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East and West: USA, Tschechisches Design und DDR/BRD

Die Ost-West Beziehungen blicken auf eine lange und vielschichtige Tradition zurück. Schon zur Zeit der Zaren importierte der russische Adel die französische Sprache, um sich vom niederen Volk abzugrenzen und sich im Beisein der Bediensteten unterhalten zu können, ohne dass diese die Sprache verstanden. Russische Musik und Literatur bereicherten im Gegenzug die europäische Kulturlandschaft seit Jahrhunderten. In dieser Tradition des Austauschs steht auch die spannende 3-teilige Präsentation „East and West“ des Neuen Museums in Nürnberg in Kooperation mit der Neuen Sammlung – The International Design Museum Munich. Sie stellt dabei herausragende, aber auch alltägliche, Designleistungen aus Ost und West gegenüber. Dazu wurden im Jahr 2015 drei autonome Räume im Nürnberger Museum mit Designobjekten aus den Beständen der Neuen Sammlung gestaltet, von denen sich jeder einem bestimmten Schwerpunkt unter dem übergeordneten Thema „East and West“ widmet. Den westlichen Vertretern BRD und USA stehen dabei die DDR und Tschechien gegenüber. Die Räume sind bis auf weiteres zu besichtigen.

Im ersten Raum werden seit dem 1.5.2015 Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Designs der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland dargestellt bzw. die spezifischen, der Gesellschaft, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und dem politischen System geschuldeten, Eigenheiten und Leistungen herausgestellt. Mit dem 25. Jahrestag des Mauerfalls erfuhr neben historisch, politischen Betrachtungen auch das Design des untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaats international große Beachtung. Das Sammler Journal berichtete im Juli 2015 in dem Beitrag „DDR: Kunst & Alltag“ über das Buch „Beyond the Wall – Jenseits der Mauer“, das mit Objekten aus der Sammlung des Wendemuseums in Los Angeles gespeist wurde. Mit der Sammlung von Günter Höhne gelangten bereits im Sommer 2014 tausende Alltagsobjekte aus der DDR in die Bestände der Neuen Sammlung, die nun wissenschaftlich aufgearbeitet werden.
Somit war naheliegend, dass das Neue Museum Nürnberg zunächst in einem ersten Raum den Vergleich DDR/BRD mit zahlreichen Objekten aussagekräftig zieht. Für die Ausstellungsmacher einzigartig erschließt sich bei der DDR die Möglichkeit das Design eines Staates zu präsentieren, der in seiner politischen Ausrichtung und seiner geographischen wie zeitlichen (1949-1990) Begrenztheit eine sehr spezifische Einheit definiert. Durch den brutalen „Reset“ des 2. Weltkriegs bestand in Ost- wie Westdeutschland in den ersten Nachkriegsjahren Mangel an Allem, was den Zwang, aber auch die Chance, bedeutete Neues zu schaffen. Durch die großzügige Unterstützung der Westalliierten gelangten in kürzester Zeit enorme finanzielle Mittel für den Wiederaufbau in die BRD und mit ihnen Design Vorbilder besonders aus den bewunderten USA. Das Design der DDR dagegen ist oftmals durch geniale Improvisation geprägt, die der fortwährende Mangel an Ressourcen den Gestaltern aufzwang. War ein Rohstoff nicht verfügbar, wurde oft versucht aus der chemischen Industrie einen Ersatzstoff zu erhalten, dessen spezifische Eigenschaften von den Designern bei der Produktgestaltung entsprechend berücksichtigt werden musste. Der Bau der Mauer im Jahr 1961 materialisierte die Teilung Deutschlands weithin sichtbar. Die Mauer wurde weltweit ein unrühmliches Symbol, die Spaltung des Landes von den Gestaltern des Neuen Deutschen Designs immer wieder thematisiert. Und schließlich spielte auch die politische Vorgabe der DDR Führung zur „Schaffung eines neuen Menschen“, die letztendlich von der „Schutzmacht“ Sowjetunion übernommen worden war, bei der Gestaltung des Materiellen im Sozialismus eine Rolle. Die Designer hatten sich hier ebenso wie die Künstler, Maler, Bildhauer und Schriftsteller zu beteiligen, um am Idealbild der sozialistischen Avantgarde vom „neuen Menschen“ und einer „neuen Welt“ zu arbeiten.
So ging jeder der beiden jungen deutschen Staaten seinen eigenen speziellen – auch gestalterischen – Weg, den ihm die politische und ökonomische Situation aufgezwungen hatte. Im Nürnberger Museum gestatten Alltagsobjekte aus Ost- und Westdeutschland wie technische Geräte und Möbel, Textilien und Glas oder Porzellan und Verpackungen viele Perspektiven auf diese beiden Parallelwelten. Der Blick zurück auf die Ausstattungen und Accessoires der Wohnungen und Arbeitsstätten zeigt Objekte, die identitätsstiftend und gleichsam prägend für ganze Generationen waren. Dabei wird deutlich, wie die unterschiedlichen Lebensumstände in der DDR und der BRD das Design bestimmt haben und umgekehrt, das Design der Dinge die Gesellschaft geprägt hat. Für den Westen typisch ist der teils fast schon verschwenderische Umgang mit der verfügbaren Materialvielfalt. Als Gegenbeispiele hierzu gibt es allerdings in der Ausstellung auch Objekte wie die aus nur einem Naturprodukt gefertigten Korbmöbel von Egon Eiermann, die allein durch die Qualität ihres Entwurfs überzeugen. Im Osten dagegen gab es auf viele natürliche Materialien kaum Zugriff, so dass sich die Gestalter auf die Erzeugnisse der chemischen Industrie – Plaste und Elaste! – fokussierten und der Werkstoff Kunststoff das Design weitgehend prägte. Ein schönes Beispiel hierfür sind die eleganten Gießkannen von Klaus Kunis. Oder auch die farbenfrohen Arbeitsschutzhelme von Studierenden der Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle, Burg Giebichenstein, die wie Farbtupfer den grauen DDR Alltag aufhellten. Die Designschule Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (gegründet 1915) war zu der Zeit zusammen mit der 1946 gegründeten Kunsthochschule Berlin-Weißensee das ostdeutsche Pendant zur Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG), die erst 1953 ihre Tätigkeit aufnahm.
Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten zwischen dem Design West und der Gestaltung Ost festzustellen. So sind sich die Lautsprecher L2 von Dieter Rams, 1958 für Braun entworfen, und die Studiolautsprecher mit Verstärker VS 1-32 aus dem Jahr 1965 von Karl Clauss Dietel und Lutz Rudolph in ihrer Grundform sehr ähnlich. Verbindend erkennt man hier das Ideal einer sachlich-minimalistischen Formensprache, die die Objekte ästhetisch annähern. Weitgehend unbekannt ist dagegen, dass westdeutsche Entwürfe im Osten produziert wurden, wie etwa der berühmte Kängurustuhl. Überhaupt war die „Werkbank Ost“ ein einträgliches Geschäft für BRD-Firmen wie Quelle oder Photo Porst, bei dem die DDR durch die Einnahme von stets knappen Devisen profitierte.
Im umfassenden Rückblick auf die gestalterischen Leistungen der DDR Designer, kann diesen ein besonders kreativer und innovativer Umgang mit Ressourcen und Rohstoffen bescheinigt werden.

Im Juli 2015 wurde ein weiterer Raum zum Thema East-West eröffnet, der dem Besucher das vielseitige tschechische Design nahe bringt. Aus einem Zeitraum, der sich über etwa neun Jahrzehnte erstreckt, werden großartige Designbeispiele unseres Nachbarlandes präsentiert. Der wechselvollen Geschichte des Landes im 20. Jahrhunderts mit verschiedenen Besatzungsmächten sowie den verfügbaren Beständen der Neuen Sammlung geschuldet, fokussiert der Raum auf das tschechische Avantgardedesign der 1920er und 1930er Jahre sowie auf das jüngere Design von 1990 bis heute. Beides sind Zeiträume, in denen das Land sich der politischen Freiheit und Eigenständigkeit erfreute bzw. erfreut. Wesentliche Beiträge zum modernen Design des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts sind besonders in der Möbelproduktion und Glasherstellung zu finden. Am bekanntesten sind die Möbel von Jindřich Halabala, aber auch von Karel Ort und Ladislav Zak, die angeregt von den in den 1920er Jahren entwickelten Stahlrohrmöbeln von Marcel Breuer und Mart Stam ihre eigene Interpretation dieser innovativen Möbelgattung realisierten. Weiterhin finden sich im Nürnberger Museum Tischleuchten von Franta Anýž, deren gestalterische Nähe zum Bauhaus nicht zu verleugnen ist. Ein besonderes Highlight ist das einzigartige Tischradiogerät Legie Special, das um 1931 vom Hersteller Radio Havel in Prag auf den Markt gebracht wurde. Seine ineinander verschachtelten Quader erinnern stark an die Avantgarde Architektur dieser Zeit, wie z.B. die Villa Tugendhat des Architekten Ludwig Mies van der Rohe in Brünn.
Auf ein jahrhundertealtes Renommee kann die tschechische Glasgestaltung und –herstellung in Böhmen zurückblicken. Ganz ihrer handwerklichen und künstlerischen Tradition verpflichtet gelangen ihr auch im 20. Jahrhundert gestalterische Innovationen, die internationale Beachtung fanden. Die Ausstellung zeigt Glasobjekte aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber auch von bedeutenden Vertretern der zeitgenössischen Glaskunst. Diese wird repräsentiert von Künstlern wie Pavel Hlava, Borek Sipek oder René Roubíček, deren spezifische Formensprache zwischen Kunst und Design oszilliert.

Am 20.11.2015 wurde mit der Eröffnung des letzten Raums die Trilogie mustergültigen Design vollendet. Das Neue Museum Nürnberg blickt über den Atlantik nach Nordamerika. Die USA waren als die eigentliche Siegermacht unter den Alliierten aus dem 2. Weltkrieg hervor gegangen und schwangen sich in der Folge zu einer der führenden Designnationen auf. Waren es in den 1920er und 1930er Jahren die Europäer, die vor allem mit französischem Art Déco und deutschem Bauhaus das fortschrittliche Design repräsentierten, so wurden diese ab den späten 1940er Jahren vom organischen Design „made in USA“ abgelöst. Die amerikanische Konsumgüterindustrie profitierte von einem nicht kriegszerstörten Binnenmarkt und den zahllosen Kriegsheimkehrern, die nach Jahren der Entbehrungen an der Front im Glücksgefühl der Sieger nach Konsum gierten. Die gestalterischen Vorgaben hatte frühzeitig das New Yorker Museum of Modern Art mit dem Wettbewerbs „Organic Design in Home Furnishings“ definiert, den es am 1. Oktober 1940 als interamerikanischen Designwettbewerb eröffnete. In diesem spielten die Arbeiten von Designikonen wie Eero Saarinen sowie des Ehepaars Charles und Ray Eames eine wichtige Rolle. Die vom MoMA geforderte und geförderte organische Formensprache trifft bei beiden auf ein hohes Maß an Funktionalität. Das Design für den Alltag wird dadurch hinsichtlich Komfort und Arbeitserleichterung optimiert.
Mit dem Straßenkreuzer zum Diner und dort mit der Coca Cola in der einen Hand den ‚Nickel‘ in die knallbunte Jukebox werfen, so stellt man sich heute den „American Way of Life“ der späten 1940er und 1950er Jahre vor. Individuelle Freiheiten und Wohlstand für viele beeinflussten damals das Warenangebot und dessen Design. Der Wunsch nach Ablenkung und Freizeitvergnügen ließ massenhaft bunte Automaten wie Flipper und Musikboxen entstehen.
Der Erfolg der Unterhaltungselektronik, ausgedrückt durch hohe Verkaufszahlen, begann aber schon in den 1930er Jahren unter anderem mit Tischradiogeräten wie dem Sparton Modell 558 vom Stardesigner Walter Dorwin Teague. Bei diesem war das spektakuläre Äußere, aufwändig geschliffene blaue Spiegel verkleideten das Gehäuse, bedeutender als seine inneren technischen Werte.
Mit dieser Design-lastigen Strategie hatte Jahrzehnte später ab den 1980er Jahren auch der Technologiekonzern Apple großen Erfolg, dessen Produkte hinsichtlich Design und benutzerfreundlicher Gestaltung der Bedieneroberflächen richtungsweisend sind. Besonders am Beispiel des iMac lässt sich die große wirtschaftliche Bedeutung der Gestaltung nachweisen. Nach über 10 Jahren Abwesenheit übernahm Apple Mit-Gründer Steve Jobs 1997 wieder den Chefposten der zu diesem Zeitpunkt ums Überleben kämpfenden Firma. Sein Konzept war das ausufernde Produktportfolio zu verschlanken, wodurch zunächst auch zahlreiche Arbeitsplätze abgebaut wurden. Freiwillig wollte der britische Designer Jonathan Ive die Firma mit Ziel England verlassen. Zum Glück blieb er dann doch, motiviert durch Jobs‘ Antrittsrede, in der er die Mitarbeiter motivierte, nicht nur Geld zu verdienen, sondern großartige Produkte zu bauen. Die als teuer bekannte Marke Apple sollte dabei nicht über den Preis, sondern mit Funktionen und Bedienbarkeit am Markt reüssieren. Das Design Team um Jonathan Ive bekam durch Jobs‘ Rückkehr immense Bedeutung. Jobs gab die Devise aus, Design ist nicht nur das Äußere, sondern wie ein Gerät funktioniert. Kundenbedürfnisse rückten in den Vordergrund. Bei seinen ‚Aufräumarbeiten‘ musste Jobs das im Unternehmen, und besonders in der Industrie-Design Abteilung, herrschende kreative Chaos der genialen, aber teils planlos nebeneinander her arbeitenden, Köpfe in ein schlagkräftiges Unternehmen transformieren. Kern seiner Strategie war die 2×2 Matrix des künftigen Angebots. Es sollte nur noch 2 Produkte (Laptop und Desktop) für 2 Käufergruppen (Verbraucher und Profis) geben. Als erstes wichtiges Produkt wurde der Verbraucher Desktop angegangen. Ive schuf im Jahr 1998 mit dem iMac G3 ein All-in-one Gerät mit wenigen Anschlüssen, das durch sein unkonventionelles Design und seine Benutzerfreundlichkeit die Konkurrenz ausstach. Die eiförmige Form sollte den Käufer emotional ansprechen, die Transparenz ein Gefühl der Zugänglichkeit und Offenheit vermitteln und der damals noch weit verbreiteten Aversion gegen Technologie entgegen wirken. Der Griff an der Oberseite war weniger zum Tragen gedacht, mehr als Verbindung Mensch-Maschine. Die schnell wachsende Bedeutung des Internets antizipierend, wagte sich Apple mit diesem Modell eines technisch reduzierten, für das Surfen im Internet (worauf das „i“ vor „Mac“ im von Lee Clow erdachten Namen hinweisen soll) konzipierten Rechners auf den Markt. Das bunte und transparente Gehäuse löste schnell über die Computerbranche hinaus einen Design Trend aus. Explosionsartig verbreiteten sich durchsichtige Kameras, Föhns, Staubsauger, Mikrowellen und Fernseher in den Elektronikmärkten, die sich darüber hinaus auf die rundlichen, organischen Formen der 1940er Jahre rückbesannen. Der iMac wurde mit 800.000 verkauften Exemplaren zwischen August 1998 und Jahresende der bis dahin am schnellsten verkaufte Computer der Apple Geschichte. Er brachte Apple wieder auf die Erfolgsspur und bestätigte Jobs‘ Ruf als Technologie-Prophet.
Der Designaspekt ohne wirtschaftliche Intension wird bei der Sonnenbrille „Over the Top“ buchstäblich auf die Spitze getrieben. Ironie spricht aus der doppeldeutigen Namensgebung des gewagten Werksentwurfs dieses futuristisch-eleganten Sonnenschutzes, mit der man sich garantiert eine Top Aufmerksamkeit sichern könnte. Ihre ungewöhnliche Form zusammen mit der silbernen Oberfläche und den gelben Gläsern erinnern an Insekten oder Wesen aus Science-Fiction Filmen.

Für die Gestaltung der Displays der drei Präsentationen „DDR/BRD“, „Tschechisches Design“ und „USA“ konnte das Neue Museum Nürnberg den Berliner Künstler Tilo Schulz (*1972 in Leipzig) gewinnen. Seit Anfang der 1990er Jahre ist Tilo Schulz als Künstler, Kurator, Ausstellungsgestalter und Autor tätig. Durch seine Wahl als Ausstellungsmacher kommt die Nähe des Designs zur Kunst zum Ausdruck, die Gestaltung der Räume und Anordnung der Objekte geschieht mit den Augen und der Gewichtung des Künstlers, was wiederum auf die Bewegung, Wahrnehmung und Erfahrung der Ausstellungsbesucher einwirkt. Letztendlich soll diesen ein unmittelbarerer Zugang zu den Exponaten ermöglicht werden und zu einer Diskussion, im Sinne eines interaktiven Museums, über den Kontext sowie die Präsentation und Repräsentation von Alltagsobjekten anregen.