und dessen Nachfolgern aus verformtem Schichtholz einstellen, die zum größten Erfolg der dänischen Möbelgeschichte wurden. Modelle anderer Produktionstechniken wie das „Ei“ und der „Schwan“ von 1958 fanden ebenfalls weltweite Beachtung.

FHs Liebe auf den zweiten Blick – die „Ameise“ – 1952

Fritz Hansen experimentierte mit Sperrholz, das er – ähnlich dem Biegen von Buchenholz, eingeführt von der Firma Thonet im 19. Jahrhundert – in heißem Wasserdampf verformte. Mit dieser Produktionstechnik, setzte sich auch Arne Jacobsen auseinander. Wollte er jedoch den Stuhl im Gegensatz zu den Entwürfen von Ray und Charles Eames aus einem Holzstück fertigen, musste er Sitzfläche und Rückenlehne an deren Verbindungsstelle stark annähern und eine entsprechende Krümmung des Sperrholzes realisieren. Verformt sollte neun-lagiges Schichtholz werden, die inneren sieben Lagen bestanden aus Schälfurnier, die beiden äußeren aus geschnittenem Furnier mit Längsmaserung. Bei der Integration von Rückenlehne und Sitzfläche in einem Stück ist der Übergang zwischen beiden die kritische Linie, an der die Stühle zum Bruch neigen (worauf man beim Ankauf älterer Exemplare besonders achten sollte). Aus dieser technisch höchst anspruchsvollen Zielvorgabe, die die Entwickler bei Fritz Hansen zunächst zu Schweißausbrüchen brachten, leitete sich direkt die stark taillierte Form der hölzernen Sitzschale ab. Zu dieser brauchte es dann nur noch ein Stahlrohrgestell, dessen Materialstärke Jacobsen bis an die physikalische Grenze reduzierte, und fertig war der Stuhl, der durch seine federnde, elastische Rückenlehne sehr bequem ist. Verbunden wurden Holzschale und Metallgestell nur an einem einzigen Verbindungspunkt in der Mitte der Sitzfläche. Zusätzlich wurde die Sitz- und Rückenschale durch 3 Gummielemente unter der Sitzfläche zwischen Holz und Stahlrohr stabilisiert, wodurch sich auch der Sitzkomfort erhöhte. Diese stoßdämpfenden Gummielemente hatte Fritz Hansen vom Esszimmerstuhl aus gebogenem Sperrholz mit Stahlbeinen von Charles Eames übernommen. Die 3 Stahlrohrenden wurden mit Standkappen aus schwarzem Gummi versehen. Jacobsen beschränkte die Zahl der Beine auf drei mit dem Argument, dass ein dreibeiniger Stuhl im Gegensatz zum vierbeinigen nicht wackeln könne. Womit er zwar Recht hatte, aber die Standfestigkeit vernachlässigte.

Der „geizige“ Umgang mit dem Material Holz zusammen mit dem dünnen 3-beinigen Stahlrohrgestell charakterisiert Jacobsens Werk zu dieser Zeit als puren Minimalismus. Seine Leichtigkeit eröffnet dem Benutzer im täglichen Gebrauch äußerste Flexibilität und einfache Handhabung. Aus praktischen Erwägungen musste der Stuhl auch stapelbar sein, womit er in diesem Punkt seinem Eames’schen Vorbild voraus war. Im Interview begründete Jacobsen dies folgendermaßen:„ Wenn man sich mit dem Wohnungsbau beschäftigt hat, weiß man, dass das Areal immer kleiner und kleiner wird. Also sollen auch die Möbel weniger Platz einnehmen. Ich habe meine Stühle so gemacht, dass sie gestapelt werden können, und der Boden damit freigemacht werden kann. Das ist im privaten Heim von großer Bedeutung, und was bedeutet das erst in einem Vortragssaal.“ Insgesamt ist dieser Stuhlentwurf die wohl gelungenste Umsetzung der damals schon Jahrzehnte alten Idee vom Ideal eines modernen, industriell gefertigten Stuhls.

Jacobsens genialer Vorschlag zu diesem stapelbaren Sperrholzstuhl begeisterte allerdings die zunächst sehr skeptische Firma Fritz Hansen erst, als Jacobsen ihr eine Bestellung über 200 Stück zusagen konnte. Man einigte sich, dass die Firma den Stuhl fertig entwickelt und insgesamt zunächst 400 Stück produziert. Es sollte ein Bestseller werden, seit 1952 wurden von ihm und seinen Varianten insgesamt über 5 Millionen Stück hergestellt, Tendenz steigend! In manchen Jahren verließen bis zu 200000 Stück das Möbelwerk, Plagiate nicht mitgezählt. Das Ur-Modell erhielt die Nummer 3100 und wurde „Myren“ genannt, im englischsprachigen Raum „Ant“ bzw. in Deutschland „Ameise“, was sie ihrer ungewöhnlichen Form verdankt.

Mit der Ameise lässt Jacobsen sowohl die dänische Möbeltradition als auch die exzessive Moderne hinter sich und entwickelt seinen eigenen modernen und internationalen Designstil. Die Ameise war die Initialzündung für seine bedeutendsten Möbel, mit denen er sich seine internationale Reputation als Designer erwarb und „global player“ des Designs wurde.

Ursprünglich wurde die Ameise nur in 4 verschiedenen Sperrholzarten sowie schwarz lackiert produziert. Zu Lebzeiten wehrte sich Jacobsen erfolgreich dagegen den Stuhl als 4-Beiner aufzulegen. Erst nach seinem Tod entschied sich Fritz Hansen auch für diese stabilere Variante.

Die Nachfolger der Ameise – 1952-68

Nachdem an der Ameise alle technischen Fragezeichen abgearbeitet worden waren und das Modell positiv vom Publikum aufgenommen worden war, reizten Jacobsen Variationen dieses Themas. Vom Urmodell Ameise als gemeinsamen Ausgangspunkt leitete der Designer Arne Jacobsen weitere ähnliche Modelle ab, oft als Möblierung der Gebäude des Architekten Arne Jacobsen. Allen gemein ist, die aus einem einzigen Sperrholzteil geformte Sitz- und Rückenschale, deren Silhouette er variierte, und das filigrane Stahlrohrgestell.

Das erfolgreichste Nachfolgemodell ist der so genannte „Siebener“ (3107), den er 1955 für das Rathaus von Rødovre vorsah und in dessen Entwicklung die „Anregungen“ der Kritiker der „Ameise“ geflossen sind, insbesondere die Vierbeinigkeit. Die Holzlehne ist bei diesem Modell oben zweiflüglig breit ausgestellt. Der Übergang zwischen Lehne und Sitz ist stark tailliert und der breitovale Sitz an der Vorderkante nach unten gewölbt. Die körpergerechte Sitz-Rückenschale war meist aus schwarz lackiertem Sperrholz, teils aus Teak furniertem Sperrholz oder erfüllte in der Luxusversion flach gepolstert und mit hellbraunem Rindsleder bezogen auch höchste Ansprüche. Ebenfalls stapelbar, aber mit den vier Beinen stabiler und erhältlich in verschiedenen Ausführungen wie z.B. mit Rollen oder Armlehnen, wurde er zum meist verkauften Stuhl Dänemarks. Als – nicht stapelbarer – Bürostuhl auf Rollen war er mittels eines seitlichen Hebels höhenverstellbar und mit einem sternartigen, 2-fach verstrebtem verchromten Metallgestell auf 4 Radrollen beweglich (die alten Modelle leiden heutzutage häufig unter unrunden oder abgefahrenen Rollen, die schwierig zu ersetzen sind). Die eigentlich übertriebene Farbvielfalt, in der der Stuhl heute erhältlich ist, wurde erst nach Jacobsens Tod auf den Markt gebracht. Das ambivalente Prädikat einer der „meist kopierten Stühle“ zu sein, zeichnet ihn zusätzlich aus.

Ebenfalls 1955 entwarf Jacobsen für Fritz Hansen u.a. die leicht abgewandelten Serien 3102, 3103 und 3105. Eine Besonderheit stellt der „Grand Prix“ genannte Stuhl von 1957 dar, der inklusive der Stuhlbeine vollständig aus Holz gefertigt ist und die einzige Abweichung der sonst so konsequent eingehaltenen Designlinie innerhalb der Ameisenfamilie darstellt. Über seine Motivation zu dieser Variante meinte er 1957 bei einer Präsentation in Verbindung mit der Herbstausstellung in Charlottenburg: „Manche Menschen finden, dass Stahl nicht richtig zu ihren übrigen Möbeln passt. Also versuchte ich einen Stuhl ganz aus Holz zu machen, aber mit Beinen in der gleichen elastischen Furniertechnik wie Sitz und Rückenlehne. Es stellte sich heraus, dass sie ebenso stark sind wie Stahl“. Ursprünglich ist er allerdings unter der Bezeichnung „3130“ mit Stahlrohrbeinen auf den Markt gekommen.

Der zungenförmigen Rückenlehnen- und Sitzschale verdankt das Modell 3102 seinen „Künstlernamen“ Zunge („Tungen“). Ursprünglich war die Zunge 1955 als Schulstuhl (dem Lehrer die Zunge zeigen erhält durch den Stuhl eine neue Bedeutung!) geplant worden und war in einer ersten Version mit einem ausgefrästen Handgriff in der Rückenlehne erhältlich. Der Körpergröße entsprechend gab es für die Schüler zwei niedrigere Sitzhöhen mit 36cm bzw. 42,5cm. Das jüngste Mitglied im Ameisenhügel ist der „3208“.

Weicher Kern – harte Schale: Schwan und Ei

Biomorphe, unter dem Einfluss des natürlichen Lebens geprägte Formen sorgten neben den (material-)technischen Neuerungen für weitere Fortschritte im Flugzeugbau der 1950er Jahre, einer der kommenden Schlüsselindustrien. Für die Luftfahrzeuge wurden biomorphe Formen als aerodynamisch günstig erachtet. In der Möbeltechnologie konnten diese Formen durch die neuen Schaumstoffe einfach realisiert werden. Verhinderten die Holzlaminate manch kühnen Entwurf, so waren die Schaumstoffe leicht und nahezu problemlos formbar. Schaumpolystyrol wurde 1951 von dem BASF-Chemiker Fritz Stastny beim Experimentieren mit Polystyrolsplittern entdeckt. Er füllte mit diesem Material eine Schuhcremedose zu etwa einem Fünftel. Danach erhitzte er die Dose in 100 Grad heißem Wasser. Das Polystyrol schäumte unter der Wärmeeinwirkung rasch auf. Nach dem Abkühlen blieb ein exaktes luftgefülltes Abbild der Dose, der Schaumstoff war erfunden. Die BASF vertreibt das Produkt unter dem Handelsnamen Styropor.

1957 sah Jacobsen, dass trotz des anhaltenden Erfolgs der Sperrholzserien der Zeitpunkt für Neuerungen und weitere geniale Entwürfe gekommen war. Der Sessel „Schwan“ (dänisch „Svanen“) vereinte nicht nur Rücken- und Sitzfläche, sondern auch noch die Armlehnen in einem einzigen Werkstück. Die Form der schräg ausgestellten und gerundeten Armlehnen begründen die tierische Namensgebung, die sicherlich wie all die anderen figürlichen Bezüge bei Jacobsens Stühlen und Sesseln zu deren Erfolg mit beigetragen haben. Die taillierte und oben breit ausgestellte Rückenlehne erinnert an die 3107er Reihe. Statt auf Holz saß man jetzt aber auf einer Schale aus Styropor, die inzwischen wegen der besseren Beständigkeit aus Polyurethan mit Glasfaserverstärkung gefertigt wird. Die Schale wurde schließlich mit einem Stoff- oder Lederbezug überzogen und auf eine drehbare Basis mit 4 Auslegern aus druckgegossenem Aluminium montiert. Die Form der Schale erlaubte verschiedene – auch legere – Sitzpositionen. Den Modetrends folgend wollte Fritz Hansen 1960 den Schwan mit rotem Stoff beziehen, was Jacobsen wegen seiner prinzipiellen Aversion gegenüber schreienden Farben zunächst noch verhindern konnte. Die lederbezogenen Versionen entsprachen Jacobsens Philosophie, erforderte das widerspenstige Material doch das ganze handwerkliche Können der Sattler.

Das „Ei“ („Ægget“) ist vom Konstruktionsprinzip gleich dem „Schwan“, nur dass die Rückenlehne weiter nach oben gezogen ist und die zum Schwan identische drehbare Basis mit 4 Auslegern etwas niedriger ist. Die voluminöse Form offenbart die Absicht, eine Art Schutzschild gegenüber der Umwelt zu suggerieren, und schafft eine besondere Art der Privatsphäre auch im öffentlichen Raum eines Cafes oder einer Hotelhalle. Schon eine geringe Anzahl von diesen Sesseln erzeugt eine ihnen eigene, besondere Atmosphäre selbst in großen Räumen wie der Eingangshalle von Jacobsens „Hotel Royal“ (oder „SAS Hotel“) (1956-61) im Zentrum Kopenhagens. Wie der „Schwan“ rotiert das „Ei“, so dass der in ihm Verweilende leicht jede gewünschte Raumrichtung wählen kann, frontal einem Gegenüber kommunikativ zugewandt oder mit einer 180° Drehung durch die Rückenlehne isoliert. Arne Jacobsen hatte ursprünglich nur eine mit Leder bezogene Version vorgesehen, aus Vertriebsgründen wurde er gezwungen auch ein Stoff bezogenes Modell mit zu tragen. Bemerkenswert ist, dass der Sessel entgegen seinem wuchtigen Aussehen, dank der leichten Schale nur etwa 7 Kilogramm wiegt.

Eine weniger eigenständige Entwicklung als Schwan und Ei war der Lehnstuhl „Mulde“ („Gryden“ oder „Pot chair“) FH 3318 für die Firma Fritz Hansen im Jahr 1958/59. Nicht zu leugnen ist bei dessen Gestaltung und Konstruktion die Nähe zum älteren „LAX“- Stuhl mit Glasfiberschale von Eames oder dem „Womb“- Sessel von Eero Saarinen von 1948, wodurch seine Bedeutung limitiert wird. Er war ein handwerklich solider, gepolsterter Schalenstuhl, der wie der „LAX“- Stuhl auf einem Kreuzgestell aus Metallrohr mit leicht ausgestellten Beinen ruhte. „Gryden“ wurde nur bis Ende der 1960er Jahre produziert.

AJ-Besteck

Bei dem AJ-Besteck beweist sich Jacobsen wieder als Meister der Reduktion, auf den ersten Blick besteht Verwechslungsgefahr mit Wegwerfbesteck aus Plastik in modernen Passagierflugzeugen oder medizinischen Instrumenten. Auffälligstes Merkmal des Bestecks ist das Fehlen des Übergangs zwischen Griff und Blatt. Anfangs wurde mit ihm im Restaurant des SAS-Hotels gedeckt, nach Protesten der Gäste über das ungewöhnliche Speisewerkzeug wurde es durch ein Besteck vertrauter Form ersetzt. Das 1957 entworfene Besteck ist aus mattem oder hochglanzpolierten rostfreiem Stahl hergestellt.

Der ohnehin hohe Bekanntheitsgrad der Essbesteckserie „AJ“ wurde durch den Film „2001: Odyssee im Weltraum“ noch größer, da sie der Regisseur Stanley Kubrick für den in den 1960er Jahren gedrehten Film als Teil der Filmausstattung erkoren hatte.

AJ-Leuchten

Die AJ-Leuchte wurde 1959 von Jacobsen eigens für das „Hotel Royal“ in verschiedenen Versionen als kleine und große Tischleuchte und als Wand- und Stehleuchte entworfen, die so genannte Leuchtenserie „Royal“. Der markante Reflektor war schroff in abwärts geknickter und schräger Tütenform ausgeführt. Das Profil der Leuchte mit seinen geraden Linien, rechten und schiefen Winkeln steht formal in einer Entwicklungsreihe mit den 3300 Stühlen bzw. mit Jacobsens Gebäuden mit unregelmäßigen Ansichten. Mit dem eiförmigen Lampenfuß, der an die organischen Formen der Schalensessel erinnert, stellt sie sich als Mischung zwischen diesen gegensätzlichen Formenwelten dar. Gegenüber der Tischleuchte besitzt die Stehleuchte einen höheren Lampenstil, größeren Fuß und einen geringfügig kürzeren Schirm.

Bei der Wandleuchte, die nicht mehr produziert wird, war der Schirm noch kürzer. Dem Reflektor schloß sich übergangslos die lange, zylindrische Fassungshülse an, die über einen scharnierten Rundstabarm mit einer Rundscheibe als Wandbefestigung und zugleich Abdeckung des elektrischen Anschlusses verbunden ist.

Die schwenkbaren Schirme der AJ-Leuchten sind aus Aluminium, Leuchtenstile und Arme aus Stahlrohr und die Füße aus Gusseisen. Hergestellt wurden die Leuchten im Werk von Louis Poulsen & Co.

Geschirrserie „Cylinda Line“ – 1967

Für Arne Jacobsen war es eine Herausforderung der traditionellen Neigung der Mittelschicht zu hochwertigem Material, sprich Silber, durch modernen Stahl in hochwertigem Design zu begegnen. Er verzichtete bewusst auf die Imitation von Gegenständen aus Silber und arbeitete für eine demokratische Veränderung der Geschmacksvorlieben. Im Interview gesteht er: „Das Wort ‚Geschmack’ kann ich nun mal nicht ertragen, das passt eher auf Damenhüte. Ich würde es nennen: künstlerische Einstellung, ob man offen ist, ob man wach ist. In gewisser Weise ist der Sinn für Qualität besser geworden, das Statussymbol der kleinen Dinge ist verschwunden, man kann sich durchaus erlauben, rostfreien Stahl zu haben, auch wenn der Nachbar Silber hat.“ Jacobsen wollte erzieherisch wirken, den Geschmack der Mittelklasse in Richtung „guter Form“ lenken, in der Hoffnung, dass er sich von dort auf die gesamte Bevölkerung ausbreitet. Bei der aus anfangs 18 verschiedenen Teilen (heute 34 Teile) bestehenden Geschirrserie „Cylinda Line“ aus Chromnickelstahl bilden verschieden große Zylinder die Grundform. Anstatt, wie anfangs geplant, handelsübliche Standardrohre aus rostfreiem Stahl als Ausgangsmaterial zu verwenden, schnitt man aus rostfreien Stahlplatten die Zylinderwände, bog sie zum Rohr, verschweißte sie und bürstete zum spurlosen Verschwinden der Schweißnähte die Oberfläche, was erstaunlicherweise finanziell günstiger gewesen sein soll. Die Dimensionen der Standardrohre übernahm man.

An den Kannenköpern steigen einseitig abgeflachte Tüllen schräg auf. Die mit dem Gefäßkörper bündig abschließenden Rundscheibendeckel sind mit einem Rundscheibenknauf versehen, der Griff ist aus schwarzem Kunststoff. Zur Teekanne gibt es ein passendes Teesieb in Halbkugelform mit drei montierten Griffstäben, das in ein ebenfalls zylindrisches Tropfgefäß eingehängt ist. Einige geringfügige Änderungen machten aus dem Tropfgefäß einen Aschenbecher in identischer Form, aber etwas größer. Dem zylindrischen Gefäß dienen hier zwei Einschnitte am oberen Rand zur Aufnahme einer eingepassten drehbaren Halbkugelschale. Im Ruhezustand mit der Wölbung nach unten nimmt die Schale die Asche auf, durch eine halbe Drehung wird sie ausgeleert und verschließt nach einer weiteren halben Drehung die übel riechenden Reste. Für den Entwurf „Cylinda Line“ erhielt Jacobsen 1967 den ID Preis des dänischen Designrats, für die prägnante Form, erstklassige Verarbeitung und das gut zusammengestellte Programm. Der Hersteller war die dänische Firma Stelton.

Spätes Werk

Noch 1971, in seinem Todesjahr und somit Beweis für Jacobsens ungebremsten Tatendrang, entwarf er einen Speisezimmerstuhl und einen Tisch für die finnische Firma ASKO. Ganz dem aktuellen 70er Jahre Trend folgend, ging er wie schon bei der „Cylinda Line“ Serie von Kreis und Zylinder als gestalterischen Grundelementen aus. Der 69,5 cm hohe Tisch mit einem Durchmesser von 130 cm der runden Tischplatte steht stabil auf einer offenen, zylindrischen Standkonstruktion, die beidseitig in Bogenform ausgeschnitten ist. Der Stuhl aus viellagigem Sperrholz erhielt eine Ovalform mit eingepasstem querovalem Sitz und einem mit hellbraunen Leder bezogenen flachen Sitzkissen. 4 verschiedene Holzarten in sieben verschiedenen Beizen oder 12 verschiedene Lackierungen boten eine für Jacobsen untypische riesige Wahlmöglichkeit. Zusätzlich erlaubte er Kombinationen, zum Beispiel konnten Platte und Sockel des Tisches verschiedenfarbig sein. Damit und auch bei der Form, die wenig Komfort und Funktionalität bot, entfernte sich Jacobsen weit von der Philosophie und Qualität seiner besten Entwürfe. Ein Tribut an den Zeitgeist.

Arne Jacobsen hinterließ Designobjekte höchster Qualität, entworfen als Gebrauchs-Gegenstände zur täglichen Benutzung, die schon bei ihrem Erscheinen frei von sich anbiedernder Modernität waren und als zeitlose Klassiker in die Geschichte des Möbelbaus eingegangen sind.

Literatur:

Carsten Thau & Kjeld Vindum, Arne Jacobsen, Kopenhagen, 2001.