… oder die spielerische Suche nach Schönheit!
Durchschnittlichkeit und Mittelmaß waren nie ihr Ziel. Das spiegelt sich schon in ihrer extremen Biografie wider, in der sie nahezu kein politisches System ausgelassen hat. Geboren und ausgebildet in der österreichisch-ungarischen K. u. K. Monarchie, weiter entwickelt in der fragilen Demokratie der Weimarer Republik, politischen Idealen folgend in die kommunistische UdSSR ausgewandert, hat sie schließlich ihre endgültige Heimat im Kapitalismus der USA gefunden. Dort zählt sie inzwischen zu den wichtigsten Industrie-Designerinnen des 20. Jahrhunderts, was in Deutschland, einer der prägenden Stationen ihres 105 Jahre langen Lebens, noch nicht der Fall ist. Dies soll sich mit der Ausstellung der Neuen Sammlung – The International Design Museum Munich (Staatliches Museum für angewandte Kunst) im Internationalen Keramik-Museum in Weiden vom 14. April bis 21. Juli 2013 nachhaltig ändern. Die Ausstellung zeichnet ihre künstlerische Entwicklung von den 1920er Jahren, in denen sie stark vom Bauhaus und französischen Art Déco beeinflusst wurde, hin zu dem von ihr entwickelten organischen Keramikdesign nach. Von besonderem Interesse dürfte hierbei das Schlaglicht sein, dass auf ihre Arbeit in Deutschland, genauer gesagt in Hirschau, zu Beginn der 1930er Jahre gerichtet wird. Dabei konnten einige bisher noch namenlose Entwürfe eindeutig Eva Stricker-Zeisel zugeordnet und datiert werden.
Elternhaus und Ausbildung
Am 11. November 1906 wurde Eva Polanyi Stricker in Budapest in eine weltoffene ungarische Unternehmerfamilie geboren. Die Mutter, eine promovierte Historikerin und politisch engagierte Feministin, arbeitete als Bibliothekarin und Herausgeberin, der Vater leitete eine Textilfabrik. Kunst- und Geschäftssinn wurde ihr somit in die Wiege gelegt.
Der erste Schritt der 17-Jährigen in Richtung künstlerischer Karriere war das Studium an der Kunstakademie (Képzomuveszeti Academie) in Budapest, das sie bereits nach drei Semestern wegen des Berufswunsches Keramikerin und ihres Strebens nach Unabhängigkeit beendete. Bereits mit achtzehneinhalb Jahren gründet sie nach einer kurzen Ausbildung in der traditionellen Budapester Töpferei von Jakob Karapancsik ihr eigenes Atelier, wo sie noch unter dem Einfluss der Wiener Werkstätte und der traditionellen Töpferkunst Ungarns steht. Rasch findet ihr Schaffen Anerkennung bis hin zur ungarischen Regierung, die sie in Philadelphia ausstellt. Erste Erfahrungen mit der industriellen Produktion sammelte sie 1926 mit einigen sehr verspielten Entwürfen für Aschenbecher und Schälchen in Tierform in der 1922 gegründeten Keramikmanufaktur in Kispest. Dem Eigentümer der Manufaktur war die mit Strickers Anstellung einher gehende künstlerische Ausrichtung des Unternehmens bald zu betont, weshalb bereits nach einem Jahr die Kunstabteilung schloss und die Fabrik nur noch Sanitärkeramik produzierte
Weiterentwicklung in Deutschland
Ihr Weg führte sie nicht zurück in ihre eigene Werkstätte, sondern nach Hamburg, wo die erst 22-Jährige ein halbes Jahr für die Manufaktur „Hansa Kunstkeramik“ von Martin Zerkowski arbeitete. Da sie ihre Kreativität dem Auftrag nur vorgegebene Modelle zu wiederholen nicht unterordnen konnte, verließ sie Hamburg bereits im Frühjahr 1928 wieder.
Trotz ihrer nur geringen, bei der Kispester Manufaktur gesammelten Erfahrung auf dem Gebiet der industriellen Fertigung, erhielt sie im Herbst 1928 eine Anstellung als Keramikdesignerin bei der Schramberger Majolikafabrik im Schwarzwald, was für sie den Schritt vom Handwerk zum Design bedeutete. Ein befreundeter Architekt lehrte sie das Zeichnen von Entwürfen, da für die industrielle Herstellung maßhaltige Zeichnungen sowohl für die 1:1-Schnittmodelle aus Papier als auch als für die dreidimensionalen Modelle aus Ton oder Gips, nach denen schließlich die Gussformen erstellt wurden, benötigt wurden. In Schramberg lernte sie vom Entwurf über die Ausführung bis hin zum Merchandising alle Bereiche moderner industrieller Produktion kennen. Werbeprospekte und –anzeigen gestaltete sie selbst – mit von ihr selbst gemachten Fotos endloser Reihen an Kannen und Krügen. Diese persönliche Weiterentwicklung zusammen mit ihrem Wissen um die Entwicklungen am Bauhaus und in Frankreich schlug sich in der Folge in der geometrischen Formensprache ihrer sachlichen Entwürfe nieder. Nach dem Besuch der Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Paris schrieb sie, dass der Gestalter den Zusammenhang zwischen Funktion, Material und Produktionsbedingungen genau kennen muss. Sie fordert in der Zeitschrift „Die Schaulade“ (8. Jg, 1932, H.3/4, 174) Einfachheit für die Produktion besonders in Hinblick auf preisgünstige Ware: „So wenig also bis an die Grenze der Geschicklichkeit des Arbeitspersonals gegangen werden kann, so wenig können die letzten Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Material inne wohnen ausgenützt werden, da sonst … viel zu viel Ausschuß entsteht“. Sie regt weiterhin ovale Formen zur Kostenersparnis durch Optimierung der Füllung der Brennöfen an, ohne Einschränkung des Vergnügens der Benutzer.
Vom provinziellen Schramberg sprang sie etwa im Januar 1931 in das pulsierende kulturelle Leben der Metropole Berlin, wo sie für den größten deutschen Keramikproduzenten, die Christian Carstens Kommissions-Gesellschaft, arbeitete. Aus Berlin versorgte sie deren Hirschauer Steingutfabriken in der Oberpfalz mit bis dato ihr nicht zugeschriebenen Entwürfen, von denen – und dies ist das Besondere dieser Ausstellung – erst ganz aktuell einige Modelle verifiziert werden konnten.
Entwürfe für Hirschau
Bisher war so gut wie nichts über Eva Stricker-Zeisels Arbeiten für „Hirschau“ in ihrer veröffentlichten Biografie bekannt. Hintergrund für ihr Engagement beim Keramikkonzern Carstens war das Modernisierungsstreben der beiden Eigentümer, der Carstens-Brüder, das sie zur Anstellung arrivierter oder aufstrebender Gestalter bewog. Mit ihren Schramberger Arbeiten als Referenz sollte die erst 25 Jahre alte Eva Stricker-Zeisel das Hirschauer Angebot aktualisieren.
Die meisten Dokumentationen über Strickers Wirken für Hirschau sind wahrscheinlich wegen des Desinteresses am „entarteten“ Werk einer Jüdin in Nazi-Deutschland oder in den Nachkriegswirren verloren gegangen. In Hirschau wurden kürzlich jedoch einige Werbeblätter, vermutlich aus dem Jahre 1933, gefunden, mit denen sich nun fünf verschiedene Kaffee- und Teegeschirre der Designerin zuordnen lassen. Vier tragen als Bezeichnung die Buchstaben C, R, S, T und eines den Namen der nahe gelegenen Stadt „Nürnberg“.
Auf Einzelobjekten wie Schalen, Vasen, Butterdosen, Aschenbechern oder den damals beliebten Rauchersets ist meist auf dem Boden eine Formnummer zu finden. Nach dem jetzigen Stand der Forschung sind dies Zahlen zwischen 140 und 218.
Dank der Werbeblätter ist nun auch die exakte Zuordnung der Dekore möglich, die sich gegenüber ihrem Schramberger Werk signifikant verändert haben. Anstelle kräftiger und kontrastreicher Dekore mit breiten Linien treten in Hirschau feine, wohl proportionierte Stricheldekore in etwa sieben Farbkombinationen mit Dekornummern zwischen 903 und 920.
Entworfen zwischen Anfang 1931 und Ende 1931 erschienen die Produkte in der Werbung und im Verkauf frühestens im zweiten Halbjahr 1931, verstärkt ab 1932. Die Geschirre wurden unterschiedlich lange produziert, mit am längsten vermutlich das erfolgreiche Teeservice mit der Bezeichnung „T“, das wahrscheinlich bis 1935 in der Produktion blieb.
Unglücklicherweise war Eva Stricker-Zeisels Hirschauer Zeit von der Weltwirtschaftskrise überschattet, weshalb nur wenige ihrer Kreationen für Hirschau für die Nachwelt überdauert haben. So musste die Hirschauer Keramikmanufaktur infolge der Depression 1932 einige Monate lang die Produktion gänzlich ruhen lassen.
Für die künstlerische Entwicklung der Gestalterin war die kurze Schaffensperiode für Hirschau trotzdem wegweisend. Hier begann der Wandel ihrer Formensprache weg von der Geometrie von Bauhaus und Art Déco und hin zu weichen, runden Formen, die sie in den 1940er und 1950er Jahren in den USA unter der von ihr gewählten Bezeichnung „organic design“ weiter entwickelte.
Als Tochter einer politisch denkenden Feministin ist es kaum verwunderlich, dass sie die aus der industriellen Revolution entstanden neuen Formen des menschlichen Zusammenlebens kritisch analysierte und gestalterisch verbessern wollte. Angeregt durch die 1926 von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky im Auftrag des damaligen Frankfurter Siedlungsdezernenten Ernst May entworfene Frankfurter Küche, die die Arbeitsabläufe auf knapp bemessenem Wohnraum rationalisieren sollte, sondierte Eva Stricker-Zeisel platzsparende Formen für das Geschirr und denkt laut über einen Vorläufer des „Stapelgeschirrs“ nach. Bereits die ovalen Grundformen ihres Hirschauer Geschirrs C ließen sich im Geschirrkasten enger platzieren.
Aufstieg und Fall in der UdSSR
Im Januar 1932 fiel ihr Entschluss in die UdSSR zu übersiedeln, da sie sich für das vermeintlich fortschrittliche sowjetische Gesellschaftsmodell interessierte. Nach der Besichtigung einiger ukrainischer Fabriken, wurde sie im Sommer 1932 Designerin bei der Lomonosov-Manufaktur in Leningrad, vormals und heute wieder St. Petersburg, angestellt. Im Jahr 1934 wechselte sie nach Moskau zur Firma Dulevo, der damals weltweit größten Keramikmanufaktur. Rasch stieg sie dort zur künstlerischen Leiterin der sowjetischen Keramikindustrie auf, wurde aber bald darauf als mögliche Attentäterin Stalins denunziert, und fiel in Ungnade. Nach einer 16 Monate währenden Internierung, reiste sie über Wien nach England. Dort heiratet sie Hans Zeisel und emigrierte mit ihm 1938 in die USA.
Endgültiger Durchbruch in den USA
Im Oktober 1938 betrat sie in New York zum ersten Mal amerikanischen Boden. Schnell etablierte sie sich in der neuen Welt, entwarf zunächst einige Geschenkartikel und begann im September 1939 eine Lehrtätigkeit im Fach Keramikdesign am Pratt Institute. Ohne eigene praktische Erfahrung in der Lehre, definierte sie rasch ein neuartiges Lehr-Konzept, das den Ausbildungsschwerpunkt vom Handwerk zum Industriedesign hin verlagerte. Durch die von ihr initiierte Zusammenarbeit mit Fabriken, konnten die Studenten nun ihre theoretischen Übungen in der Praxis umsetzen.
Endgültige Anerkennung in ihrer neuen Heimat errang sie mit dem Service „Museum“ für die Castleton China Company in New Castle. Das in den Jahren 1942-45 entworfene Geschirr kam wegen des Zweiten Weltkriegs erst 1946 auf den Markt – öffentlichkeitswirksam präsentiert auf einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York. Die sich bereits in Hirschau andeutende Hinwendung zu organischen Kurven, weg von der strengen Geometrie des Art Déco, wird formal beim Service „Museum“ vollzogen. Mit ihren Arbeiten verhalf sie dem organischen Design in den USA zum Durchbruch, für sie blieb es die folgenden Jahre das bestimmende Thema. Weitere bedeutende Entwürfe dieser Jahre für die US-amerikanische Keramikindustrie sind das preisgünstige Steingut-Service „Town and Country“ (1946) für die Red Wing Pottery in Minnesota, das Maßstäbe für den organisch-biomorphen Stil Eva Stricker-Zeisels setzte. Um 1950 entstand ihr wohl populärstes und bekanntestes Service „Tomorrow´s Classic“, das zunächst niemand produzieren wollte, bis sich 1951 die Firma Hall China of East Liverpool in Ohio zur Aufnahme des Porzellans in die Produktpalette entschloss. Damit einher ging die Verpflichtung für sie, im ersten Jahr neun Dekore und jeweils 3 Dekore in jedem Folgejahr abzuliefern. Dadurch geriet sie ins Konfliktfeld Dekor, das von den Vertretern der Moderne entschieden abgelehnt, vom Handel aber gefordert wurde. Sie entzog sich elegant der Auseinandersetzung, indem sie den Käufern riet: „When in doubt, buy white.“
Ab den späten 1940er Jahren beschränkte sie sich nicht mehr auf das Keramik-Design, sondern schuf auch Möbel und Leuchten aus Kunststoff, Holz, Metall oder Glas.
Der Niedergang der amerikanischen Keramikindustrie gegen Ende der 1950er Jahre zwang Eva Stricker-Zeisel sich nach neuen Auftraggebern umzusehen. Diese fand sie in den nach dem verlorenen Krieg darniederliegenden, aber jetzt auf den auf dem Weltmarkt drängenden Ländern Deutschland, Italien und Japan: im Oktober 1957 beauftragte sie Philip Rosenthal mit der Gestaltung eines Geschirrs. Im November 1957 entwickelte sie in Selb mit den Modelleuren von Rosenthal drei Alternativen. Rosenthal wählte den sachlichsten Entwurf mit markanten, tropfenförmig aufsteigenden Deckelknäufen aus.
1958 führte es sie nach Italien, wo sie für die italienische Firma Mancioli in Montelupo neben Geschirren auch Raumteiler aus Keramik entwarf.
1963 stand sie in den Diensten von Noritake in Nagoya, jedoch wurde von diesen Entwürfen kein einziger produziert. Genauso erging es ihren Vorschlägen für das Unternehmen Bengal Potteries in Calcutta.
Um 1963 arbeitete sie ein vorläufig letztes Mal für die US-amerikanische Keramikindustrie, und zwar bei der Hyalyn Porcelain Company of Hickory in North Carolina. Mitte der 1960er Jahre pausierte sie mit ihrer Tätigkeit als Entwerferin, bis sie in den 1980er Jahren für die ungarischen Manufakturen Zsolnay und Kispester Granit neue Objekte schuf – back to the roots!
Trotz reger Entwurfstätigkeit für die Industrie über einen Zeitraum von etwa 80 Jahren, sah sich Eva Stricker-Zeisel nicht als Industriedesignerin. Sie, die vorhandene Dinge nur schöner, eleganter und bequemer machen wollte, verband mit Industriedesign stets das Streben nach völlig Neuem, was nie ihr Ziel war.
Eva Stricker-Zeisel – Keramikdesign oder die spielerische Suche nach Schönheit
Ausstellung 14. April bis 21. Juli 2013
Internationales Keramik-Museum, Weiden
Veranstalter: Die Neue Sammlung – The International Design Museum Munich (Staatliches Museum für angewandte Kunst)