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Bauhaus-Anhänger von Naum Slutzky

Es gibt keine Zufälle! Auch wenn es wie ein Zufall aussieht, dass ausgerechnet in seiner ersten „Kunst und Krempel“ Sendung als Experte dem Design-Spezialisten Dr. Josef Straßer ein seit fast 100 Jahren als verschollen angenommener Schmuckanhänger der Bauhaus Schule vorgestellt wurde. Der weitere Verlauf der spannenden Geschichte um das Schmuckstück weist aber mehr auf eine höhere Fügung hin: einige Jahre nach ihrem TV Auftritt landete die Bauhaus-Ikone über ein Auktionshaus schließlich in einer der zahlreichen Vitrinen von Kurator Straßer in der Neuen Sammlung – The International Design Museum in der Pinakothek der Moderne in München.

Das Bauhaus Design mit seinem Fokus auf sachlicher Funktionalität steht für Modernität und Überwindung der vormals oft überladenen Entwürfe. Besonders bekannt ist das Bauhaus für seine Architektur und die Gestaltung von Gebrauchsgütern wie Leuchten und Möbeln. Im Bauhaus hatte aber neben der angewandten Kunst auch die bildende Kunst ihren festen Platz bzw. vermengten sich bewusst beide Bereich. Organisiert hatte sich das Bauhaus in verschiedenen Werkstätten mit Form- und Werkmeistern, wodurch sich Kunst (Formmeister) und Handwerk (Werkmeister) vereinigten und damit Entwurf und Anfertigung in einer Einheit mit engem Austausch erfolgten.
Für die „Werkstatt für Edelmetallarbeiten (Schmuck)“ holte der Bauhaus Direktor Walter Gropius bereits im Jahr 1919 den u.a. in der privaten Kunstschule von Johannes Itten in Wien ausgebildeten Naum Slutzky, der damals für die Wiener Werkstätte arbeitete. Der 1894 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geborene Slutzky setzte die Tradition seiner Goldschmiedefamilie fort. Sein Vater arbeitete als Goldschmied in der Kiewer Filiale des Hofjuweliers Carl Peter Fabergé.
Im Gegensatz zu den hochpreisigen, mit Edelmetall und Edelsteinen üppigst ausgestatteten Art Déco Geschmeiden französischer Goldschmiede, mussten die Schmuckstücke der deutschen Kollegen in der Wirtschaftskrise der 1920er Jahre mit entsprechend knappen Kassen durch die Qualität des Entwurfs überzeugen. Dies entsprach durchaus der Bauhaus Philosophie. Herausragendes Beispiel hierfür ist der 1920 entstandene Rundscheibenanhänger, den Slutzky der Bauhausstudentin Else Kleinwort geschenkt hat. Bei seinen Unikaten bevorzugte Slutzky den Ansatz des ‚personalisierten‘ Entwurfs, beim dem er die Person, die es tragen sollte, schon vor dem Entwerfen bestimmt hat. Ob dies beim Entwurf dieser Einzelanfertigung, seinem Gesellenstück, auch so war, ist umstritten. Slutzky heiratete kurze Zeit später eine andere und vielleicht war der Anhänger zum Trost das Abschiedsgeschenk. Verschiedene konzentrisch angeordnete Ringteile und Zackenkränze umfassen den Schmuckstein des Anhängers für Else Kleinwort. Das auf die geometrische Grundform Kreis reduzierte Objekt, mit ebenfalls kreisförmiger kleiner Spule und Kordel zum Umhängen, zeugt vom Einfluss der Formenlehre Johannes Ittens auf Slutzkys Schmuckdesign. Die im Vergleich zu typischen Schmuckstücken verarbeiteten edlen, aber nicht kostbaren Materialien ermöglichen es Slutzky bei diesem Schmuckstück die Aufmerksamkeit auf die künstlerische Gestaltung zu lenken, womit er Schmuck neu definiert und als Statussymbol durch den Verzicht auf Materialwert abschafft.
Der Stein in der Mitte des Anhängers ist ein Zitrin, der von einem silbernen Speichenrad umfasst wird, das wiederum von Elfenbein- und Rosenholzringen umrahmt wird. Das schlichte Schmuckstück fand am Bauhaus so großen Zuspruch, dass es bereits 1923 in der ersten großen Bauhaus-Ausstellung präsentiert wurde. Der Anhänger zählt zu den wichtigsten Vorbildern für die Schmuckgestaltung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und verdeutlicht anschaulich die avantgardistischen Gestaltungsansprüche des Bauhauses.

Nachdem der Anhänger ab den 1920er Jahren für die Design-Welt als verschollen galt, staunte der als neuer Design-Experte bei „Kunst und Krempel“, der etablierten Kultsendung des Bayerischen Rundfunks, angetretene Kurator der Neuen Sammlung Dr. Josef Straßer nicht wenig, als ihm dieses frühe Bauhausstück bei seiner ersten Sendung im Mai 2008 vorgestellt wurde. Obwohl er das Objekt nur aus diversen Publikationen wie dem Ausstellungskatalog des Bauhauses von 1923 kannte, war ihm sofort klar, was er mit diesem eigentlich unauffälligen Stück vor sich hatte. Es stellte sich heraus, dass das Schmuckstück vom Sohn der von Slutzky beschenkten Else Hopf, geb. Kleinwort, in die Sendung gebracht wurde. Trotz des in der Sendung genannten Schätzpreises in Höhe von 50000 Euro konnte sich der Sohn nicht zum Verkauf durchringen. So blieb der Anhänger für weitere Jahre im Familienbesitz, aber die Fachwelt wusste nun zumindest, dass er noch existiert. Erst nach dem Tod des Sohns der Bauhaus Schülerin Else Hopf wurde das Schmuckstück von den Hinterbliebenen in dem Münchner Auktionshaus Quittenbaum angeboten. Der Schätzpreis von 40-60000 Euro entmutigte Josef Straßer aber sogleich, seine Entdeckung doch noch in die Neue Sammlung bringen zu können und den bereits umfassenden Bestand an Bauhaus Objekten weiter aufzuwerten. Er verzichtete auf die Teilnahme an der Auktion, erkundigte sich aber danach telefonisch nach dem Verkaufserlös des Anhängers. Zu seiner großen Überraschung und Freude erfuhr er, dass er nicht verkauft worden war. Nun musste es schnell gehen. Mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung, die ihre Unterstützung binnen zwei Stunden zusagte und sich mit der Neuen Sammlung den Kaufpreis in Höhe von 35000 Euro teilte, gelangte somit eines der bedeutendsten Objekte der Goldschmiedewerkstätte am Bauhaus zu seinem endgültigen Verbleib in die Neue Sammlung und kann nun von der Öffentlichkeit bewundert werden. Unauffällig ist der Rundscheiben-Anhänger jedoch noch immer, weshalb er leicht neben all den anderen vorbildlichen Designobjekten in der Vitrine übersehen werden kann.

Der Einzelgänger Naum Slutzky verließ bereits 1924 das Bauhaus, da ihm die Entwicklung des Bauhauses weg vom Experimentellen und hin zur Hochschule für industrielle Gestaltung missfiel. Über Wien und Berlin kam er schließlich nach Hamburg, wo er als selbstständiger Innenarchitekt und Entwerfer u.a. Leuchten entwarf. Im Gegensatz zu seinen künstlerischen waren seine geschäftlichen Fähigkeiten unterdurchschnittlich ausgeprägt, in finanziellen Dingen war er naiv. Finanziell grandios gescheitert emigrierte er 1930 nach England, wo er bis 1965, seinem Todesjahr, an verschiedenen Hochschulen in London und Birmingham Produkt- und Industriedesign unterrichtete und die Ideale des Bauhaus-Designs – Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Materialgerechtigkeit – nach England importierte.