In diesem Jahr erinnern zwei Ausstellungen in Ulm und Nürnberg an den 50. Jahrestag der traurigen Schließung der fortschrittlichen Hochschule für Gestaltung in Ulm, und auch an die enormen gestalterischen Leistungen, die in dieser kurzen Zeit erbracht wurden. Die HfG war ganz im Geiste der ersten deutschen Designschule von Weltrang, dem Bauhaus, gegründet worden und sah sich als deren legitimer Nachfolger. Ehemalige Bauhäusler lehrten an der HfG und rechtfertigten diesen Anspruch. In Ulm ist noch bis zum 4. November 2018 die Ausstellung „WIR DEMONSTRIEREN! [linksbündig bis zum schluss]. Hochschule für Gestaltung Ulm 1968“ des HfG Archivs und des Museums Ulm zu besichtigen. Die Neue Sammlung – The International Designmuseum würdigt in einem Raum ihrer Außenstelle im Neuen Museum Nürnberg seit dem 6.7.2018 mit der Ausstellung „PRÄSENTATION. HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG IN ULM (1953-1968). EIN RÜCKBLICK“ die Beiträge der HfG zum vorbildlichen Design.
Das revolutionäre Jahr 1968 steht wie kein anderes als Synonym für einen radikalen gesellschaftlichen Wandel, der noch bis heute nachwirkt und von weltweiten Studentenprotesten ausging. In Frankreich und Deutschland kämpfte die Jugend gegen das verkrustete und ungerechte System, in den USA wurde dieser Protest von Rassenunruhen zusätzlich befeuert, amerikanische Universitäten brannten. Die 68er Generation wünschte eine Transformation zu einer besseren und gerechteren Welt. Ironischerweise musste im gleichen Jahr mit der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm, ein 15 Jahre zuvor begonnenes Reformprojekt in den Bereichen Gestaltung und politische Haltung, wegen fehlender politischer Unterstützung und innerer Auseinandersetzungen schließen. Die teils gewalttätigen, politischen Konfrontationen in Berlin und Paris wirkten bis nach Ulm. So blieb die HfG ein (zu) kurzes Experiment, bei dem nicht nur Dinge gestaltet, sondern auch Menschen politisch geformt werden sollten – demokratisch, gleichberechtigt und kritisch. Vielleicht konnte der idealistische Versuch, mit gut gestalteten Dingen die Welt ein Stück besser zu machen, nur zwischen zwei Umbrüchen, der Stunde Null im Jahr 1945 und der 68er Bewegung, gewagt werden und durch sein kurzes Bestehen zum Mythos werden. Dieser Mythos zog zum einen Studenten aus aller Welt an, was der beabsichtigten Internationalität der Schule entsprach; zum anderen gingen die Absolventen nicht nur als selbständige Industriedesigner zu deutschen Unternehmen wie Krupp, Klöckner-Humboldt-Deutz, Telefunken oder AEG, sondern lehrten auch als Hochschullehrer in den USA, unterstützten den Aufbau von Designschulen nach dem Ulmer Vorbild in Rio de Janero und Ahmedabad (Indien) oder wirkten als Designer für Olivetti oder Iveco in Italien. All dies vergrößerte den Bekanntheitsgrad und das Ansehen des Ulmer Modells.
Vorgeschichte – Eine Schule der politischen Bildung
Die HfG hatte ihre geistigen Wurzeln im Widerstand gegen das Hitler Regime. Ihre Gründer Otto (Otl) Aicher und Inge Scholl, deren Geschwister Sophie und Hans Scholl für den Kampf gegen den Nationalsozialismus als Mitglieder der Widerstandsgruppe ‚Weiße Rose‘ ihr Leben opferten, waren schon während des Krieges in diversen Bünden, Diskussionszirkeln und fortschrittlich, antifaschistisch gesinnten Zusammenschlüssen aktiv gewesen. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wollten Inge Scholl und Otl Aicher helfen, das (Zusammen-)Leben im zerstörten Land neu zu konzipieren und zu organisieren. Als Leitlinie dienten ihnen die Ideale der Moderne, besonders der Wunsch nach einer freien und demokratischen Gesellschaft, deren Entwicklung auf vernünftigen und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Entscheidungen geleitet wird. Sichtbar sollte dies am Städtebau und „gut“ gestalteten Industrieprodukten werden, die am Ende auch das Ziel ‚Wohlstand für alle‘ realisieren sollten.
Mit der Gründung der Volkshochschule Ulm am 24. April 1946 trat Inge Scholl, unterstützt von ihrem späteren Ehemann Otl Aicher, politisch an die Öffentlichkeit, um das moralische und politische Erbe der Weißen Rose praktisch umzusetzen. Die tragische Prominenz ihrer Familie verhalf ihr zu vielen hochkarätigen Gastrednern wie dem späteren ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, und damit der vh ulm zu internationaler Bedeutung. Oberstes Ziel war es durch breite Bildung der Bevölkerung den Demokratisierungsprozess zu flankieren. Dadurch konnte sie die finanzielle Unterstützung der amerikanischen Besatzungsmacht für den nächsten Schritt, den Aufbau einer Hochschule zur politischen Bildung gewinnen. Zwar trieben die Amerikaner die Entnazifizierung voran, aus Mangel an qualifiziertem Personal schafften es aber immer mehr ehemalige Nationalsozialisten erneut in Amt und Würde in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland, reaktionäres Denken kehrte auch an die Universitäten zurück. Um die Jahreswende 1949/50 erstellten Scholl und Aicher ein erstes Programm für das zunächst Geschwister-Scholl-Hochschule genannte Projekt, an der Politik, Presse, Rundfunk und Film zur Beeinflussung der Gesellschaft und Stärkung der Demokratie über die Medien sowie Fotografie, Werbung, industrielle Formung und Städteplanung gelehrt werden sollten.
Aufbau mit Neubau und Ausrichtung
Der Scheck über 1.000.000 Deutsche Mark der Amerikaner, verbunden mit der Auflage von weiteren Sponsoren den gleichen Betrag einzuwerben, ermöglichte in neuen Dimensionen über das Projekt zu denken: ein moderner Neubau als architektonisches Zeichen des Aufbruchs erschien nun möglich. Ein herrlich gelegener Baugrund wurde mit dem Grundstück am Oberen Kuhberg in Ulm gefunden, das erhöht über der Donauebene liegt und einen beeindruckenden Blick auf die Allgäuer Alpen ermöglicht. Als Architekten konnten Scholl und Aicher den kantigen Schweizer Max Bill gewinnen, einen ehemaligen Bauhausschüler, den sie seit einem Besuch in Zürich im Jahr 1948 persönlich kannten und schätzten. Dieser vielseitig kreative Entwerfer hatte 1949 für den Schweizer Werkbund die Ausstellung Die gute Form kuratiert, die auch in Ulm Station machte. Der Titel Die gute Form knüpfte dabei an das Ideal von menschenfreundlichen Produkten an, das im Zuge der Gegenbewegung zur rücksichtslosen Industrialisierung im England des 19. Jahrhunderts propagiert wurde und nach dem in Deutschland zum Beispiel vom 1907 in Darmstadt gegründeten Deutschen Werkbund, später auch vom Bauhaus in Dessau, gestrebt wurde. Bill war es auch, der den anderen Mitgliedern der Aufbaugruppe die Orientierung am Bauhaus nahe legte und den Kontakt zum Bauhausgründer Walter Gropius herstellte. Sein Bestreben neben der Politik die Gestaltung als Schwerpunkt der Lehre einzubinden, wurde von Otl Aicher unterstützt, musste aber den geldgebenden Amerikanern, denen besonders an politischer Schulung gelegen war, erklärt und nahe gebracht werden. Durch den Einfluss von Walter Gropius auf Max Bill priorisierte man letztendlich die Gestaltung vor der Politik.
Die Geschwister-Scholl-Stiftung und Finanzen
Als Trägerin der neuen Hochschule gründete im Dezember 1950 Inge Scholl die Geschwister-Scholl-Stiftung GSS, auch um die HfG vor staatlicher (finanziell bedingter) Einflussnahme und Gängelung zu schützen. Die Probleme bei der Finanzierung des Neubaus und später des laufenden Unterrichts waren steter Begleiter des Projekts und besonders belastend für Inge Scholl. Unermüdlich reiste sie durchs Land, um Geldquellen sprudeln zu lassen. Es gab Rückschläge, wie eine Verleumdungskampagne, die sie und Otl Aicher unberechtigt als Kommunisten verunglimpfte. Dadurch verzögerte sich der Zufluss bereits zugesagter Gelder bzw. führte dies zum kompletten Rückzug einiger Unterstützer. Spenden und die bewusst niedrig gehaltenen Studiengebühren konnten aber kaum den Betrieb finanzieren.
Als wichtiger finanzieller Pfeiler sollte sich die Gründung eines Instituts für Produktgestaltung erweisen, mit dem die Stiftung Forschung betreiben und die Unterstützer steuerfrei spenden konnten. Weitergedacht konnte das Institut selbst Einnahmen generieren, indem es vorbildliche Produkte, ganz im Sinne der Hochschulphilosophie, hervorbrachte und diese an die Industrie verkaufte. So kam es auch, sehr zum Nutzen der deutschen Industrie wie zum Beispiel der Firma Braun und zur Entlastung der Finanzen der HfG.
In der gesamten Zeit ihres Bestehens schaffte es die HfG bzw. die GSS dennoch nicht, das ambitionierte Projekt auf eine solide finanzielle Basis zu stellen. Im Juli 1967 saß die Stiftung auf einem Schuldenberg in Höhe von 1,9 Millionen Mark. Dies war einer der Gründe, weshalb die Abwicklung der Schule unaufhaltsam ihren Lauf nahm und trotz diverser Rettungsverschläge die HfG am 31. Dezember 1968 ihren Betrieb einstellen musste.
Realisierung der Hochschulgebäude und erste Studenten
Im Jahr 1952 erarbeitete Max Bill die Gebäudepläne, die u.a. Vorlesungsräume, Werkstätten, und Wohnräume umfassten. Wie aktuell bei Stuttgart 21 oder dem Flughafen BER liefen die anstehenden Ausgaben aus dem Ruder. Seine ersten Kostenschätzungen waren zu optimistisch gewesen, unerwartete Schwierigkeiten mussten überwunden werden, was dazu führte, dass Bill von Scholl eine dritte Million anforderte. Da diese nicht verfügbar war, musste mit dem vorhandenen Budget improvisiert werden, um 1953, wie den Amerikanern versprochen, mit dem Neubau zu beginnen. Zwar verlängerte sich dadurch die Bauzeit, die Studenten erhielten aber eine praktische Ausbildung und die Möglichkeit dazu zu verdienen, indem sie mit handwerklichen Tätigkeiten beim Aufbau halfen.
Am 1. August 1953 begann in der Volkshochschule beim ehemaligen Bauhauslehrer Walter Peterhans der Unterricht mit der Grundlehre, entsprechend dem Vorkurs am Bauhaus, mit dem Ziel den Studenten gestalterische Themen zu vermitteln. Eine Woche später starteten die Bauarbeiten am Kuhberg.
Wegen der Kommunismus Verleumdung hatte der Wirtschaftsverband Eisen und Stahl eine großzügige Stahllieferung zurückgezogen. Ersatzweise bot die Ulmer Zementindustrie eine Betonspende an. Als Konsequenz wurde aus dem geplanten Stahlskelettbau ein Gebäude aus Sichtbeton, für dessen Verarbeitung jedoch zunächst das nötige know-how fehlte und das man sich erst mühsam aneignen musste.
Viele der personellen Neuzugänge brachten auch handwerkliches Können mit, was der HfG beim Entwurf und Bau der Inneneinrichtung zu Gute kam. Leuchten, Türklinken und Einbauwaschbecken wurden gestaltet, Möbel wie der Ulmer Hocker zusammen gebaut. Sein Design geht auf Max Bill und Hans Gugelot zurück, die mit tatkräftiger Unterstützung durch Werkmeister Paul Hildinger diesen Hocker für zwei Sitzhöhen im Jahr 1954 entwarfen.
Im November 1954 wurde der Schulbau inklusive der Einrichtung der Holz-, Metall- und Gipswerkstatt fertig, so dass Max Bill am 10. Januar 1955 das neue Studienjahr in den neuen Gebäuden am Kuhberg eröffnen konnte. Der schlichte Sichtbeton, das Fichtenholz und die weißen Wände vermittelten ein Gefühl der Freiheit, verbunden mit der unausgesprochenen Aufforderung an die Studenten und Dozenten nun selbst und frei zu denken. Am 2. Oktober 1955 erfolgt die offizielle Einweihung. Die Eröffnungsrede hält kein Geringerer als Walter Gropius, erste HfG Produkte wurden in den neuen Räumlichkeiten präsentiert.
Design
Ein Glücksfall für die HfG war der niederländische Architekt Hans Gugelot, der 1954 nach Ulm zog und zunächst die Leitung des Innenausbaus übernahm. Im gleichen Jahr führte die Suche nach einem Entwerfer zur gestalterischen Erneuerung ihrer etwas angestaubten Rundfunkgeräte die Unternehmer Erwin und Artur Braun, Erben des Geräteherstellers Braun, nach Ulm. Sie fanden ihn in Hans Gugelot, der mit Unterstützung von Otl Aicher ein innovatives Konzept für die Rundfunkgeräte von Braun entwickelte. Er verhalf den als Möbel verkleideten Rundfunkapparaten zu einem bewusst technischen Erscheinungsbild. Schlichte helle Holzbretter ersetzten miefige Stoffbespannungen und protzige Edelholzfurniere. Gugelot führte auch den Systemgedanken ein und stimmte dabei Radiogerät, Plattenspieler und Fernsehapparat aufeinander ab. Im August 1955 stachen diese modernen Geräte bei der Deutschen Rundfunk-, Phono- und Fernsehausstellung in Düsseldorf aus der Masse der antiquierten Konkurrenzprodukte heraus. Die HfG war nun in aller Munde. Im Jahr 1957 erhielten acht Produkte der Max Braun AG den Grand Prix der XI. Triennale Mailand und die HfG damit internationale Reputation.
Legendär ist die als „Schneewittchensarg“ bezeichnete Radio-Plattenspieler-Kombination Braun SK 4 oder auch „Phonosuper SK 4“, die von Hans Gugelot zusammen mit dem Braun Designer Dieter Rams entworfen wurde. Das im Gegensatz zu den damals dominierenden sperrigen Musiktruhen extrem kompakte Gerät enthält ein Röhrenradio und einen Plattenspieler in einem ganzseitig geschlossenen Gehäuse aus Metall und Holz. Eine weitere Besonderheit des „Phonosupers SK 4“ ist die durchgehende Abdeckung aus Plexiglas.
Sehr fortschrittlich wirkt auch das Steuergerät Braun studio 1, für dessen Design 1957 Hans Gugelot und Herbert Lindinger verantwortlich zeichnen.
Der Braun Exporter 2 (mit praktischem steckbaren Netzteil-Untersatz zum heimischen Stromsparen) ist das Beispiel eines gelungenen Redesigns eines bereits existierenden Kofferradios an der HfG im Jahr 1956. Sein Vorgängermodell Braun Exporter 1 unterschied sich zwar schon durch sein Plastikgehäuse deutlich von den üblichen Konkurrenzprodukten der Firmen Akkord, Telefunken oder Grundig mit ihren Kunstleder verkleideten Holzgehäusen, seine Farbe und Beschriftung ordneten ihn aber dem alten Braun-Design zu. Das ‚Facelift‘ konzentrierte sich deshalb vor allem auf die Typografie der Beschriftung seiner Frontplatte. Eine moderne Schriftart für Buchstaben und Ziffern versachlichte seine Erscheinung. Weiß für die Frontplatte und Graublau für den restlichen Korpus und das Frequenzrad verstärkten diesen Effekt.
Ein vorbildliches Beispiel funktionsbestimmten Designs ist das Hotelstapelgeschirr „TC 100“ von Hans (Nick) Roericht. Für seine Diplomarbeit an der HfG 1958/1959 entworfen, verdeutlicht dieses Kompaktgeschirr anschaulich den Systemgedanken, den schon Gugelot bei seinen elektronischen Geräten verfolgte. Das aus 50 Einzelteilen bestehende System ist auf einer Maßkoordination aufgebaut. Die Schälchen können zugleich als Deckel verwendet werden, wodurch keine gesonderten Deckel erforderlich sind. Die Einzelteile lassen sich entweder ineinander oder übereinander stapeln. Es ist aus weiß oder dunkelgrün lasiertem Porzellan. Produziert wurde es im Thomas Porzellan-Werk der Firma Rosenthal AG, das im Konzern für designorientiertes Gebrauchsporzellan und Hotelporzellan zuständig ist.
An der HfG wurden nicht nur dreidimensionale Objekte entworfen, sondern auch Grafikdesign wie das dynamische Werk „Bewegung im Raum“, das 1963/64 in der Abteilung Visuelle Kommunikation (Dozent Tomás Gonda) vom Studenten Sieghart Brehm angefertigt wurde. Bereits 1954 gestaltete Otl Aicher mit Studenten der HfG Plakate und Drucksachen zur 1100-Jahrfeier Ulm. Einen lukrativen Auftrag erhielt Aicher für die Überarbeitung des visuellen Auftritts der Deutschen Lufthansa. Mit einem wohl gestalteten und stimmigen Erscheinungsbild sollte sich das Unternehmen der Öffentlichkeit präsentieren. Seiner Meinung nach konnte dies weit mehr als die übliche Werbung bewirken, die Aicher als „kulturell minderwertig“ ablehnte und vielleicht in der Nähe der faschistischen Propaganda sah. Ab 1967 erarbeitete er das Erscheinungsbild der Olympischen Sommerspiele in München (XX. Olympiade, 1972).
Berufsbild Industriedesigner
Der Übergang von der handwerklichen Herstellung einzelner Produkte zur massenhaften industriellen Fertigung erforderte einen gänzlich neuen Ansatz bei der Gestaltung der Dinge. Der Entwurf musste maschinell herstellbar sein, ein Fehler im Design konnte bei Großserien zur finanziellen Katastrophe eskalieren. Anfangs übernahmen häufig Architekten die Gestaltungsaufgaben bzw. führte der Weg zum Gestalter über ein Architekturstudium, da es den Beruf noch gar nicht gab. Die HfG professionalisierte und strukturierte die Ausbildung zum Industriedesigner.
Der Beruf erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise, müssen doch die technischen Möglichkeiten der Produktion, der vorgegebene finanzielle Rahmen des Produzenten und die Bedürfnisse der Käufer bzw. Benutzer in den Entwurf einfließen. Gestalterische Fähigkeiten, technisches Verständnis, Konstruieren und Werkstoffkunde sind einige der Grundvoraussetzungen für erfolgreiches Entwerfen. Der Industriedesigner ist verantwortlich für die Gestaltung von Produkten oder Systemen, die ihre Aufgabe optimal erfüllen, wirtschaftlich herstellbar sind und dem Käufer gefallen. Das erklärt die Vielzahl an unterschiedlichen Fächern, die an der HfG gelehrt wurden und die breite fachliche Streuung der Dozenten und Gastredner, die nicht nur aus dem gestalterisch-künstlerischen Bereich kamen. Neben Mathematikern, Physikern und Chemikern wurden auch Literaturwissenschaftler, Soziologen, Philosophen oder Filmemacher wie Edgar Reitz, der ab 1981 durch die Serie Heimat bekannt wurde, verpflichtet. Den Studenten wurde so fundiert vermittelt, wie sie ihre Gedanken präzise ausformulieren, systematisch arbeiten und ihre Konzepte visualisieren können.
Konflikte und das Schicksalsjahr 1968
(Basis-)demokratische Organisationen erlauben zwar dem Einzelnen viel Mitspracherecht, können aber auch das große Ganze bremsen oder gar verhindern. Von Anfang an existierten an der HfG Konfliktlinien und Rivalitäten, die in den Gründerjahren, das angestrebte Ziel vor Augen, meist einvernehmlich entschärft werden konnten. Mit der Größe und wachsenden Bedeutung der HfG nahm aber auch die Härte der Auseinandersetzungen zu.
Der erste prominente Fall war der Rücktritt des autoritären Max Bill als Rektor der HfG im Jahr 1956. Hintergrund waren Bills absoluter Führungsanspruch, den er von seinen vielfachen Funktionen ableitete, und seine teils schwierige Persönlichkeit. Inge Scholl übertrug nach seinem Rücktritt, den eine Gruppe von Studenten erbittert verhindern wollte, die Leitung der Hochschule einem Rektoratskollegium, dem Otl Aicher, Tomás Maldonado, Hans Gugelot und Friedrich Vordemberge-Gildewart angehörten. Ein Kollektiv Gleichberechtigter trat an die Stelle des Alleinherrschers. 1957 trennten sich ‚geräuschvoll‘ die Wege der HfG und Max Bills endgültig.
Zwar stellte Tomás Maldonado (Eröffnungsrede des Rektors der HfG am 5.10.1964) fest: „Die HfG ist nicht nur eine Schule, an der man eine bestimmte Fachausbildung erhält; die HfG ist vielmehr eine Gemeinschaft, deren Mitglieder dieselben Intentionen teilen: der menschlichen Umwelt Struktur und Gehalt zu verleihen.“ Darüber, wie der Weg dahin allerdings aussehen sollte, konnte man aber trefflich streiten.
Eifersüchteleien wurden auch durch unterschiedliche Anstellungsverhältnisse der Dozenten provoziert sowie durch die Tatsache, dass erfolgreich mit der Industrie kooperierende Gestalter sich privat ein Zusatzhonorar verdienen konnten.
Teils ging es wirklich um die programmatische Ausrichtung der HfG, teils wurden die Konflikte vom Karriere- und Profitdenken einzelner herauf beschworen.
Reibung gab es in den Gründerjahren bei der Gewichtung von politischer Lehre und Gestaltung, später zwischen alten (Gestalter) und jungen Dozenten (Wissenschaftler). Das letzte Jahr wurde besonders durch den Konflikt zwischen Dozenten und Studenten geprägt, die gerade im Jahr 1968 mehr Mitspracherecht durch eine neue Hochschulverfassung einforderten.
An der international, demokratisch, gleichberechtigt und antifaschistisch ausgerichteten HfG wurden neuartige Antworten auf Gestaltungsfragen aller Art gefunden, vom Gebrauchsgegenstand, über visuelle Kommunikation und Städtebau bis hin zur Organisation des Zusammenlebens. All diese Leistungen konnten ihre Schließung in Zeiten harter politischer Konfrontationen nicht verhindern. Wie schon beim Bauhaus führte die Politik das plötzliche Ende herbei, „freundlich unterstützt“ von inneren Querelen. Die fortschrittlichen Ideen und Ideale der HfG sind aber auch nach 50 Jahren nicht vergessen. Heute würde die HfG noch auf die Nachhaltigkeit und Reparaturfähigkeit der Produkte fokussieren, erstickt die Menschheit doch an gewollt irreparablen Konsumgütermüll, der sich schon durch umwelt- und reparaturfreundliches und damit langlebiges Design reduzieren ließe.
Ausstellungen
Zwei Ausstellungen bieten zurzeit beste Einblicke in die Geschichte und die gestalterischen Leistungen der HfG als Ausbildungsstätte von Architekten, Industriedesignern und visuellen Gestaltern:
Die Neue Sammlung, die bereits 1964 eine Wanderausstellung der HfG in München präsentierte, zeigt in ihrer Depandance im Neuen Museum Nürnberg ausgewählte, an der HfG entworfene Designobjekte wie den Ulmer Hocker von Max Bill und Hans Gugelot oder Obstschalen von Walter Zeischegg, die anschaulich verdeutlichen, wie sehr die HfG eine moderne, zukunftsorientierte Institution war. Neben den herausragenden Objekten aus dem Bereich Produktgestaltung gibt es in Nürnberg auch Arbeiten aus der visuellen Kommunikation und Fotografie zu sehen.
Die zweite Ausstellung „WIR DEMONSTRIEREN! [linksbündig bis zum schluss] Hochschule für Gestaltung Ulm 1968“ des HfG-Archivs Ulm und des Museums Ulm spannt den Bogen von der wagemutigen Idee einer Demokratieschule über deren Materialisierung in Form der Hochschule für Gestaltung bis zu ihrem unerwarteten Ende. Mit ihrer Methodik der Ausbildung der Studenten und ihren fortschrittlichen Gestaltungsprinzipien veränderte sie über ihr Bestehen hinaus das deutsche, aber auch das internationale Design maßgeblich: sie entwickelte die weltweit vorbildliche wissenschaftliche und theoretische Ausbildung zum Industriedesigner.
Ausstellungen:
PRÄSENTATION. Hochschule für Gestaltung in Ulm (1953-1968). Ein Rückblick
Neues Museum Nürnberg. Luitpoldstr. 5 · 90402 Nürnberg.
WIR DEMONSTRIEREN! [linksbündig bis zum schluss] Hochschule für Gestaltung Ulm 1968
Ausstellung des HfG-Archivs Ulm / Museum Ulm im Studio HfG, Am Hochsträß 8, 89081 Ulm.
- Juli 2018 – 4. November 2018