Veröffentlichungen

100 Jahre Deutscher Werkbund 1907 – 2007

Das Architekturmuseum der Technischen Universität München stellt in Zusammenarbeit mit der Neuen Sammlung in der Pinakothek der Moderne in München vom 19.04.2007 bis 26.08.2007 unter dem Titel „100 Jahre Deutscher Werkbund – 1907-2007“ die Geschichte und Bedeutung dieses, seit seiner Gründung sowohl national als auch international renommierten Zusammenschlusses vor. In dieser Ausstellung wird dem Besucher eine große Gesamtdarstellung des Deutschen Werkbundes präsentiert. Leitmotiv des 1907 in München gegründeten Deutschen Werkbundes war und ist durch moderne Gestaltung und handwerkli-che Güte die gewerbliche Arbeit im „Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk“ zu „veredeln“ und für alle Bereiche der modernen Welt Qualitätsprodukte zu schaffen. Diesem Anspruch sollten ausnahmslos Handwerks- und Industrieprodukte, aber auch Bauwerke, genügen und buchstäblich alles „Vom Sofakissen bis zum Städtebau“ – im Sinne werk- und materialgerechter, zweckmäßiger und qualitätvoller Gestaltung vollendet werden. 250 Exponate aus dem Bereich der „Sofakissen“ stammen bei dieser Ausstellung aus den Depots der Neuen Sammlung – Staatliches Museum für angewandte Kunst in der Pinakothek der Moderne. Die gute Form, wie sie der Werkbund bereits bei seiner Gründung definierte, hat noch immer Gültigkeit. Die Kriterien bei Design Prämierungen basierten häufig auf den Werkbundvorgaben.

Nährboden des Stilwechsels

Die „neue Zeit“ warf schon zum Wechsel ins 20. Jahrhundert ihre Schatten voraus. Die Wei-chen waren auf Umbruch gestellt, der sich politisch 1917 mit der Oktoberrevolution in Russ-land sowie 1918 mit dem Ende der österreichischen k. und k. Monarchie und des deutschen Kaiserreichs zu Gunsten der Demokratie manifestierte. Für die neue Positionierung des Kunstgewerbes und der industriellen Formgebung waren Zeitschriftengründungen wie „Pan“ (1895) und „Jugend“ (1896) in Deutschland sowie kunstgewerbliche Zusammenschlüsse wie die Wiener Werkstätten richtungweisend. Allen reformerischen Strömungen gemein war die Klage über das Fehlen eines eigenständigen, dem Charakter der Zeit angemessenen Stils an-stelle des vorherrschenden Kopierens historischer Vorlagen.
Als neu und schöpferische Kraft wahrgenommen wurden allenfalls die Ergebnisse reiner Ingenieursleistungen wie z.B. der Londoner Kristallpalast als Industrie-Ausstellungsgebäude für die Weltausstellung 1851. Gewürdigt wurde das Bauwerk aber nur für seine reine Größe und Kühnheit der Konstruktion, war es doch nur aus Glas und Eisen in einem noch nie da gewesenen Umfang errichtet worden. Dem Bauwerk wurde „bewunderungswürdigster Verstand und kühnste Berechnung“ (Ernst Förster) bescheinigt, als Architektur wurde es jedoch nicht wahrgenommen. Der berühmte Baumeister Gottfried Semper beschrieb es als „glasbedecktes Vakuum“, der Künstler August Voigt bescheinigte ihm das Fehlen einer „eigentümlichen Stylart“.
Die widersprüchlichen Kritiken dieses Jahrhundertbauwerks verdeutlichen die prinzipielle Trennung zwischen den „schönen“ und den „technischen“ Künsten, die ausgehend von der Architektur auch auf das Kunstgewerbe angewendet werden sollte. Können Möbel Kunstwerke sein? Technische Apparate, wissenschaftliche Instrumente, die wunderbaren Automobile oder konstruierte Möbel fanden Zuspruch und Anerkennung, eine Bewertung im Sinne der tradierten Vorstellung von Schönheit oder Stil wurde ihnen vorenthalten. Neben der schönen Kunst etablierte sich schließlich die angewandte Kunst, die die Bedingungen des Materials, der Herstellung und den Zweck des Objekts in den Vordergrund der Charakterisierung stellte.

Gründerjahre

Im Jahr 1907 ist München eines der bedeutendsten Jugendstilzentren Europas und zieht Künstler und Kreative wie ein Magnet an, das Künstlerviertel Schwabing avanciert zum „Quartier Latin“ Münchens, einem Sammelbecken Intellektueller aus aller Welt. Mit dem Nährboden dieses fortschrittlich gesinnten Umfeldes bietet sich München als Gründungsstätte des Werkbundes zwingend an. Im Gründungsjahr 1907 treffen sich hier Vertreter der Kunst, der Architektur, des Kunsthandwerks und der Industrie sowie Kaufleute und Schriftsteller mit dem Ziel fortan das „Werk“ – das Objekt ihres Schaffens – ins Zentrum ihres Denkens und Handelns zu stellen. Folgerichtig nennt man die Vereinigung „Werkbund“ und fasst die Zielsetzung in der Satzung zusammen: „Der Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen.“ Dabei zielte die „Veredelung der gewerblichen Arbeit“ nicht nur auf die gehobene Qualität des Produkts, sondern auch auf eine „Veredelung“ der Produktionsbedingungen entgegen der Missachtung der sozialen Dimensionen des Arbeitsprozesses. Bereits seit Jahrzehnten war in ganz Europa im Zuge der brutalen Industrialisierung nach dem Vorbild des Manchesterkapitalismus die gewerbliche wie die industrielle Arbeit mehr und mehr entmenschlicht worden. Die Bedürfnisse der Arbeiter waren den Bedürfnissen der Maschinen untergeordnet worden. Auch dieser programmatische Ansatz des Werkbundes ist noch immer aktuell, zwar nicht mehr in Deutschland, aber doch an den globalisierten Werkbänken der 3. Welt.
Neben diesem ethisch begründeten Qualitätsbegriff zählten besonders auch Zweckmäßigkeit, Materialgerechtigkeit, Gediegenheit und Nachhaltigkeit zu den Hauptanliegen der „Werk-bündler“. Der Werkbund war die Manifestation des Protests gegen die unzweckmäßige, weil für den Menschen unpassende, Gestaltung von Geräten und Möbeln, aber auch von Wohnun-gen und Arbeitsstätten. Die Industrialisierung hatte zur Entfremdung der Produzierenden von den Produkten geführt, die es nach Ansicht des Deutschen Werkbundes durch eine künstleri-sche und soziale Erneuerung zu überwinden galt. Dazu mussten Gestalter, Produzenten und Verbraucher für das ästhetische Bewusstsein des DWB entsprechend motiviert werden.
In der Programm-Denkschrift von 1907 setzt sich der Werkbund auch mit der Rolle des Staa-tes bei der Erziehung zu Kunst und Gewerbe offensiv auseinander und fordert vom Staat als Auftraggeber, also Verbraucher, höchste Ansprüche zu stellen und auch bei der organisatori-schen Neuordnung der gewerblichen Ausbildung neue Modelle zu entwickeln. Den Verant-wortlichen im DWB war bewusst, dass der von ihnen beabsichtigte Umbruch der Produktge-staltung und -produktion am nachhaltigsten zu bewerkstelligen ist, wenn man bei der Jugend mit der „Geschmacksschulung“ beginnt. Zitat aus der Denkschrift: „Für die Hebung der ge-werblichen Arbeit bietet das Erziehungswesen die kräftigste Handhabe – denn in der Jugend liegt stets das Programm für die Zukunft.“ Deshalb sollte die Ausbildung in enger Verbindung zum Gewerbe verankert werden, damit „die Erziehung davor bewahrt bleibt, sich von der Arbeit zu entfernen und sich unbestimmten, sogenannten rein künstlerischen Tendenzen hinzugeben.“
Die Gründungsmitglieder vergaßen aber auch nicht die Käufer zu „erziehen“. Man hatte er-kannt, dass „der Niedergang der Qualität in der gewerblichen Produktion zum großen Teil seine Ursache in der Unerfahrenheit und Unwissenheit des Publikums in technischer Bezie-hung hat“ und empfahl, dass durch Ausstellungen „dem Publikum fortlaufend die besten Er-zeugnisse in ansprechender Form vorgeführt werden.“

Gründungsmitglieder

Bereits die prominenten Namen der Gründungsmitglieder sind beeindruckend, wobei in einem ausgewogenen Verhältnis zwölf Künstler und zwölf Firmen zu ihnen zählten. Bei den Künstlern sind dies Peter Behrens, Theodor Fischer (1. Ausschuss-Vorsitzender des Werkbundes), Josef Hoffmann, Wilhelm Kreis, Max Läuger, Adelbert Niemeyer, Josef Olbrich, Bruno Paul, Richard Riemerschmid (in diesem Beitrag vertreten durch einen Mahagoni Stuhl aus den Jahren 1904/06), J.J. Scharvogel, Paul Schultze-Naumburg und Fritz Schumacher. Auf der Firmenseite stößt man u.a. auf Peter Bruckmann (Besteckfabrik) als den 2. Vorsitzenden des Werkbundes, die Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst in Dresden (später Deutsche Werkstätten Hellerau), Eugen Diederichs, Gebr. Klingspor (Schriftgießerei), Poeschel & Trepte und die Wiener Werkstätten. Mit seinen gesellschaftskritischen Ansätzen findet sich der Deutsche Werkbund in seinem Gründungsjahr 1907 in einem breiten Umfeld von Reformbewegungen, die bereits im 19. Jahrhundert von England ausgehend versuchten sowohl sozialkritisch als auch gestalterisch die gesellschaftlichen Umbrüche zu beeinflussen.

Zielsetzung

Die vom Deutschen Werkbund propagierte „Veredelung der gewerblichen Arbeit“ zielte unter Berufung auf einen moralisch fundierten Qualitätsbegriff auf eine neue Warenästhetik für die kunstgewerbliche Industrieproduktion. Diese war bislang zufrieden gewesen mit Ko-pien und Adaptionen der alten handwerklichen, reich ornamentierten Formvorbilder bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung durch Maschineneinsatz, womit man aber gleichzeitig den Verlust des Charmes der Individualität der vormals handwerklich hergestellten Produkte in Kauf nahm. Der schon 1896 von Louis Henry Sullivan geprägte griffige Slogan „form follows function“ wurde vom Werkbund mit der von Zweck, Material und Konstruktion bedingten und bestimmten Formgebung praktiziert. Um dem beklagten Qualitätsverlust des Kunstgewerbes entgegenzutreten, sollte die Gestaltung die spezifischen Bedingungen der maschinellen Produktion besser berücksichtigen, was man vor allem durch Schlichtheit der Formen und unter Verzicht auf Ornamente erreichen wollte. Durch Publikationen und Ausstellungen wollte man schließlich die neuen Ideale im Bewusstsein breiter Käuferschichten implantieren. In der Folge beschränkte man sich nicht nur auf Gebrauchsgegenstände, sondern dehnte unter dem expansiven Motto „Vom Sofakissen zum Städtebau“ die Zuständigkeit der – erst in den 1920er Jahren so genannten – „Neuen Sach-lichkeit“ – auch auf Großobjekte der Architektur aus.

Made in Germany – Pfusch oder Qualität?

Made in Germany – mit dieser Kennzeichnung des Herkunftslandes versuchte das Königreich Großbritannien Ende des 19. Jahrhunderts – als eine der aufstrebenden europäischen Industrienationen – sich gegen angeblich minderwertige Nachahmerprodukte aus Deutschland zu „schützen“. Der Boykott deutscher Waren war politisch und wirtschaftlich motiviert. Deutsche Produkte galten somit zunächst als minderwertig und sollten als solches mit Hilfe des Labels „Made in Germany“ im Bewusstsein der Verbraucher verankert werden. Langfristig erwies sich diese Maßnahme aber als Eigentor, da es bald als Qualitätssiegel für die meist guten Produkte stand. Langfristig gesehen wurde Deutschland mit Hilfe des „Made in Germany“ zum regelmäßigen Exportweltmeister.
Zu dem hohen Qualitätsstandard der deutschen Produkte trug auch der Deutsche Werkbund bei, der die Steigerung der Qualität des deutschen Kunstgewerbes betrieb, um die Wettbe-werbssituation „deutscher Qualitätsarbeit“ auf dem Weltmarkt zu verbessern. Konkrete Schritte dazu waren in den ersten Jahren etwa die Entwicklung des einheitlichen Erschei-nungsbildes der AEG durch Peter Behrens, heute würde man von Corporate Identity oder Corporate Design sprechen, oder auch die von Richard Riemerschmid und Bruno Paul ange-regten Impulse zum industriell herstellbaren Aufbaumöbel.

Erste Aktivitäten

1910 beteiligte sich der Deutsche Werkbund unter der Überschrift „Deutschlands Raumkunst und Kunstgewerbe“ an der Weltausstellung in Brüssel. 1912 stellte man „Gediegenes Gerät fürs Haus“ in Dresden-Hellerau aus. Im gleichen Jahr beginnt auch der Zyklus der Werkbundjahrbücher, der allerdings schon 1920 endete.
Ein Höhepunkt der frühen Geschichte des Werkbundes war die große Ausstellung von 1914 in Köln, noch kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs, mit einem Theaterbau von Henry van de Velde, einer Musterfabrik von Walter Gropius und dem Glashaus von Bruno Taut. Dabei entwickelte sich auch ein Grundsatzstreit zwischen van de Velde, mit seiner Präferenz der individuellen Formgebung, und Muthesius, der in der weitreichenden Typisierung das Mittel der Wahl zur Qualitätshebung sah. Das durch seine knallrote Grundfarbe sehr auffällige Plakat zur Ankündigung der Ausstellung „Kunst in Handwerk • Industrie und Handel • Architektur“ wurde von Fritz Hellmut Ehmcke gestaltet.

Der Werkbund in der Weimarer Republik

In den Zwanziger Jahren beeinflusste der Werkbund auch die Entwicklung des 1919 gegrün-deten Bauhauses. Um die in der Satzung genannten Ziele „Erziehung und Propaganda“ nicht zu vernachlässigen, wurde 1922 (und 1925 ein zweites Mal) die Werkbund-Zeitschrift „Die Form“ gegründet, die sich ausführlich dem „Neuen Bauen“, der „neuen typografie“ und Experimenten in Gestaltung und Fotografie widmete. Von 1925 bis 1934 erschien das Heft monatlich.
Ein Wegweiser in die Moderne war die 1924 vom Werkbund initiierte Ausstellung „Die Form ohne Ornament“, deren Titel die Absicht deutlich ausdrückt. Exemplarisch für das „Neue Bauen“ war die Werkbund-Ausstellung „Siedlung am Weißenhof“ 1927 in Stuttgart, der sich 1929 die Bauausstellung „Wohnen und Werkraum“ in Breslau anschloss. Im selben Jahr organisierte der Werkbund mit der „Film und Foto“ – Ausstellung in Stuttgart die bedeutendste Schau der avantgardistischen Fotografie der zwanziger Jahre, die einen internationalen Überblick von der UdSSR (El Lissitzky, Alexander Rodtschenko) bis zu den USA (Edward Weston) vorstellte. Die visuellen Medien rückten fortan stärker in den Fokus des Werkbundes.
Darüber hinaus präsentierte sich der Deutsche Werkbund unter der künstlerischen Leitung von Lilly Reich bei der Weltausstellung in Barcelona 1929.
1930 erteilte die deutsche Regierung dem Werkbund den Auftrag zur Gestaltung des deut-schen Beitrags auf der „L’exposition d´art décoratif“ in Paris, von deren gleichnamiger Vor-gängerausstellung im Jahr 1925 man wesentlich später in den 1970er Jahren den Namen für die Epoche des Art Déco ableitete.
1932 findet in Wien die Internationale Werkbundausstellung statt.

Gleichschaltung des DWB im Nationalsozialismus

Trotz der regen internationalen Präsenz ging der Deutsche Werkbund erheblich geschwächt aus der Inflationszeit und der anschließenden Weltwirtschaftskrise hervor. Das materielle Elend – sprich der Hunger – relativierte die Bedeutung von Qualität und Geschmack. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ stellte schon 1928 Bertolt Brecht in seiner „Dreigro-schenoper“ fest. Im Themenbereich des Werkbundes müsste es lauten, „erst kommt das Fres-sen, dann die Gestaltung“. Mit der Machtergreifung des Nationalsozialismus’ im Jahr 1933 und seinen „völkischen“ Geschmacksvorstellungen deutete sich das baldige Aus des reformerischen Zusammenschlusses bereits an. Die Gegner des Werkbundes agitierten gegen dessen Formdenken und denunzierten es als „Kultur-Bolschewismus“. Gegen die Stimmen von Martin Wagner, Wilhelm Wagenfeld und Walter Gropius wird 1933/34 die Gleichschaltung des Deutschen Werkbundes von den Nazis betrieben. Am 8.11.1934 erreichte eine Mitteilung die Mitglieder des Deutschen Werkbundes, die das faktische Ende des DWB mit dessen Eingliederung in die Reichskulturkammer bedeutete. Den Designern blieb nur noch die Wahl zwischen Emigration oder Mitarbeit im „Amt Schönheit der Arbeit“, der faschistischen „Deutschen Arbeitsfront“ oder beim „Kunstdienst“, einem der Vorläufer der „Deutschen Warenkunde“. Bedeutende Werkbundmitglieder wie Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe bevorzugten es zu emigrieren.
Ein auch politisch prominentes Opfer der radikalen nationalsozialistischen „Säuberungen“ wird das Werkbundmitglied Theodor Heuss, der spätere erste Bundespräsident (von 1949 bis 1959) der nach dem Krieg gegründeten Bundesrepublik Deutschland. Ihn straft die national-sozialistische Diktatur gleich zweimal. Zunächst wird er politisch entmachtet mit dem Entzug seines Reichstagsmandats am 12.7.1933. Aber „auch das kulturpolitische Engagement von Heuss findet sein Ende. ….. Er steht der nationalsozialistischen Herausforderung hilflos gegenüber und wird widerstandslos gleichgeschaltet. Im Juni bestätigt der Vorstand, dem auch Heuss angehört, die neue nationalsozialistische Führung des Bundes. Auf einer Sitzung im September tritt der Vorstand geschlossen zurück, darunter auch Heuss. Der Werkbund wird in aller Form Teil der NS-Kulturbewegung.“ [Zitat aus: www.stiftung-heuss-haus.de/html/drittes.html].

Aber nicht nur die Feinde im Inneren des Landes setzen dem fortschrittlichen Werkbund in diesen Jahren zu. Einen herben materiellen Verlust musste der Werkbund mit der Zerstörung des Werkbund-Archivs in Berlin durch alliierte Fliegerbomben im Jahr 1944 hinnehmen.

Wiederbelebung und Aufbruch nach 1945

Nachdem die letzte Bombe über Deutschland abgeworfen worden war und die großflächige Verwüstung des Landes nach Wiederaufbau rief, formierte sich der Werkbund neu und gestaltete die junge Demokratie ganz im alten Sinne des Wahlspruchs „Vom Sofakissen bis zum Städtebau“, vom 50-Pfennig-Stück der BRD bis hin zum Bundestagsgebäude, mit. Der Werkbund konnte umso leichter Einfluss nehmen, als mit Theodor Heuss sein in den 1920er Jahren langjähriger Geschäftsführer zum ersten Bundespräsidenten der BRD gewählt worden war.
Lange vor der Grünenbewegung in den 1980er Jahren legte der DWB schon um 1960 mit seiner Kampagne „Die große Landzerstörung“ als erster den Finger auf die Wunde der kata-strophalen ökologischen Folgen des Flächenverbrauchs der ungebremst wachsenden Industrie. Soviel politische Einmischung führte schließlich am Ende des Jahrzehnts zu der internen Diskussion um die Frage „Wie politisch darf der Deutsche Werkbund sein?“. Eine Antwort darauf gab Anfang der 1980er Jahre das Manifest „Steine aus Saarbrücken“, das die Hausbesetzerbewegung öffentlich unterstützte.

Exponate

Die Neue Sammlung hat aus ihrer reichhaltigen Kollektion von vorbildlich gestalteten Objekten ca. 250 Exemplare für diese Ausstellung ausgewählt.
Unter diesen finden sich Erzeugnisse aus der Frühzeit des DWB, wie die Zigarettenverpa-ckungen aus dem Jahr 1914 von Fritz Hellmut Ehmcke (1878 – 1965), die dieser im Auftrag der Firma Jos. Feinhals in Köln entworfen hat. Ehmckes Arbeitsbereich war die Gebrauchs-graphik, die Zigarettenverpackungen aus Karton für den Deutschen Werkbund waren mit farbig bedrucktem Papier kaschiert. Er beschränkte sich auf die Farben Schwarz, Weiß und Rot, deutliche Anlehnungen hinsichtlich der geometrischen Muster und des Schrifttypus’ an die Wiener Werkstätten sind nicht zu übersehen.
Wilhelm Wagenfeld (1900 – 1990), eine der wichtigsten deutschen Designgrößen des 20. Jahrhunderts, ist mit Teilen eines Tee-Services aus farblosem, feuerfesten Glas aus dem Jahr 1932 vertreten, die bei Schott & Gen. Jenaer Glaswerke in Jena gefertigt wurden. Das 1887 von Otto Schott erfundene hitzebeständige und chemisch resistente Borsilikatglas eroberte sich rasch ein Begriffsmonopol: Jenaer Glas gleich feuerfestes Glas.
Neben Glas ist Porzellan ein gefragter Werkstoff ambitionierter Entwerfer. Trude Petri (1906 – 1998), langjährige Gestalterin der Königlichen Porzellan Manufaktur Berlin, formte 1939 die Vase „großer Bär“ für die Staatliche Porzellanmanufaktur Berlin.

Eine sowohl technische als auch gestalterische Meisterleistung ist die Minox-Kleinstbildkamera von Walter Zapp aus dem Jahr 1936, bestens bekannt aus Film und Funk als Grundausrüstung jedes anständigen Spions, egal ob fiktiver James Bond oder real existie-render KGB-Spitzel. Interessant ist die Reihenfolge, in der Walter Zapp die Kamera konzi-pierte. Zuerst erprobte er mit einem Holzklötzchen der exakten Größe 12,5 x 28 x 75mm die haptischen Eigenschaften der Form, um erst anschließend die erforderlichen technischen Bauelemente in dieses Volumen zu „pressen“. Die bei Kameras unübliche längliche Grundform mit den typischen abgerundeten Kanten verhalfen ihr zum Prädikat Designklassiker. Ähnlichkeiten zu Apple’s iPod sind vermutlich rein zufällig, die Faszination technische Geräte zu miniaturisieren verbindet beide über die Jahrzehnte.

Gutes Design kann sehr anschaulich an täglich benutzten Haushaltsgegenständen und Werkzeugen demonstriert werden, wie zum Beispiel der Haushaltsschere 4104-155 eines unbe-kannten Entwerfers, die ab 1967 von den J.A. Henckels-Zwillingswerken in Solingen hergestellt wurde. Der sanfte Schwung der Linienführung und die ausgewogenen Proportionen verleihen dem profanen Objekt eine ästhetische Qualität und Eleganz, die handwerkliche Güte ausdrücken und seine Aufnahme in die Auswahl der Exponate dieser Vorbildausstellung mehr als rechtfertigen.

Wie die Schere macht auch die Zangenserie „Kraftsgrip“ von Hardy Kolloch aus dem Jahr 1974, produziert in der Werner Möller KG in Remscheid, Lust auf „Anfassen“. Mit Griffen aus glattem, schwarzem Kunststoff-Isoliermaterial über verchromtem Vanadium lässt das Set das Herz jedes Heimwerkers höher schlagen.

In die Abteilung „Baumarkt“ fällt auch die von Professor Erich Slany (1926) für die Firma Robert Bosch GmbH in Leinfelden um 1958/60 entworfene Zweigang-Schlagbohrmaschine in bruchsicherem Gehäuse aus Stahl armiertem Kunststoff. Slany hatte sich vorher bereits in der Designabteilung bei Daimler Benz sowie bei Heinrich Löffelhardt als Gestalter für Jenaer Glas und Arzberg profiliert.

Zur Messung der Größe seines Eigenheims benutzte der „Häuslebauer“ 1970 das Stahlmaß-band „Stabila 31P“. Dessen Entwurf für die Firma Stabila Messgeräte (Gustav Ullrich GmbH, Annweiler) verantwortet Ernst Moeckl (1931). Das Maßband besteht aus einem Leichtmetallrahmen in Y-Form mit einem ergonomischen Revolvergriff aus schwarzem Kunststoff sowie einem polyamidbeschichteten Band und lädt zum „Maßhalten“ ein.

Konstrukteure, egal ob Schüler, Student oder Ingenieur, wird der Schnellverstellzirkel von 1960 der Firma Gebr. Haff GmbH in Pfronten begeistern. Von Spitze zu Spitze erkennt man in ihm ein feinmechanisches Präzisionsinstrument.

Wem die Stunde schlug, der blickte ab 1957 auf die schlichte, elegante Wanduhr „Ato-Mat“ mit Batteriewerk von Max Bill (1908 – 1994), dem ersten Rektor der Hochschule für Gestal-tung (HfG) in Ulm. Das weiße Ziffernblatt mit schwarzer Strichskala unter Glas wurde vom Hersteller, der Gebr. Junghans AG in Schramberg/Württemberg, von einer verchromten Me-talleinfassung eingerahmt. Heute, 50 Jahre nach ihrem Entwurf, wird die Uhr als Re-Edition wieder produziert und qualifiziert sich auch durch ihre Langlebigkeit für das Prädikat „gutes Design“.

Schon in den 1950er Jahren zog es die Nachkriegsdeutschen mit Sack und Pack in fremde Urlaubsländer. Damit auch die Zuhause Gebliebenen am Erlebten teilhaben konnten, filmten und fotografierten die Touristen Sehenswürdigkeiten am laufenden Band. Nach dem Urlaub wurden die photografischen Meisterstücke besonders gerne großformatig in gemütlicher Runde mit Hilfe eines Diaprojektors wie dem „Carousel S“ betrachtet. Dieser ist im Jahr 1963 von Hans Gugelot (1920 – 1965) gestaltet worden, der schon vorher durch seine genialen Entwürfe zur Bedeutung des Designs im Hause Braun beitrug. Produziert wurde das Gerät mit Rundmagazin für 80 Dias im Format 5 x 5cm bei der Kodak AG in Stuttgart-Wangen.
Damit Oma und Opa aber auch die Bilddokumente der Nachkommen in voller Qualität genie-ßen konnten, war vorher der Besuch beim Augenoptiker zwingend notwendig. Wenn sie – bezüglich des Designs – Glück hatten, durften sie in ein Phoropter genanntes Brillenbestim-mungsgerät von Willy Herold (1927) von 1961/63 blicken und ihre Sehschärfe vermessen lassen. Willy Herold war Meister für Fein- und Elektromechanik an der HfG in Ulm. Das technische Gerät aus weiß-gelblich lackiertem Metall mit Bedienungsknöpfen aus Aluminium gehörte zu den Produkten der Optischen Werke G. Rodenstock in München.

Obwohl der Kunststoff Boom erst ab den 1960ern einsetzte, erkannte der Däne Kristian Solmer Vedel (1923 – 2003) schon 1958 das Potenzial dieses Materials. Für die Firma Torben Orskov & Co in Kopenhagen erdachte er 1958 die Form des Salzstreuers und der Pfeffermühle aus dem Kunststoff Melamin in den Farben Schwarz und Weiß mit gebürsteter Oberfläche.
Um das Übel des schlechten Geschmacks an einer seiner Wurzeln zu packen und wie schon 1907 postuliert auch die Verbraucher – am besten schon die jungen – zu erziehen, „in-filtrierte“ im positiven Sinne der Werkbund nach 1945 auch die Schulen. Als Hilfsmittel der geschmacksbildenden Propaganda standen die so genannten „Werkbundkisten“ als Lehr- und Anschauungsmaterial für Kunsterzieher zur Verfügung. Das in der Ausstellung präsentierte Exemplar ist u.a. mit dem Tee- und Kaffeegeschirr der Form 1495 der Porzellanfabrik Arz-berg ausgestattet. Entworfen wurde dieses Service von Hermann Gretsch (1895 – 1950), der von 1935 – 1938 Vorsitzender des Deutschen Werkbunds war. Des Weiteren enthält diese Werkbundkiste WMF Besteck der Form „Stockholm“ 4100 entworfen von Kurt Meyer, ein Likörglas der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) in Geislingen und einen Glasbecher produziert bei der Gral-Glaswerkstätte in Göppingen.

1954 fanden die ersten Werkbundkisten des DWB-Landesverbandes Berlin mit unterschiedlichen Lerninhalten wie „Der gedeckte Tisch“, „Küchengeräte“ und „Der Arbeitstisch“ Eingang in den Unterricht. In Baden-Württemberg und in Bayern initiierten an Stelle des DWB einzelne Museen, wie die Neue Sammlung in München, den Bau und die Verteilung der Kisten, die dort „Lehrmittel-” oder „Kunsterzieherkisten“ hießen. Hans Eckstein, der damalige Leiter der Neuen Sammlung, stellte am 10. Januar 1957 auf der Mitgliederversammlung des DWB-Bayern die „Lehrmittelkiste“ Typ Neue Sammlung vor und berief sich namentlich auf die vorangegangene Aktion der Berliner DWB Sektion. Insgesamt sollten in München fünf verschiedene Typen von Lehrmittelkisten entstehen. Sie beinhalteten ein Tee- und Kaffeegeschirr, ein Essgeschirr, weißes und farbiges Porzellan oder ein Sortiment verschiedener Trinkgläser. Die fünfte Kiste war vermutlich das Highlight aller Werkbundkisten. Sie bestand aus einem Baukasten mit Wandelementen im Maßstab 1:10 und erlaubte die Simulation von Wohnungen mit verschiedenen Grundrissen und deren Einrichtung mit maßstabsgetreuen Möbeln. Schließlich ergänzte eine Mappe mit Plakaten und Großfotos gut geformter Gebrauchsgegenstände die Lehrmittel-Hardware.
Trotz unterschiedlicher Inhalte in den verschiedenen Bundesländern einte die Initiative die didaktische Grundidee, über vorbildlich gestaltete Gebrauchsgegenstände das ästhetische Urteilsvermögen der jungen Generation zu prägen. Auch war man sich darin einig, was als vorbildlich gestaltet gelten durfte, nämlich Gegenstände gestaltet im Sinne des Deutschen Werkbundes. Folglich füllte man die Kisten über Ländergrenzen hinweg zwar mit unterschiedlichen Objekten, aber mit den sich wiederholenden Namen der Gestalter wie Gretsch, Löffelhardt oder Baumann und Firmen wie Arzberg, WMF oder Vereinigte Farbglaswerke Zwiesel.
In München endete die vorbildliche Initiative 1967.

Die Retrospektive auf 100 Jahre Deutscher Werkbund erschließt ein bisher oftmals im Hin-tergrund agierendes Bündnis. Massenhafte Popularität wie das weltberühmte Bauhaus, das gedanklich fest verknüpft mit Dessau und Weimar ist und lediglich 14 Jahre von 1919 – 1933 in Deutschland existieren durfte, erreichte der Deutsche Werkbund nie. Dies ist umso bemerkenswerter, als doch beide für die gleiche durch Sachlichkeit bestimmte Dingwelt eintraten bzw. eintreten und auch personelle Überschneidungen vorhanden waren. Mit dem Bauhaus als einer künstlerischen Schule verbindet man Klassiker des Wohnens wie zum Beispiel die Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer, der DWB dagegen kann mehr als Lobby und Plattform verstanden werden, die allgemeine Ansprüche für die handwerklich oder industriell gefertigte Warenwelt definiert und propagiert. Für die nächsten 100 Jahre wünscht der Autor viel Erfolg!