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50 Jahre Panton Chair – Pop meets Art

Happy birthday, Panton Chair! Runde Jubiläen werden meist nur bei berühmten Persönlichkeiten gefeiert. Deshalb muss es sich bei dem ikonischen Panton Chair, entworfen von Verner Panton und entwickelt bei Vitra, schon um ein ganz besonderes Objekt handeln, wenn es 50 Jahre nach seiner Markteinführung mit Sondereditionen und vielfältigen Präsentationen bejubelt wird. 1968 wurde der futuristische Stuhl auf der imm cologne dem staunendem Publikum präsentiert. Der Freischwinger, als erster überhaupt komplett aus Plastik gefertigt, wurde noch im gleichen Jahr als Beispiel für zukunftsweisendes Design in die Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art aufgenommen. Als Klassiker des modernen Möbeldesigns hat er zahlreiche Preise gesammelt, fehlt in keinem namhaften Design-Museum und ist das Pop Idol in mancher Wohnung. Diese kleine Revolution im Möbeldesign fand parallel zur großen gesellschaftlichen Revolte, den 68er Unruhen, statt. Hier entluden sich die über Jahre aufgestauten Ressentiments der Nachkriegs-Jugend gegen die etablierten Machtstrukturen und begründeten eine neue (Politiker-) Generation: die 68er. Dieser kritische Zeitgeist, der alles Überbrachte infrage stellte, half sicher auch bei der Akzeptanz des neuartigen Panton-Stuhls, der kaum mehr etwas mit einem klassischen Sitzmöbel gemein hatte.

Der Designer – Verner Panton

Der dänische Designer und Architekt Verner Panton wurde 1926 im dänischen Gamtofte geboren. Er studierte von 1944 – 1951 an der Technischen Schule in Odense und an der Königlichen Kunstakademie Kopenhagen Architektur. Von 1950 – 1952 arbeitete er als Assistent im Architekturbüro des legendären Arne Jacobsen, der schon in den 1930er Jahren mit moderner Architektur wie bei der Bellavista-Siedlung in Klampenborg, nördlich von Kopenhagen an der Ostsee gelegen, über die Grenzen Dänemarks hinaus bekannt wurde. Durch seine Beteiligung beim Entwurf der ‚Ameise‘, Jacobsens wohl bekanntestem Stuhl, erwarb sich Panton eine gute Basis für sein weiteres Schaffen als Möbeldesigner.
1955 gründete Panton sein eigenes Architektur- und Designstudio. Nur drei Jahre später wurde die Designwelt 1958 durch seinen ‚Cone Chair‘, auch ‚Eistüte‘ genannt, auf den Newcomer aufmerksam. Seine Entwürfe basieren oft auf geometrischen Formen wie dem Kegel bei der Eistüte. Neben zahlreichen Sitzmöbeln schuf er in den folgenden Jahren auch diverse Leuchten. Statt Holz, dem klassischen Material des skandinavischen Designs, bevorzugte er meist künstliche Materialien in den kräftigen Farben des gesamten Regenbogen Spektrums und gilt als Pionier des bunten Pop-Art Designs. Er beschäftigte sich auch mit dem Textildesign und verschmolz in seinen visionären Raumgestaltungen Boden, Wände und Decke zusammen mit den Möbeln, Leuchten, Textilien und Wandpaneelen zu untrennbaren Einheiten. Zukunftsweisend waren die im Rahmen der Kölner Möbelmesse vom Chemie-Riesen Bayer gemieteten Ausflugsschiffe und von Verner Panton (1968 ‚Visiona 0‘ und 1970 ‚Visiona 2‘) zu temporären Ausstellungsräumen umgestalteten „Visiona“-Schiffe, auf denen er u.a. seine aus verschiedenen Schaumstoffen produzierte Wohnlandschaft „Visiona“ auf dem Rhein vorstellte. Seine Entwürfe stehen exemplarisch für das psychedelische Design der 1970er Jahre und waren oft mehr künstlerische Raumskulptur als profaner Gebrauchsgegenstand. An den Kunststoffen faszinierten ihn am meisten die nahezu grenzenlosen Möglichkeiten der Formgebung und Farbgestaltung.
Seine Zusammenarbeit mit dem Möbelhersteller Vitra begann Anfang der 1960er Jahre und intensivierte sich mit seinem Umzug nach Basel im Jahr 1963.
Seine Ehefrau, Marianne Panton beschreibt seine Arbeitsweise sehr anschaulich: „Verner Panton arbeitete am liebsten spätabends oder nachts, dann kamen ihm die besten Ideen. Gerne arbeitete er zuhause in seinem Arbeitszimmer. Für ihn spielte die Struktur seines Arbeitsplatzes kaum eine Rolle, grundsätzlich brauchte er nur einen Tisch, einen Block und einen Stift. Und Platz brauchte er auch, zum Herumlaufen und Denken. Er trug immer kleine karierte Kartothekskarten in der Brusttasche, um seine Gedanken und Ideen unterwegs festhalten zu können. Die waren ihm sehr, sehr wichtig.”
In den 1970er Jahre erfolgte eine Neubewertung der farbgewaltigen avantgardistischen Kunststoff-Wohnwelten des vorangegangenen Jahrzehnts. Ein ökonomischer Grund hierfür war die Verknappung (autofreie Sonntage!) bzw. Verteuerung des Ausgangsmaterials Rohöl durch die Ölkrise. Soziologisch steht das Jahrzehnt für den Beginn einer weltweiten Umweltbewegung nebst der Gründung politischer Parteien mit „grünem“ Markenkern, der u.a. auch einen kritischeren und nachhaltigeren Umgang mit dem Erdölprodukt Kunststoff, Pantons Lieblingsmaterial, bewirken sollte.
Im Jahr 1994 entwickelt Verner Panton aus unterschiedlich bunt lackierten MDF Holzfaserplatten für den schwedischen Möbelriesen IKEA den Stuhl Vilbert mit „eingebautem“ hohen Spaß Faktor. In Abwandlung von Louis Sullivans Designkonzept „form follows function“, das dieser im Jahr 1896 schriftlich formulierte, gilt für den kantigen Stuhl Vilbert treffender: „form follows fun“ [aus Literatur 2]).
1995 rückt bei der Zusammenarbeit mit dem Möbelproduzenten VS-Möbel (Vereinigte Spezialmöbelfabriken) erneut die Ergonomie beim Sitzen verstärkt in den Mittelpunkt.
1998 stirbt Verner Panton in Kopenhagen, nur wenige Tage vor der Eröffnung der letzten von ihm gestalteten Ausstellung „Licht und Farben“ im Trapholt Museum in Kolding.

Das Prinzip – der Freischwinger

Ein starrer Stuhl ohne Hinterbeine wird Kragstuhl (von kragen = überstehen) genannt. Der Freischwinger ist ein durch seine besondere Konstruktion federnder Kragstuhl. Unter dem Gewicht der auf ihm sitzenden Person sinkt er leicht nach hinten ab, wodurch diese „frei“ schwingen kann. Das unbequeme statische Sitzen geht so in ein angenehmes, dynamisches Schaukeln über. Durch diese Beweglichkeit bietet er einen sehr hohen Sitzkomfort. Wegen der fehlenden Hinterbeine muss die Statik der Stuhlkonstruktion für eine stabile Ableitung der auf den Stuhl einwirkenden Gewichtskraft über die Vorderbeine sorgen.
Der Freischwinger ist ein noch relativ junges Sitzmöbel. Erst 1926 fügte der Architekt Mart Stam handelsübliche Rohre zu einem ersten Kragstuhl zusammen, der aber besonders wegen seiner Starrheit verbesserungswürdig war. Es galt das richtige Material mit geeigneten Dimensionen (Durchmesser und Wandstärke) zu finden, das gleichzeitig Stabilität und Flexibilität ermöglichte. 1927 präsentierte Ludwig Mies van der Rohe seinen MR20 genannten Entwurf eines Freischwingers aus verformtem Stahlrohr für die Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Es folgten Marcel Breuer und viele andere bekannte und unbekannte Designer, die das Prinzip, besonders die Elastizität, weiter entwickelten und eine Vielzahl an – teilweise noch heute produzierten – Freischwinger Typen für diverse Hersteller wie Thonet oder Mauser schufen. Die Gemeinsamkeit all dieser klassischen Stahlrohr Freischwinger ist der tragende Rahmen aus einem Stück in „Schlittenform“ gebogenen Stahlrohrs. Er ruht wie auf Kufen auf einem am Boden liegenden U, aus dessen beiden Enden sich die Vorderbeine erheben, die an ihrem oberen Ende wiederum nach hinten unter etwa 90 Grad abknicken und so den Rahmen der Sitzfläche bilden. Durch einen erneuten 90 Grad Knick nach oben am Ende der Sitzfläche entsteht der Rahmen der Rückenlehne. Sitzflächen und Rückenlehnen bestehen meist aus verformten Sperrholz oder Textilien.
Der finnische Architekt und Designer Alvar Aalto realisierte in den 1930er Jahren Freischwinger aus Formschichtholz, die gänzlich ohne Metall auskamen.
Der nächste Entwicklungsschritt fand erst Jahrzehnte später statt. 1956 entwarf Verner Panton den stapelbaren Freischwinger „S-Stuhl“ aus einem Stück verformten Schichtholz. Er war der erste durchgehend in einem Material gefertigte Freischwinger und wurde mit dem Rosenthal-Studio Preis prämiert. Trotz der frappierenden Ähnlichkeit zu Gerrit Rietvelds „Zig-Zag-Stuhl“ von 1933 hat Panton jegliche Anregung durch diesen stets verneint. Ihm ging es ausschließlich darum die Möglichkeiten des formbaren Materials Schichtholz auszuloten.
Und schließlich wurde durch Pantons Begeisterung für den schier grenzenlos gestaltbaren Kunststoff aus dem hölzernen „S-Stuhl“ der Panton-Stuhl aus Plastik. Dieser benötigt keinen Rahmen wie die Ur-Freischwinger, da er vom Fuß über die Verbindung Fuß-Sitzfläche (analog den Stuhlbeinen), Sitzfläche bis hin zur Rückenlehne aus einer zusammenhängenden Kunststofffläche geformt ist, aus einem Guss.

Das Material – der Kunststoff

Der Ursprung der Kunststoffe liegt nicht – wie weit verbreitet angenommen – im vorletzten Jahrhundert, sondern datiert wesentlich früher. Bereits 1531 entwickelte der Augsburger Benediktinerpater Wolfgang Seidel durch Erhitzen und Reduzieren von Magerkäse das Kunsthorn oder Kasein genannte Material. Im warmen Zustand geformt, wurde es nach dem Erkalten hart, durchscheinend und stabil in seiner Form. Trinkgeschirr und Schmuckstücke aus Kasein konnten durch die Zugabe von Farbstoffen koloriert werden.
Die Entwicklung neuer Kunststoffe wurde und wird motiviert durch nachteilige Materialeigenschaften und/oder seltenes Vorkommen der vorhandenen natürlichen Materialien. Kunststoffe bieten zudem die Möglichkeit Produkte reproduzierbar mit identischen Eigenschaften wie z.B. Farbe und Härte in großen Stückzahlen in konstanter Qualität herzustellen. Ab dem 19. Jahrhundert, mit dem Übergang von der handwerklichen Fertigung zur industriellen Massenproduktion, gewannen Kunststoffe enorm an Bedeutung. Frühe Kunststoffe wie Zelluloid (Kunststoff-Verbindungen aus Cellulosenitrat und Campher) als Elfenbeinersatz und Galalith (Handelsname eines 1897 von Wilhelm Krische und Adolf Spitteler Kasein-Kunststoffs) waren beliebtes Ausgangsmaterial für kunstgewerbliche Gegenstände. Wurde Kunststoff zunächst nur als kostengünstigeres Substitut der natürlichen Materialien benutzt und die Gestaltung der Dinge 1:1 übernommen, führten die vielen technischen Neuerungen mit noch nie dagewesenen Produkten wie Radios, Telefonen und Fernsehern zu einem neuen Berufsbild: Designer. Oft als Architekten ausgebildet, gestalteten sie mit genauer Kenntnis der technischen Vorgaben die zahlreichen Erfindungen der Ingenieure. Der 2. Weltkrieg schob die Erforschung diverser Kunststoffe weiter an. Als kriegswichtig wurden zum Beispiel Nylon (Bezeichnung in den USA) bzw. Perlon (Deutschland) für Fallschirme und Flugzeugreifen, Plexiglas, Polyvinylchlorid (PVC) und Schaumstoffe eingestuft. Nach dem Krieg waren Ray und Charles Eames die Ersten, die aus mit fiberglasverstärktem Polyester geformte Sitzschalen für Stühle und Sessel entwarfen .
Die technischen Eigenschaften der Kunststoffe wie Formbarkeit, Härte, Elastizität, Bruchfestigkeit sowie Temperatur- und chemische Beständigkeit lassen sich durch die Wahl des Ausgangsmaterials, des Herstellungsverfahrens und der Zugabe von Additiven über weite Bereiche einstellen: ein für die Produktion von so stark beanspruchten Gebrauchsgegenständen wie Stühlen erheblicher Vorteil. Der Panton-Chair wurde zuerst aus fiberglasverstärktem Polyester hergestellt. Polyester ist ein Polymer, ein chemischer Stoff aus Makromolekülen, also aus vielen (gleichen) Teilen aufgebaut.

Der Hersteller – Vitra

Seit dem Gründungsjahr 1950 befindet sich das Unternehmen in Familienbesitz und produziert hochwertige Entwürfe international anerkannter Designer. Die Langlebigkeit der Vitra Produkte zusammen mit ihrer hohen Design-Kompetenz führen zu nachhaltigen Erzeugnissen. So suchte das Unternehmen stets die Zusammenarbeit mit außergewöhnlichen Designern wie bereits in den Anfangsjahren zum Beispiel zu George Nelson und dem Ehepaar Ray und Charles Eames. Auf Grund der zugestandenen gestalterischen Freiheiten, dem hohen fertigungstechnischem Know-How und der Marktkenntnis des Unternehmens prägten über die Jahrzehnte weitere renommierte Designer und Architekten wie etwa Werner Aisslinger, Ron Arad, Mario & Claudio Bellini (von Bellini stammt der samtblaue Drehstuhl „Figura“ für den Plenarsaal des Deutschen Bundestages), Ronan & Erwan Bouroullec, Eero Saarinen, Norman Foster, Frank Gehry, Alexander Girard, Konstantin Grcic, Isamu Noguchi und Jean Prouvé das Unternehmen und seine Produkte. Nur in einem derart aufgeschlossenen und wagemutigen Umfeld konnte ein so anspruchsvoller Entwurf wie der Panton Chair realisiert werden.
Mit nur 20 Jahren erwarb Willi Fehlbaum 1934 ein Ladenbaugeschäft in Birsfelden bei Basel. Bis zum Jahr 1950 hatte er es systematisch und kontinuierlich in eine Möbelbau Firma transformiert und verlegte seine Produktionsstätten nach Weil am Rhein, unweit von Basel, in Deutschland. Das neue Unternehmen hieß fortan Vitra. Im Jahr 1953 bereiste Willi Fehlbaum die USA und entdeckte dabei die genialen Möbel von Charles und Ray Eames. Schnell stand fest, dass er fortan Möbelhersteller sein wollte. Erste Kontakte zu dem Designer-Ehepaar Eames führten zu einer lange anhaltenden und das Unternehmen Vitra prägenden Freundschaft. Schließlich konnte Fehlbaum vom US-Produzenten Herman Miller Vertriebslizenzen nicht nur für Eames Möbel erwerben, sondern auch Entwürfe von George Nelson. Mit deren Produktion starteten 1957 die Firmengründer Willi und Erika Fehlbaum das Projekt Vitra. Projekt deshalb, weil die Unternehmensphilosophie nicht ausschließlich auf den wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet ist, sondern die vielen Facetten des Arbeitens und Wohnens in ästhetischer Einrichtung einbezieht. Vitra bietet hierfür ein breites Spektrum an Möbeln, Leuchten und Accessoires namhafter Designer an. Ab 1977 leitete ein Sohn, Rolf Fehlbaum, das Unternehmen.
Bei einem Großbrand im Jahre 1981 fielen die meisten der ab den 1950er Jahren gebauten Produktionshallen den Flammen zum Opfer. Diese Katastrophe bot die Chance zu einem sehenswerten Neuaufbau als heterogenem Ensemble zeitgenössischer Architektur. Der Besucher des Vitra Campus in Weil am Rhein erlebt heute einen vielfältigen Architekturpark einschließlich des Vitra Design Museums (Frank Gehry, 1989), der wie die produzierten Möbel das Unternehmen Vitra charakterisiert. Zwischen 1981 und 2016 entstanden insgesamt 21 eigenständige Gebäude verschiedener Architekten vom Feuerwehrhaus (Zaha Hadid, 1993) bis hin zum Schaudepot (Herzog & de Meuron, 2016), wodurch der Vitra Campus auch Architekturliebhaber aus der ganzen Welt anzieht.

Der Klassiker – der Panton Chair

Die spannende Entstehungsgeschichte des Panton-Stuhls zeigt wie durch den Glauben an ein geniales Objekt, den unbedingten Willen dieses zu realisieren und das vertrauensvolle Zusammenwirken von Designer und Hersteller unüberwindbar scheinende Probleme gelöst werden können.
Verner Panton hat sich bereits in den frühen 1950er Jahren mit dem Design eines Stuhls komplett aus einem einzigen Stück Material beschäftigt.
Konkretisiert hat er die Idee 1956 beim von der „Neuen Gemeinschaft für Wohnkultur“ (WK-Möbel) ausgeschriebenem „Europäischen Wettbewerb für Möbel-Entwürfe“: er spricht von einem stapelbaren, frei schwingendem „Esstisch-Stuhl“, bei dem Untergestell, Sitzfläche und Rückenlehne aus einem zusammen hängenden Stück eines einzigen Materials gefertigt sind.
Aus dieser Beschreibung entstand der Vorläufer des Panton-Stuhls. Noch im Jahr 1956 entwarf Panton den S-Stuhl, den er in Zusammenarbeit mit der Firma August Sommer in Plüderhausen entwickelte, und den die Firma Thonet 1965 auf den Markt brachte.
Nun fehlte ‚nur“ noch der Übergang von Holz zu Kunststoff. Später beschrieb Panton die Geburtsstunde der Idee zum Panton-Stuhl als den Moment ‚als ich sah, wie man einen Sturzhelm aus Glasfasern und einen Putzeimer in Plastik herstellte.‘ (Verner Panton: Die Geschichte des Panton-Stuhles. Unveröffentlichtes Manuskript, o.S. o.J., Archiv VDM). Im Gegensatz zu Holz ist Kunststoff besser modellierbar und eignet sich durch den Einsatz industrieller Fertigungsprozesse für die kostengünstige Massenproduktion.
Vor Vitra hatten bereits etliche Fabrikanten die Umsetzung der Idee in ein marktreifes Produkt abgelehnt, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Mehr Mut und Begeisterung bewies schließlich Rolf Fehlbaum, der Sohn des Firmengründers, den das futuristische Pop-Art Design des ungewöhnlichen Sitzmöbels sofort überzeugt hatte. Zusammen mit Manfred Diebold, dem Leiter der Produktentwicklung suchte er ab Mitte der 1960er Jahre nach einer Realisierungsmöglichkeit, obwohl anfangs Willi Fehlbaum auf Widerstand beim Chef-Designer George Nelson seines US-amerikanischen Partners Herman Miller traf. Es gab zwar schon seit den frühen 1950er Jahren Sitzschalen aus Kunststoff auf Metallgestellen, wie sie zum Beispiel von Charles Eames entworfen worden waren, aber die besondere Statik eines Kragstuhls als Monobloc-Freischwinger stellte enorme Anforderungen bezüglich Stabilität und Festigkeit an den Kunststoff. Da ihm die anerkannten Attribute eines Luxusprodukts, edles Holz und/oder geschmeidiges Leder fehlten, und er ‚nur‘ aus billigem Kunststoff bestand, war zusätzlich der Spieltraum bei der Gestaltung des Verkaufspreises begrenzt, was eine weitere Hürde auf dem Weg zur Serienfertigung darstellte.
So sollte die Entwicklung von der Skizze Verner Pantons zur Realisierung einer der außergewöhnlichsten Ikonen des Stuhldesigns im 20. Jahrhunderts etliche Jahre in Anspruch nehmen. Zwischen 1965 und 1967 wurde in der Entwicklungsabteilung von Herman Miller/Vitra in Weil am Rhein geforscht, ausprobiert, verworfen. Zu guter Letzt konnten doch die extremen Formvorstellungen des Designers mit den damaligen Möglichkeiten der Kunststofftechnologie realisiert werden. Das Ende dieser Phase markierten zehn Prototypen des ersten Vollkunststoff-Freischwingers der Möbelgeschichte aus handlaminiertem, glasfaserverstärktem Polyester, mit denen die endgültige Form des Stuhls definiert wurde.
Der Panton-Chair zeigt, dass gutes Design nicht zufällig entsteht, sondern die Belohnung am Ende eines schwierigen Prozesses ist. Er steht auch für das gelungene Zusammenspiel zwischen Designer und Hersteller, besonders zwischen dem Designer und der Entwicklungsabteilung des Herstellers. Die Idee des Designers und die technische Erfahrung des Herstellers müssen zusammen finden, wobei manchmal die Entwicklungsabteilung Einfluss auf das Design nimmt und umgekehrt der Designer konstruktive oder produktionstechnische Anregungen gibt.
Somit war Verner Panton zusammen mit Vitra die Realisierung seines wohl bekanntesten Entwurfs geglückt: der 1967 erstmals vorgestellte Panton-Stuhl, der zugleich das erste in eigener Verantwortung von Vitra bis zur Marktreife entwickelte Produkt der Firma werden sollte. Die etwas weniger als 150 Stück der Vorserie wurden aus kalt gepresstem, fiberglasverstärktem Polyester ausgeführt. Neben seiner skulpturalen, wie von einem Bildhauer heraus gearbeiteten Form, waren es die für Panton typischen kräftigen Farben, die ihm sofort große Aufmerksamkeit erlangen ließen. Die enorme Nachfrage konnte jedoch mit dem teuren und aufwändigen Herstellungsprozess mit fiberglasverstärktem Polyester in dieser ersten Version des Stuhles nicht bedient werden.
In den Jahren des ‚Fantastic Plastic‘ Zeitalters wurden die diversen Kunststoffe in den Laboren der Chemiekonzerne kontinuierlich optimiert bzw. gänzlich neue Materialien gefunden, was wiederum die Produktionsverfahren der Möbelhersteller beeinflusste. So fand Manfred Diebold bei der Chemiefirma Bayer einen neuen Polyurethan-Hartschaum. Dieser Duroplast-Werkstoff wurde unter dem Namen „Baydur“ vertrieben und sollte die 1968 begonnene Serienfertigung in einem rationellen Gussverfahren vereinfachen. Dieses Material der zweiten Version ermöglichte zwar höhere Produktionszahlen, erforderte aber noch immer eine aufwändige Nachbearbeitung von Hand: Schleifen, Spachteln und Lackieren! Optisch überzeugte diese gleichmäßig glänzend lackierte Serie durch die exakte Linienführung, die sauberen Kanten und die Betonung der skulpturalen Erscheinung durch je nach Belastungsanforderung variierende Materialstärken. Trotzdem waren weder der Designer noch der Produzent zufrieden und dachten weiter über Alternativen nach.
1970 glaubte man in einer dritten Version aus dem von BASF entwickeltem Thermoplastik Polystyrol namens „Luran S“ das optimale Material gefunden zu haben. Durch das Spritzgussverfahren mit einem bereits durchgefärbten Plastikgranulat reduzierte sich die Nachbearbeitung, die Materialeigenschaften waren vielversprechend. Nachteilig an dem Verfahren war, dass es zu jener Zeit nur eine durchgehend gleiche Wandstärke zuließ. Dies hatte zwingend einige formale Veränderungen zur Folge. Die offensichtlichste Änderung, das auffallendste Merkmal dieser dritten Version, waren die zusätzlich am Übergang von der Sitzfläche zum Fuß zur Verstärkung angebrachten Rippen und die signifikant breitere seitliche Kante. Noch enttäuschender war, dass das neue Material die Erwartungen bezüglich Alterungs- und Witterungsbeständigkeit nicht erfüllen konnte, was bereits ab 1974 zu Brüchen des Stuhls führte. Auch eine 1975 erfolgte weitere Verstärkung des Materials löste das Problem nicht. Um einen gravierenden Imageverlust der Firma Vitra zu vermeiden, wurde 1979 die im Jahr 1971 mit „Luran S“ begonnene Produktion eingestellt. Diese Entscheidung passte auch zum ökologischen Zeitgeist, der die Verkaufszahlen der als billig und wenig nachhaltig angesehenen Plastikmöbel hatte sinken lassen.
Verner Panton glaubte unbeirrt an seinen Entwurf und fand Anfang der 1983 in der von der WK-Gruppe beauftragten Firma Horn einen neuen Produzenten. Gefertigt wurde nun wieder in dem bruchsichereren Polyurethan-Hartschaum (PU), mit dem bekannten Nachteil der teuren Nachbearbeitung. Von der nahezu identischen zweiten Version der Jahre 1968 bis 1971 ist er durch die in die Schleppe eingeprägte Signatur Verner Pantons sicher zu unterscheiden.
Es dauerte Jahre, bis der Schock des Bruch-Desasters bei Vitra überwunden war. Im Jahr 1990 übernahm die Firma erneut in die Produktion des Panton-Stuhls, und zwar wieder mit dem aufwändigen, aber bruchsicheren Polyurethan-Hartschaum Verfahren mit hochglänzend lackiertem Vollkunststoff. Gefeiert wurde der Neustart mit der Marketing-Aktion „Hommage à Panton“, bei der einige Designer den Panton-Stuhl auf ihre Art künstlerisch interpretierten.
Im Jahr 1995 brachte das Magazin Vogue das Model Kate Moss nackt auf einem Panton-Chair sitzend auf seine Titelseite und den Panton Chair erneut zurück ins mediale Rampenlicht. Der unverhüllte Rücken des Models erscheint wie die Fortsetzung der eleganten Linienführung des Stuhls.
Seit 1999 gibt es den Panton-Chair aus komplett wiederverwertbarem, mattem, glasfaserverstärktem Polypropylen, das in einem optimierten Spritzguss-Verfahren mit unterschiedlichen Wandstärken zum Einsatz kommt. Dies sollte die vierte und letzte von Panton autorisierte Version werden. Vitra weist darauf hin, dass diese Variante dem ursprünglichen Entwurf Pantons mehr entspricht als die ersten Exemplare der Serienproduktion, besonders weil sie nun als günstiges Industrieprodukt für mehr Menschen zugänglich ist. Formal ähnelt diese Serie der von 1971-1979 produzierten dritten Version aus dem „brüchigen“ Polystyrol, ist aber wegen der Kratzempfindlichkeit des Materials matt gehalten.

Downsizing – Miniaturen und Kinderstuhl

Und auch der Design orientierte Nachwuchs wurde nicht vergessen. Ein nur 60,5cm hohes Exemplar des Kinderstuhls „Panton Junior“ mit einer Sitzhöhe von 32cm aus Polypropylen wird seit 2008 bei Vitra produziert. Dieses geschrumpfte Modell des Klassikers ist das ideale Sitzmöbel und robuste Spielgerät für die Sprösslinge vom Kindergarten bis ins Grundschulalter. Die Verkleinerung des Erwachsenenmodells erscheint wegen des proportional dickeren Materials und der Verstärkung an der Sollbruchstelle etwas uneleganter.
Außerdem gibt es die noch kleineren Miniaturen für Sammler von Möbeldesign mit wenig Platz wie sie Verner Panton in gelb, rot und blau arrangiert.

Aktuelle Versionen – Glow und Chrome

Seinen 50. Geburtstag im Jahr 2018 feiert Vitra ganz im Sinne der Modellpflege des Klassikers mit zwei limitierten Editionen: Panton Glow und Panton Chrome. Letztere entspricht Pantons Vorliebe für verspiegelte Oberflächen, die er im Laufe seines Designerschaffens immer wieder, vor allem bei Leuchten, effektvoll einsetzte. Auch seinen Panton Stuhl wollte er bereits Anfang der 1970er Jahre mit einer verspiegelten Oberfläche anbieten, was der damalige Stand der Technik in Hinblick auf die Kratzfestigkeit aber leider nicht erlaubte. Der brillante Spiegeleffekt wird heute durch ein aufwändiges Verfahren in Handarbeit erzielt, wobei die spiegelnde Metallisierung in verschiedene Lackschichten eingebettet wird.
Der Panton Glow zitiert des Designers Interesse an neuen Technologien und Materialien sowie an dem Zusammenspiel von Licht und Farben. In Abstimmung mit Marianne Panton, Verners Ehefrau, hat Vitra den Panton Glow entwickelt. Bei diesem Modell werden in Handarbeit fünf Schichten eines Lacks mit Nachtleuchtpigmenten auf die Schalen der Polyurethanrohlinge aufgebracht und abschließend mit Schutzlack versiegelt. Ähnlich den fluoreszierenden Uhrenziffernblättern laden sich die Pigmente bei Tageslicht auf und lassen den Panton Glow in der Dunkelheit mystisch blau erstrahlen. Ein leuchtender Stuhl, die perfekte symbolische Verschmelzung von Pantons Möbel- und Leuchten Design.

Die Produktionsverfahren wurden während der letzten 50 Jahre immer wieder verändert und mit den technologischen Neuerungen optimiert. Egal aus welchem Material und in welcher Größe, durch seine Form ist er ein Klassiker des Designs des 20. Jahrhunderts und Meilenstein der Möbelgeschichte. Pantons großes Verdienst ist nicht unbedingt die Formfindung, die so ähnlich auch von anderen Designern der Zeit angedacht worden war, sondern seine Beharrlichkeit während der kostspieligen industriellen Entwicklungsarbeit. Nach langen Jahren des Scheiterns brachte er den Stuhl zur Serienreife und optimierte ihn bis zu seinem Lebensende weiter. Zum Klassiker aufgestiegen, steht der Panton-Stuhl als erster Kunststoff-Freischwinger „aus einem Guss“ als bekanntestes Kunststoffmöbel der 1960er und 1970er Jahre. In seinen ersten Jahren nutzten ihn häufig Werbeagenturen, um bei ihrem Produkt Modernität unterschwellig zum Ausdruck zu bringen.