Die erste große Retrospektive zu Leben und Werk des international renommierten Architekten und Designers Egon Eiermann (1904-1970) wurde anlässlich seines 100. Geburtstages vom Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau an der Universität Karlsruhe, wodas Werkarchiv von Egon Eiermann bewahrt wird, in Zusammenarbeit mit der Städtischen Galerie Karlsruhe und dem Bauhaus-Archiv Berlin ausgerichtet. Die Neue Sammlung – das Staatliche Museum für angewandte Kunst in München – gewann diese Partner für eine dritte Station und kann diese hochkarätige Ausstellung daher im Sommer 2005 in ihrer Dependance im Neuen Museum, Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg vom 15. Juli – 25. September 2005 zeigen. Diese deutsche Design- und Architekturlegende wird ein Ausstellungshöhepunkt in Nürnberg werden, der die Fans der Fifties Kultur ebenso wie die Designfreaks in seinen Bann ziehen wird.
Eiermann verbrachte seine Kindheit und Schulzeit im Kaiserreich, seine Jugend und Studentenzeit in der Weimarer Republik und arbeitete schließlich unter den rigiden Bedingungen der nationalsozialistischen Herrschaft. Die in all diesen Staatsformen erfahrenen Eindrücke prägten ihn und er wiederum prägte die junge Demokratie der Bundesrepublik. Mit seinen undogmatischen, an den Idealen des Bauhauses orientierten Entwürfen bestimmte Egon Eiermann (1904-1970) wie kaum ein anderer Gestalter das Bild der demokratischen, auf Bescheidenheit bedachten jungen Bundesrepublik. Von ihm stammt der Lange Eugen in Bonn, das Abgeordnetenhaus der alten BRD. Geradezu Symbolcharakter gewann seine Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin. Die Ausstellung im Staatlichen Museum für Kunst und Design fokussiert das vielfältige Schaffen dieses großen Entwerfers in klar strukturierter Konzentration auf besonders beispielhafte Projekte. Skizzen, Planzeichnungen, Fotografien und schriftliche Quellen bieten zusammen mit Modellen, Möbeln, Leuchten, Einrichtungsgegenständen und anderen dreidimensionalen Elementen ein lebendiges Bild sowohl der Großarchitekturen als auch der unzähligen Möbel und Gebrauchsgegenstände: seine berühmten Schalensessel, seine mit den haptischen Qualitäten von Stein, farbig glasiertem Ton oder edlen Hölzern arbeitenden Vasen und Leuchter, Stehlampen und Deckenfluter, Garderobenständer, Beistelltische und Paravents.
Eiermann wird am 29. September 1904 in Neuendorf, Kreis Teltow bei Potsdam, geboren. Damit ist er rund 20 Jahre jünger als das „Dreigestirn“ der modernen Architektur, Walter Gropius (1883-1969), Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) und Le Corbusier (1887-1965). 1922 schließt er das Althoff-Realgymnasium in Nowawes bei Potsdam mit dem Abitur ab. Noch im selben Jahr schließen erste praktische Erfahrungen am Bau und im Handwerk als Maurer, Zimmerer und Tischler an die Schule an. Bereits bei der Wahl der Universität im Jahr 1923 legt er mehr Wert auf solide Kenntnisse als auf Experimente, und gibt dem Studium an der bodenständigen Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg den Vorzug vor einer Ausbildung am künstlerisch-experimentellen Bauhaus in Weimar. An der TH wird noch traditionell gelehrt, das Zeichnen von Gebäuden in allen Stilen gehört zur Ausbildung, die er 1927 erfolgreich mit dem Diplom beendet. Parallel dazu ist er von 1925 – 1928 Meisterschüler beim liberalen Hans Poelzig, der prägenden Einfluss auf ihn hat. In den Jahren 1928/29 arbeitet er als Architekt im Baubüro der Karstadt AG in Hamburg, 1929/30 bei den Berliner Städtischen Elektrizitätswerken. In den frühen 1930er Jahren entstehen Eiermanns erste eigene Bauten; von 1930 – 1945 ist er selbständiger Architekt in Berlin, bis 1934 in Bürogemeinschaft mit Fritz Jaeneke. Im Jahr 1931 wird er Mitglied im Deutschen Werkbund, 1933 im Bund Deutscher Architekten. 1936 unternimmt er seine erste Reise in die USA, die aufstrebende neue Wirtschaftsmacht, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Es schließt sich 1937 die Fahrt ins mondäne Paris und der Besuch der dortigen Weltausstellung an. Auch Eiermann bleibt von den Folgen des Kriegswahnsinns nicht verschont, sein nach Beelitz verlegtes Büro wird 1945 zerstört und Eiermann flüchtet nach Buchen im Odenwald. Von 1945 an nimmt er seine Arbeit als selbständiger Architekt in Buchen und Mosbach wieder auf und wird zusätzlich bis 1948 Leiter der Staatlichen Bauberatungsstelle für die Landkreise Buchen, Mosbach und Tauberbischofsheim. Von 1946 – 1966 arbeitet er mit Robert Hilgers in einer Bürogemeinschaft zusammen, zunächst noch im Odenwald, ab 1948 in Karlsruhe.
Unter der NS-Herrschaft blieb Eiermann, im Gegensatz zu den meisten seiner in Deutschland verbliebenen Kollegen, sich und der modernen Architektur treu, war weder Parteimitglied noch Sympathisant der Bewegung. Seine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus qualifizierte ihn nach 1945 als Identifikationsfigur für die kriegsmüde Heimkehrer-Generation. Eine ideale Plattform in der Zeit des Neuanfangs und Wiederaufbaus bietet sich ihm mit einem Lehrstuhl an der Fakultät für Architektur an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, den der charismatische Professor ab 1947 innehat. Nachdem ihn 1950, wie noch einmal später in 1956, eine Studienreise erneut in das Land der Siegermacht USA geführt hat, wird er 1951 Gründungsmitglied des Rates für Formgebung. Im Jahr 1955 wird er zum Mitglied der Akademie der Künste in Berlin ernannt. Dem Planungsrat für die Neubauten des Bundestages und Bundesrates in Bonn gehört er ab 1962 an, 1963 wird er Honorary Corresponding Member des Royal Institute of British Architects in London. Die Ehrendoktorwürde der Technischen Universität Berlin empfängt er 1965, den Großen Preis des Bundes Deutscher Architekten und das Große Bundesverdienstkreuz 1968. Er wird noch Mitglied des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1970 und verstirbt, knapp 66 jährig, am 19. Juli 1970 in Baden-Baden.
In diesem Beitrag soll besonders auf das gestalterische Wirken Eiermanns eingegangen werden, weniger auf seine Architektur. Es stellt sich zunächst die Frage, wie der Architekt nach dem 2. Weltkrieg zum Möbeldesign kam? Nach Kriegsende gab es im zerbombten Deutschland nur eines im Überfluss: Nachfrage. Wegen der massenhaften Kriegszerstörungen, vor allem in den dichtbesiedelten Großstädten, und der immensen Anzahl an Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, bestand neben vielen anderen Dingen des Grundbedarfs auch ein enormer Bedarf an neuen Möbeln. Die Randbedingungen der Möbelproduktion hießen also hohe Produktionszahlen und günstiger Preis. Den staatlichen Planern der Mangelwirtschaft war wie den designorientierten Gruppen (z.B. Deutscher Werkbund) bewusst, dass diese beiden Prämissen nur mit industriell gefertigten Möbeln zu erfüllen waren. Aber erst nachdem das Durcheinander der Nachkriegswirren überstanden war und sich die Lage politisch wie wirtschaftlich stabilisiert hatte, konnte man systematisch und effektiv mit der Lösung des Problems beginnen. Ein Instrument dafür war zum Beispiel der Ende 1948 vom Wirtschaftsministerium Württemberg-Baden ausgeschriebene „Wettbewerb zur Förderung des neuzeitlichen Möbelbaus“, dessen Wirkung immens war (Württemberg-Baden, nicht zu verwechseln mit dem erst 1952 gegründeten Südweststaat Baden-Württemberg). „Die Aufgabe bestand darin, zweckmäßige und materialgerechte, haltbare und geschmacklich gute, vor allem aber preiswerte Möbel zu gestalten“ (Möbelkultur, 1, 1, 1949, S.27). Als besonderen Anreiz durften die Gestalter auf die Serienproduktion der vom Preisgericht anerkannten Modelle auf Staatskosten hoffen. Überdies sollten die Preisträger auf der Ausstellung „Wie Wohnen?“ in Stuttgart und in Karlsruhe den Produzenten und Kaufinteressenten vorgestellt werden, und diesen als Vorbild angedient werden. Die Aufgabenstellung wäre eigentlich ganz nach dem Geschmack der Bauhäusler gewesen, die sich schon 20 Jahre vorher Gedanken zur industriellen Serienfertigung gemacht hatten. Nur gab es das Bauhaus 1948 nicht mehr, da es bereits 1933 als entartet verboten worden war. Nach 12 Jahren völkisch geprägter, rückwärts gewandter Ideologie herrschte weitgehende Sprachlosigkeit auf die Frage nach der Definition des zeitgemäßen und modernen Wohnens.
Trotzdem eröffneten sich den Designern verschiedene Optionen. Darunter die Ideen des bereits erwähnten Bauhaus‘, das wie die Gestalter des Neuen Frankfurt, in den Zwanziger Jahren erste vielversprechende Experimente ausgeführt hatte, mit dem Ziel einer industriellen Fertigung moderner, erschwinglicher und hochwertig gestalteter Möbel. Diese Möglichkeit ergriffen nun die Ex-Bauhäusler Eduard Ludwig und Gustav Hassenpflug. Ihre montierbaren Möbel waren durchaus erfolgreich und wurden 1949 beim Wettbewerb in Württemberg-Baden prämiert. Andere Designer orientierten sich an dem skandinavischen Design, wie es zum Beispiel Alvar Aalto und Bruno Mathsson mit ihren flächig gebogenen Sperrholz Konstruktionen im industriellen Möbelbau eindrucksvoll in den Dreißiger Jahren demonstriert hatten. Die größten Innovationen im Möbelbau fanden allerdings in den USA statt, wo Designer wie Eero Saarinen und Ray und Charles Eames sehr erfolgreich mit neuen, maschinell verarbeitbaren Materialien wie Kunststoff und Formsperrholz experimentierten. Diese Materialien waren ideal für die Produktion von organisch geformten Möbeln, die in den 1940er Jahren zu dem in den USA vorherrschenden Stil zählten, nachdem die 1930er Jahre vom Streamline Design bestimmt waren.
Aus all diesen Quellen konnten die deutschen Nachkriegsdesigner schöpfen, was letztendlich bedeutete, auf den eigenen Erfahrungen aufzubauen, unter zu Hilfenahme ausländischer Neuerungen, aber auch unter Berücksichtigung der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse, die Prognosen zum Käuferverhalten erschwerten. Am erfolgreichsten trat Egon Eiermann diesen Anforderungen entgegen. Er verstand es unter seinen Kollegen am besten, Kenntnis der Materialien und Techniken, konsequenten Formwillen, Kreativität, Offenheit für Neues und Durchsetzungsfähigkeit zu vereinen, und stellte dies eindrucksvoll bei der stark beachteten Stuttgarter Schau unter Beweis. Auf dieser Ausstellung konnten bevorzugt die Sieger des „Wettbewerbs zur Förderung des neuzeitlichen Möbelbaus“ und solche Modelle, die neue Werkstoffe und Verarbeitungstechniken erschlossen, begutachtet werden. Egon Eiermanns spezieller Auftrag in Stuttgart lautete, eine 4-Zimmer Wohnung für eine 5-köpfige Familie zu entwerfen und zu möblieren. Im Zentrum der Wohnung stand das kombinierte Wohn-, Arbeits- und Esszimmer, das im Mangel an Wohnraum in den Nachkriegsjahren begründet war. Eiermannfasste seine Vorstellung, wie die Möblierung der deutschen Nachkriegswohnung in den mageren Zeiten noch vor den nicht absehbaren Wirtschaftswunderjahren aussehen sollte, mit folgenden Satz zusammen: „Dem traditionellen japanischen Wohnraum vergleichbar sollte Zurückhaltung walten, damit der Mensch nicht in Konkurrenz zur Einrichtung träte“ („Über das Möbel“, in: Die Landpost, Konstanz, 16. November 1945, S.2). Zurückhaltung war überhaupt das gesellschaftliche Gebot der Stunde im Land der Verlierer. Entsprechend konstruierte Eiermann aus einfachen Brettern Korpusmöbel. Als Kontrast dazu schuf er auffällige, organisch geformte Sitzmöbel, die er großzügig im Raum aufstellte und die so ihre formale und technische Qualität darstellen konnten. Die Vielfalt an unterschiedlichen Möbeln Eiermanns aus Vollholz, Sperrholz, Korb und Stahlrohr zeichnete ein buntes, heiteres Bild hinsichtlich ihrer Farben, Formen und Materialien. Für einige Modelle, wie den Tisch mit der Naturholzplatte, variierte er lediglich frühere Entwürfe. Bei dem Stuhl der Essecke und dem Sessel mit ausklappbarer Fußbank ersetzte er Vollholz durch Sperrholz, was bei gleichzeitiger Beibehaltung seiner favorisierten Konstruktionsweise – Rahmen mit Korbgeflecht oder Gurten bespannt – zu technischen Komplikationen führte oder führen musste. Im Gegensatz dazu waren die von ihm für die ungewohnten Materialien völlig neu entworfenen Möbel problemlos in der Entwicklung. Das traf sowohl für den dreibeinigen Sperrholzstuhl am Schreibtisch wie für den Arbeitsstuhl mit Metallgestell zu. Eiermanns Kompetenz und Vielseitigkeit wird an der Vielzahl der Vollholz-, Sperrholz-, Stahlrohr- und Korbmöbel deutlich, an denen er die verschiedenen konstruktiven und formalen Möglichkeiten auslotete.
Besondere Verbundenheit empfand Eiermann gegenüber dem wichtigsten Produzenten seiner Modelle, der Esslinger Möbel- und Rolladenfabrik Wilde + Spieth. Hatte er vor 1945 seine Möbelentwürfe für die Produktion meist aus Massivholz und in Kleinserien konzipiert, nur für die Ausstattung seiner Bauten oder für den Eigenbedarf, musste er sich jetzt mit den Gegebenheiten und Anforderungen der industriellen Serienfertigung und mit der Typisierung vertraut machen. Im Frühjahr 1949, das Ziel Serienmöbel zu entwickeln vor Augen, begann die Zusammenarbeit mit Wilde + Spieth. Die Esslinger Firma akzeptierte den kompromisslosen Anspruch des Designers, Modelle zu entwickeln, die man aus Sicht des Gestalters „nicht besser machen kann“. Bei der Wahl des Produzenten war ein wichtiger Gesichtspunkt für Eiermann die schnelle Überprüfbarkeit seiner spontanen Ideen an Prototypen, was äußerste Flexibilität der ausführenden Firma verlangte. Belohnt wurde Wilde + Spieth mit der Monopolstellung, als einzige Firma bis zu seinem Tod alle seine Entwürfe – mit Ausnahme der Korbmöbel – produzieren zu dürfen, die sich schließlich zu der stattlichen Zahl von 35 Exemplaren summierten.
Die Firma Wilde + Spieth war sicherlich zu Beginn der Zusammenarbeit ein enormes unternehmerisches Risiko eingegangen. Als Vorleistung auf einen ungewissen wirtschaftlichen Erfolg, musste sie hohe Investitionskosten für die Herstellung der industrietauglichen Biege- und Presswerkzeuge stemmen. Diesem Wagnis stand ein typisch deutscher Verbraucher gegenüber, dem in den ersten Nachkriegsjahren die Moderne noch gänzlich fremd war, und dem ebenso das Interesse an dieser fehlte, angesichts des rauen Alltags. In Anbetracht der Neuartigkeit der Konstruktion, der Materialien und der Form prognostizierte Eiermann in einem vom Spiegel veröffentlichten Interview, dass „der Durchschnittskäufer nie sein Freund werden“ könne und die Möbel „unter uns [gemeint sind die Architekten] bleiben würden“ („Weg von Tante Frieda“, in: Der Spiegel, 4, 39, 1951, S.32f). Die Verkaufszahlen des SE 42 im Jahr 1951 bestätigten seine Befürchtung: 153 Stück.
Mit dem Sperrholzstuhl SE 42, einem Kunstwerk auf drei Beinen, beginnt 1950 die Reihe von Eiermanns Serienmodellen. Dieser weist große Übereinstimmungen mit dem „Dining Chair Wood“ DCW von Eames auf. Das US-amerikanische Ehepaar Ray und Charles Eames hat in den 1940er und 1950er Jahren legendäre und völlig neuartige Sitzgelegenheiten geschaffen. Der dreibeinige Sperrholzstuhl SE 42, den Eiermann 1949/50 für den Esslinger Rolladen- und Möbelhersteller Wilde + Spieth entworfen hatte, wurde auf der IX. Triennale in Mailand von verschiedenen Architekten und Mitarbeitern der ausländischen Abteilungen irrtümlicherweise Eames zugeschrieben. Augenscheinlich waren die Übereinstimmungen beider Entwürfe in den organisch gestalteten Sitz- und Lehnenplatten aus formgepresstem Sperrholz, die mit möglichst wenigen Befestigungspunkten auf dem Gestell aus gebogenen, montierten Sperrholzstreifen, aufgebaut wurden. Unterschiede werden erst bei genauerem Hinsehen deutlich, etwa in den verschiedenen Verbindungen der Bauteile oder – offensichtlicher – in der Anzahl der Stuhlbeine. Standfestigkeit verspricht das vierbeinige amerikanische Modell, der dreibeinige „Eiermann“ stellt diese in Frage. Beide Modelle gleichen Skulpturen; der Amerikaner mehr einer freien Plastik, der Deutsche nimmt mehr die Form eines Lebewesens auf. Zur Absatzsteigerung und zum einfachen Versand bot man um 1953/54 den Stuhl in Einzelteile zerlegt in einem flachen Karton zusammen mit einer beigelegten Montageanleitung an. IKEA lässt grüßen.
Die zu Beginn des Jahres 1949 erlassenen Beschlüsse der „Verwaltung der Wirtschaft“ ermöglichten der deutschen Industrie die Wiederaufnahme der Serienproduktion von Stahlrohrmöbeln. Mangels Alternativen griff man zunächst – wie auch bei den Holzmöbeln – auf Vorlagen aus den 1930er Jahren zurück. Zukunftsorientierte, neuartige Konstruktionen kamen nach teilweise mehrjähriger Entwurfs- und Entwicklungsarbeit erst zu Beginn der 1950er Jahre auf den Markt, die Modelle Eiermanns waren die einflussreichsten.
Zur Gruppe der Stahlrohr-Stühle zählt der SE 68, der auch als stapelbarer SE 68 S erhältlich war. Der Entwurf dieses Serienmodells datiert im Jahr 1951, produziert wurde er von 1952 bis ca. 1993. Dieser unglaublich lange Zeitraum unterstreicht die hohe, zeitlose Ästhetik dieses Stuhls, dem auch wechselnde Moden und Trends nichts anhaben konnten. Er zählt neben dem Klappstuhl SE 18 und dem Korbsessel E 10 auf Grund seiner langen Produktionsdauer zu den populärsten Modellen Eiermanns. Verwendung fand er häufig bei der Bestuhlung von Großräumen, wie etwa in Bibliotheken und Kantinen. Auf dem verchromten Stahlrohrgestell sind die plastisch geformten Teile Rückenlehne und Sitz aus lackiertem Sperrholz montiert, die Form dieser Sitz-/Lehnengarnitur hatte Eiermann vom Formsperrholzstuhl SE 3, dem Vorläufer des SE 42, übernommen. Als Schoner sind Stülpfüßchen aus farblosem Kunststoff an den Enden der Stahlrohre angebracht.
Ein weiteres Stahlrohr Serienmodell ist der Federdrehhocker SE 43, den es auch als Arbeitsstuhl in verschiedenen Ausführungen wie den Federdrehstühlen SE 1, SE 40, SE 40 R (mobil auf Fußlenkrollen), SE 40 A (mit Armlehnen), SE 41 und SE 140R gab. Allen gemeinsam sind die gute Funktionalität und der hohe Sitzkomfort, die sich aus der variablen Höheneinstellung und dem Federmechanismus ergeben. Eiermann entwarf den Hocker zwischen 1949 und 1952, bei Wilde + Spieth wurde er von 1953 bis ca. 1975 ausgeführt. Sein Stahlrohr Gestell ist verchromt, die Sperrholz Sitzplatte abgedreht. Die Stülpfüßchen aus farblosem Kunststoff dürfen auch hier nicht fehlen.
Ein umsatzträchtiges Modell gelang Eiermann auch mit dem Klappstuhl SE 18, obwohl er die von Wilde + Spieth Ende 1952 an ihn herangetragene Bitte, einen Klappstuhl für das untere Preissegment zu entwerfen, zunächst abgelehnt hatte. Er beschäftigte sich stattdessen zu Beginn des Jahres 1953 mit der Entwicklung eines Klappstuhls in einer repräsentativen Ausführung mit Armlehnen, den er nach nur 3 Monaten rechtzeitig für die Industrie-Messe in Hannover fertig hatte. Die Berücksichtigung der schlechten wirtschaftlichen Situation führte jedoch zu einem Modell ohne Armlehnen, das durch seinen günstigen Preis und Platz sparende Lagermöglichkeiten (auf 1,5 qm passen 40 zusammengeklappte Exemplare) überzeugte. Mit seiner originellen, spannungsvollen Formgebung, soliden Konstruktion und hohen Funktionalität verdeutlicht er auch in hohem Maße das Gestaltungsideal seines Entwerfers: Besser geht’s nicht! Dank seiner multifunktionalen Verwendungsmöglichkeiten hielt er Einzug im Wohnzimmer, aber auch in Großräumen, in denen er mit Hilfe von Kupplungsbolzen und einer Bohrung im Vorderbein schnell zu geraden und gekurvten Anordnungen montierbar war. In Deutschland erhielt der Klappstuhl durch angesehene Fachpublizisten großen Bekanntheitsgrad in der breiten Öffentlichkeit, wissenschaftliche Anerkennung fand er 1956 durch seine Aufnahme in die Bildkartei vorbildlicher Entwürfe des Deutschen Werkbundes. Hohe Form- und Funktionsqualität zusammen mit seiner skandinavischen Attitüde brachten ihm viel internationales Lob, u.a. 1953 einen „Good Design Award“ des Museum of Modern Art in New York und ein Jahr später die Silbermedaille auf der Mailänder Triennale. Sein skandinavischer Charakter sicherte ihm auch Exporterfolge, besonders in die USA. Als einer der ersten „Exportschlager“ des jungen Nachkriegsdeutschlands verkaufte er sich in den Jahren von 1955 bis 1962 alleine in der Schweiz genau 9.162 Mal. Dieser Stuhlentwurf war wie viele andere Modelle nicht endgültig, sondern wurde von Eiermann im Laufe der Jahre vielfach variiert. 1961 erweiterte Eiermann ein letztes Mal die Variantenvielzahl, als Reaktion auf die steigende Intensität des „Wirtschaftswunders“ unter dessen Symbolfigur Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Der wachsende Wohlstand machte die Notbehelfe der frühen 1950er Jahre überflüssig, die unter Raum- und Finanznot litten. Eiermann steigerte die Attraktivität des Klappstuhls durch das Luxusmodell SE 18 L in Teakholz mit weißen Gummistopfen und schwarzen Beschlägen mit mattschwarzen Sitzen und Lehnen. Wie andere künstlerisch anspruchsvolle Möbel der 1950er Jahre aus dem Zeichenstift Eiermanns wird der SE 18 noch heute produziert.
Auf der Ausstellung in Nürnberg ist auch der Armlehnstuhl SE 119A zu bewundern. Sein Vorgänger SE 19, der ursprünglich 1952 für die Matthäuskirche in Pforzheim zusammen mit Wilde + Spieth entworfen worden war, ist das erste Nachkriegsbeispiel eines Modells, geplant für ein spezielles Gebäude Eiermanns, das anschließend in die Serienfertigung ging. Für die spezielle Kirchenausstattung waren an der Stuhlrückseite ein Haken für die Handtasche oder den Hut der Kirchgänger vorgesehen, sowie eine Gesangsbuchablage, die einfach durch die verlängerte, nach hinten gebogene Rückenlehne realisiert wurde. Für die Serienfertigung des „Mehrzweckstuhls“ SE 19 ab dem Jahr 1953 ließ man den Haken weg, blieb aber aus dekorativen Gründen bei der Konsole der Buchablage. Die strenge Form war ihrer Zeit voraus und wurde vom kurvig-dynamisch geprägten Käufer eher verhalten aufgenommen. Erst gegen Ende der 1950er Jahre, als das Pendel zurück zum „Rechten Winkel“ und zur Sachlichkeit schlug, und das Modell von Eiermann für die Bestuhlung des Restaurants und der Weinstube des Deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Brüssel (1958) auserkoren wurde, stieg die Nachfrage. Für Brüssel hatte Eiermann das Modell u.a. hinsichtlich seines Sitzkomforts verbessert, indem er die Rückenlehne mit einer Einbuchtung ergonomischer gestaltete, wodurch aber auch die Konsole der Rückseite entfiel. Alle Änderungen wurden auf die Serienfertigung des übertragen. Die Präsentation des Stuhls auf der Deutschen Industriemesse 1958 in Hannover und der Möbelmesse 1960 in Köln „inspirierte“ etliche Konkurrenten sehr zum Ärger von Wilde + Spieth zu ähnlichen Modellen, sprich Plagiaten. Die Bedeutung des Stuhls für die Designgeschichte ermisst sich an der Passage im Aufsatz des Rechtsanwalts Ekkehard Gerstenberg über das Problem des Musterschutzes bei Sitzmöbeln in der Zeitschrift „Baukunst und Werkform“ (1965), in der er den Stuhl in einem Atemzug mit historisch bedeutsamen Klassikern wie dem Stahlrohrstuhl von Marcel Breuer , den Bandstahlmodellen von Mies van der Rohe und den Bugholzmodellen von Thonet nennt.
Mit Korbgeflecht bespannte Liegen und Stühle nach Entwürfen von Eiermann sind bereits aus seinen Berliner Jahren vor 1945 bekannt. Korbgeflecht verwendete der Architekt Eiermann darüber hinaus als architektonisches Element bei Außentüren und Zäunen. Indes sollte es erst 1948 zum Entwurf eines vollständig aus Korbgeflecht gebauten Möbels kommen, dem bis zu Eiermanns Tod 1970 eine Vielzahl von Sesseln, Bänken, Hockern, Tischen, Schirmständern, Bodenmatten und Papierkörben aus diesem Material folgten.
Die Gefahr der heute zum Beispiel bei Textilien und elektronischen Produkten, um nur einige Bereiche unter vielen zu nennen, bestehenden asiatischen Dominanz durch Billigimporte, sah Eiermann schon 1951 auf das deutsche Korbflechthandwerk zukommen. Deshalb versuchte er – wie schon der Jugendstil Künstler Richard Riemerschmid – diesem traditionellen Handwerk durch seine Entwürfe eine moderne Attitüde zu geben und das Überleben des in die Jahre gekommenen, „angestaubten“ Möbels in heimischen Betrieben zu sichern.
Der Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Korbflechter Friedrich Herr folgte nach Differenzen hinsichtlich der Qualität die Kooperation mit der in Johannisthal ansässigen Korbflechterei Heinrich Murmann. Diese setzte sich im September 1951 mit Eiermann in Verbindung, um ihn als künstlerischen Gestalter für den über 80 Jahre bestehenden Betrieb zu gewinnen, der höchste flechttechnische Qualität ablieferte. Von Nachteil war lediglich die weite Entfernung ins oberfränkische Korbmacherzentrum, was Eiermann durch die Kommunikation per Telefon, Brief und Zeichnung sowie durch Miniatur- und Pappscheibenmodelle relativierte. Die bis 1970 bei Murmann geflochtenen Modelle gingen nur zum geringen Teil in die Serienfertigung und damit in den Handel. Von den meisten Modellen waren nur geringe Stückzahlen für die Ausstattung eigener Bauten hergestellt worden.
Bei dem Korbsessel E 10 handelt es sich um den ersten realisierten Entwurf Eiermanns für ein Korbmöbel. Auf einem konischen, leicht gebauchten Fuß öffnet sich eine breite, seitlich weit ausschwingende Sitzschale mit Außenwulst. Da sich die Technik des Korbgeflechts zur Bildung gewölbter Flächen sehr gut eignet, gelang es Eiermann eine auch diesem natürlichen Werkstoff entsprechende, stark organische Form zu entwickeln. Das erste heute bekannte Exemplar dieses Typs entstand 1949 für die Ausstellung „Wie wohnen?“. Die völlig neuartige Schalenform führte zu kontroversen Reaktionen der publizierten Meinung. Rühmte die Zeitschrift „Architektur + Wohnform“ das Modell als (fälschlicherweise) „ungemein bequem“, belustigte sich die „Frankfurter Abendpost“. Ihr Namenstiftender Vorschlag: „dieser einzigartige Korbsessel“, „der die letzten Wünsche jedes echten Mannes erfüllt“, sollte „husch, husch ins Körbchen“ heißen. Letztendlich setzten sich aber die Qualität und der neuartige Charakter beim zahlenden Publikum durch. So betrug die Zahl der jährlich verkauften Exemplare in den mittleren 1950er Jahren circa 200-300 Stück, was bei einer 25 stündigen Fertigungsdauer je Sessel rund 3 Arbeitsplätze ein Jahr lang sicherte. Durch die Präsentation des Sessels auf der Brüsseler Weltausstellung 1958 erhöhte sich der Absatz auf über 400 Stück. Der anschließend beobachtete Rückgang der Verkaufszahlen gründete nicht allein in einer mangelnden Nachfrage, sondern vor allem auch im Fehlen von Fachkräften im Hause Murmann. Viele der Beschäftigten hatten der anstrengenden Arbeit den (geschundenen) Rücken gekehrt und ihr Auskommen in nahe gelegenen Industriebetrieben von Grundig oder Siemens gesucht. Eiermann fand einen leistungsstärkeren Produzenten in der Korbflechterei „Konrad Fischer“ in Sonnefeld/Oberfranken. Aber erst seit 1997, als die Stuttgarter Firma Lampert + Sudrow eine Reedition des Sessels auf den Markt brachte, ist er wieder in größeren Stückzahlen erhältlich. Die Korbflechter arbeiten allerdings nicht mehr in Oberfranken, sondern ganz im Zeichen der Globalisierung in Indonesien.
Eiermann wäre nicht der bekennende Perfektionist gewesen, wenn er es mit einer einmal entwickelten Version hätte bewenden lassen. Viele Detail Änderungen beim E 10 folgten im Laufe der Jahre, teils technisch bedingt, teils formal gewollt oder durch den Produzentenwechsel 1951/52 angestoßen. Zusätzliche Variationen erzielte Eiermann durch farbige Lackierungen, zu denen er sich von den Amerikanern anregen ließ. „Von den Amerikanern kann man lernen, daß derselbe Gegenstand farbig ein ganz anderer ist, wie wenn er immer nur in einer Tonart herauskommt.“ (Zitat aus dem Brief von Egon Eiermann an Murmann vom 17.2.1955). Der Rückblick zeigt, dass das Formprinzip von 1949 – runder Fuß und ausladende, kugelsegmentförmige Sitzschale, Vorbildcharakter hatte und die Leitform für Korbmöbel der 1950er und 1960er Jahre wurde, und das weltweit.
Ein Modell der Sitzmöbelreihe mit Gurtbespannung ist der große Sessel SE 12 mit Diagonalstrebe. Die Erstausführung geht bereits auf die Ausstattung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zurück, wo er im „Foyer“ als Lesesessel für die Bibliothek diente. Eiermann wählte das Modell noch für etliche andere Gebäude, wie etwa das Kanzleigebäude der Deutschen Botschaft in Washington, das Wohnhaus der Familie des Grafen Hardenberg in Baden-Baden und das Abgeordneten Hochhaus des Deutschen Bundestages in Bonn. Für Washington nahezu unverändert, erhielt das Modell für das Haus Hardenberg eine Armlehne und für Bonn eine nach hinten verlagerte Diagonalstrebe, vier statt drei durch die Seitenzarge gezogene Gurte sowie schwarz lackierte Füße. Dieses Modell entspricht weitestgehend dem Serienmodell, das Wilde + Spieth ab 1972 produzierte.
Zu den Entwürfen für das Abgeordnetenhochhaus des Deutschen Bundestages in der Zeit von 1965 – 1969 zählt auch der Falt-Paravent, der von Eiermann 1968 entwickelt wurde. Die Ausführung wurde 1968 der Firma Philip Klaer in Speyer übertragen, wobei das Gestell aus naturbelassener Oregon Pine und die lackierte Füllung aus Sperrholz bestand. Eine zweite Version erschien mit Segeltuchbespannung. In den Farben Weiß, Grün und Orange wurden die Paravents in den Foyers der Abgeordnetenbüros und Ausschuss-Sitzungssäle installiert. Inzwischen mussten sie jedoch vor dem Feuerschutz kapitulieren und wurden wieder entfernt.
Mit den 1960er Jahren sind die Pop-Art und das Plastikmöbel untrennbar verbunden. Auch Egon Eiermann konnte sich dem neuen, angeblich so fortschrittlichem Material nicht ganz verschließen. So entwarf er ebenfalls für die Ausstattung des Abgeordnetenhochhauses einen Telefontisch, ausschließlich aus Kunststoff. Jedes der 446 Abgeordnetenbüros wurde mit dem in Kleinserienfertigung von der Firma W. Hertenstein in Freiburg/Brsg. hergestellten Möbel ausgestattet. Es ist einteilig verarbeitetes, Glasfaser verstärktes Polyester, das weiß lackiert wurde.
Wenngleich Eiermann mehr dem Möbeldesign zugetan war und für dieses auch bekannt ist, soll nicht verschwiegen werden, dass er sich auch einige Male am Glas versuchte. Im Jahr 1957 formte er farbloses Kristallglas zum Windlicht WL, dass von 1957 bis circa 1991 bei der Glashütte Richard Süssmuth in Immenhausen produziert wurde. Es besteht aus 2 Teilen, dem zylindrischen Sockel (Durchmesser 7cm, Höhe 10,5cm) mit dickwandiger Vertiefung für das Teelicht und mit einem abgesetzten, hohlem, ebenfalls zylindrischen Fuß, auf dem als zweitem Teil der dünnwandige, zylindrische Aufsatz (Durchmesser 7cm, Höhe 19cm) mit runder, leicht aufgetriebener Öffnung ruht. Auf der Unterseite findet sich als Hinweis auf den Hersteller der Aufkleber „SÜSSMUTHCRYSTAL W.-Germany Das mundgeblasene Glas“.
Der gelernte Architekt Egon Eiermann hinterließ der Nachwelt nicht nur einen reichhaltigen Gebäude Bestand, sondern auch viele geniale Objekte des Wohnbedarfs und kann als einer der „Geburtshelfer“ des deutschen Nachkriegsdesigns bezeichnet werden. Die glückliche Kombination Architekt und Gestalter ist zu seiner Zeit noch häufig anzutreffen, da die Architekten ihr Werk noch ganzheitlich vollbringen, und neben der Hülle auch die Inneneinrichtung gestalten. Einige seiner Entwürfe werden bis heute produziert und sind – wie sollte es anders sein – besonders beliebt bei Architekten. Er zählt zur zweiten Generation modernen Bauens in Deutschland, orientiert an der Avantgarde der Weimarer Republik, aber ohne deren radikaler Suche nach dem Neuen. Bei Eiermann stehen Materialgerechtigkeit, konstruktive Ehrlichkeit, Sachlichkeit, Dekorlosigkeit und die Tugend der Präzision bis ins kleinste Detail im Vordergrund. Für Eiermann wird die moderne Welt durch die Dominanz der Technik ausgedrückt, ohne dass er dabei die handwerkliche Sorgfalt vernachlässigt.