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Design Migration – wie sich gutes Design über Länder und Jahrzehnte verbreitet

Gutes Design war schon immer und ist noch heute ein entscheidender Wettbewerbsvorteil beim Verkauf elektronischer Konsumgüter. Erscheint eine neue Technik auf dem Markt, erhält sie zunächst ein den Funktionen und dem Zeitgeist entsprechendes Äußeres. Im Laufe der Zeit muss dieses den verbesserten inneren Werten immer wieder angepasst werden. Nichts ist schlimmer als neue Technik in vermeintlich veralteten Gehäusen. Interessant ist es zu beobachten, wie sich ein formales Grundkonzept über Länder und Jahrzehnte verbreitet hat, wie es am Beispiel des weltweit ersten volltransistorisierten Taschenempfängers Regency TR-1 (1954), des Braun Taschenempfängers T3 (1958), des Braun Exporters 1 bzw. 2 (1954 und 1957) und schließlich im iPod classic (2001) festzustellen ist. 

Ab den frühen 1950er Jahren bis in die 1960er Jahre standen Radioempfänger und ihre technischen Fortschritte unter ständiger, interessierter Beobachtung der Konsumenten, vergleichbar mit den (mobilen) Endgeräten des Internet Booms unserer Zeit. Es waren die entscheidenden Jahre der technischen Reife des Empfangs von Rundfunksendungen. Technische Errungenschaften wie der 1947 erstmals in den Bell Laboratories präsentierte Bipolar Transistor ließen besonders die tragbaren Radioempfänger schrumpfen und wesentlich an Gewicht verlieren, als Folge des drastisch gesunkenen Stromverbrauchs. Dieser  schlug sich direkt in kleineren, leichteren Batterien und teilweise dem Wegfall der Netzteile positiv nieder. Ebenso konnte in diesen Jahren die Empfangsqualität durch die UKW Übertragungstechnik wesentlich verbessert werden. Der erste europäische UKW-Sender strahlte erstmals am 28. Februar 1949 in München-Freimann für den Bayerischen Rundfunk aus.

Vorreiter der neuartigen Transistortechnik in der Radioproduktion waren wie so oft die USA. Im Jahr 1954 präsentierte die Firma Industrial Development Engineering Associates (I.D.E.A.) mit dem Taschenradio Regency TR-1 das weltweit erste volltransistorisierte Radiogerät, das in Kooperation mit dem Transistorhersteller Texas Instruments, später durch seiner (programmierbaren) Taschenrechner bestens bekannt, entstanden ist und erstmals für einen Massenmarkt in hohen Stückzahlen produziert wurde. Es sollen etwa 150.000 Exemplare dieses Wissenschaft (Transistor), Design und Kultur (Rock ’n’ Roll)  verbindenden Winzlings gefertigt worden sein. Zwar gab es bereits ab 1945 Versuche einzelner Hersteller das Segment Taschenradios zu bedienen, die aber wegen der mit der Röhrentechnologie – auch bei Subminiaturröhren – verbundenen hohen Betriebskosten regelmäßig scheiterten und heute seltene Sammlerstücke sind. Die Klangqualität des mit vier Transistoren bestückten Regency TR-1 ließ ebenso wie die seiner frühen Konkurrenten, die schon bald auch in Deutschland und Japan angeboten wurden, noch viele Wünsche offen. Dies störte jedoch die jungen Käufer wenig, boten ihnen doch die neuen Geräte die Möglichkeit ihre neue Musik, den Rock ’n’ Roll, immer und überall zu hören. Trotz der fortschrittlichen Transistortechnolgie waren die technischen Möglichkeiten des Geräts gemessen an heutigen Standards ‚begrenzt‘. Kein UKW Empfang war möglich, nur die klanglich schlechteren Mittelwellen Stationen konnten empfangen werden. Spannend dagegen ist das Design. Seine Größe (7,6cm x 12,7cm x 3,2cm) und sein Gewicht (340 Gramm) wurden soweit minimiert, dass er den Namen Taschenradio zu Recht tragen konnte. Ebenfalls fällt auf, dass es keine hervor stehenden Elemente gibt, der Quader konnte so problemlos in die Jacken- oder Manteltasche gesteckt werden. I.D.E.A. hatte den TR-1 von einer externen Firma, den Industriedesignern Painter, Teague and Petertil, gestalten lassen. Obwohl – ohne Internet – nur mittels Telefon und Postsendungen zwischen den beteiligten Firmen kommuniziert werden konnte, stand das Design des TR-1 nach sechs Wochen: ein die Modernität reflektierendes Kunststoffgehäuse mit einem 15 x 15 Lochrasterfeld und bündig in der Fläche liegendem Frequenzrad. Trotzdem war es kein gehaltloser Schnellschuss, sondern gewann einen Preis der Industrial Design Society of New York und wurde vom Museum of Modern Art für die American Art and Design Ausstellung in Paris im Jahr 1955 auserwählt. Zu seinem 60-jährigen Jubiläum gelangte er in Die Neue Sammlung – The International Design Museum in München, nicht zuletzt wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Braun T3. Das hellgraue Exemplar erweitert die ohnehin schon enormen Sammlungsbestände des Bereichs Radio des Museums.

Zunächst gab es den TR-1 nur in Schwarz, Weiß, Rot und Grau. Später folgten die Farben Olivgrün und Mahagoni sowie die heute sehr selten zu findenden Farben Lavendel, Perlmutt, Türkis, Pink und Zitronengelb. Das Plastikgehäuse des TR-1 wurde von der Firma Argus Plastics in Indianapolis, Indiana, produziert. Der optionale Kopfhörer (Rockmusik!)  wurde für 7,50$ angeboten. Auf dem kreisrunden Frequenzeinstellrad hat auch der kalte Krieg der 1950er Jahre zwischen dem kommunistischen Ostblock und den westlichen Demokratien seine Spuren hinterlassen. Die roten Dreiecke auf der Scheibe markieren die so genannten CONELRAD (Control of Electromagnetic Radiation)-Frequenzen (Luftschutzfrequenzen), auf denen die Bevölkerung der USA im Falle eines atomaren Überfalls rechtzeitig gewarnt werden sollte.

Man nehme den Regency TR-1, drehe ihn um 90° im Uhrzeigersinn, reduziere das Lochrasterfeld der Lautsprecherabdeckung von 15×15 auf 11×11, verlege den Lautstärkeregler von der Frontplatte auf die Seite neben den Lautsprecher und zentriere schließlich das Frequenzrad entlang der Längsachse: fertig ist der Braun T3 von Dieter Rams im besten Sinne der Hochschule für Gestaltung, Ulm. Mit den Dimensionen 15cm x 8cm x 4cm und 500 Gramm Gewicht war er geringfügig größer und schwerer als der Regency TR-1. Allerdings wurde die für das unkomplizierte Mitführen des Geräts entscheidende Flächenbündigkeit noch konsequenter umgesetzt. Die beim TR-1 noch heraus ragende Schraube zum Fixieren des Frequenzrades ist beim T3 in die Fläche desselben eingelassen, lediglich zwei dünne Rippen auf dieser Abstimmscheibe heben sich von der Fläche ab und sollen die Feineinstellung erleichtern. Empfangen kann er Frequenzen im Mittel- und Langwellenbereich, zwischen beiden wird mit dem Schalter auf der Rückseite gewählt. Das Kunststoffgehäuse war entsprechend den Grundsätzen der Braun-Gestaltung ein neutrales Hellgrau, das zu jeder Umgebung harmoniert.

Hat Braun wie oben beschrieben aus dem Regency TR-1 den T3 abgeleitet? Schon 1951 blickte Braun über den Atlantik und ließ sich vom RCA Globetrotter 8BX6 (1948) zu seinem Braun Piccolo51 „inspirieren“.

Ein alternativer, interner Weg würde vom Braun-Reisesuper Exporter 1 (mit praktischem Netzteil-Untersatz), der wie der TR-1 bereits 1954 auf den Markt gebracht wurde, zum Braun T3 führen. Sein Design, das sich bereits deutlich von den Akkords, Telefunken und Grundigs der Zeit abhebt, und seine Farbgebung trugen allerdings noch deutliche Züge des ‚alten‘ Braun-Designs. Auf Betreiben von Erwin und Artur Braun, die 1951, als Nachfolger des unerwartet verstorbenen Firmengründers  Max Braun, wurde das gesamte Produktangebot durch Designer wie Hans Gugelot, Otl Aicher und Dieter Rams überarbeitet. Das ‚Facelift‘ beim Braun Exporter veränderte vor allem die Typografie der Beschriftung seiner Frontplatte hin zu modernen und sachlichen Buchstaben. Bei der Farbgebung wurden Weiß für die Frontplatte und Graublau für den restlichen Korpus und das Frequenzrad gewählt. Durch diese Maßnahmen treten beim Exporter 2 (1957) die Ähnlichkeiten sowohl zum Regency TR-1 als auch zum Braun T3 offensichtlicher als beim Exporter 1 hervor. Sowohl der Exporter 1 als auch der Exporter 2 ähneln dem Regency TR-1, wenn man sich nur an Stelle der schmalen, rechteckigen Ausbrüche vor dem Lautsprecher das quadratische Lochrasterfeld denkt.

Somit könnte der Braun T3 sowohl auf den Regency TR-1 als auch auf den Braun Exporter 1, beide aus dem Jahr 1954, zurück zu führen sein, wie es das Titelbild dieses Beitrags verdeutlicht.

Aber auch die besonders durch ihr Design geschätzte Firma Apple greift gerne auf bewährte Vorbilder zurück. Die auffällige Ähnlichkeit zwischen dem Braun T3 und dem iPod classic von Apple wird bereits seit längerem diskutiert. Der Apple Chefdesigner Jonathan Ive hat sich offensichtlich am Design des T3 bzw. eigentlich des älteren Regency TR-1 orientiert und lediglich die Fläche des Lochrasterfeldes durch das Display ersetzt. Dies ist nur eines von vielen Beispielen wie der Apple Mitgründer Steve Jobs und Jonathan Ive, beide Bewunderer des Braun Designs, Braun Produkte sowohl für ihre Geräte als auch für ihre grafischen Oberflächen, wie die an ein Braun Tonbandgerät angelehnte Apple Podcast App, als Vorbild nahmen.