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Double Up – Kunst und Design

Freie Kunst und Angewandte Kunst verhalten sich analog zu Pflicht und Kür bei Wettkampfsportarten. Das Pflichtprogramm erfüllt die Angewandte Kunst, das Design, indem es für ästhetische und funktionale Alltagsgegenstände sorgt, die den modernen Menschen zu Diensten stehen. Die Freie Kunst kürt das menschliche Dasein mit bewegenden, zweckfreien Werken von der Bildhauerei bis hin zum Tanz. Die Neueinrichtung des Erdgeschosses im Neuen Museum Nürnberg setzt die Zusammenarbeit von Neuem Museum und der Münchner Neuen Sammlung durch die gemeinsame Präsentation von Kunst und Design fort. Dies mündet in einem Spannungsbogen durch wechselseitige Ergänzung und Perspektivenwechsel bei den verschiedenen Themen. So findet zusammen, was seit jeher streng getrennt war, meist sogar in eigenen Museen auf großer Distanz gehalten wurde, und tritt zum beiderseitigen Nutzen in einen spannenden Dialog. Das „gemischte Doppel“ Double Up – Kunst und Design ist im Nürnberger Museum ab dem 19.05.22 zu sehen.

Neues Museum Nürnberg

Der Freistaat Bayern hat sein Neues Museum Nürnberg zukunftsweisend als gemeinsames Haus für Kunst und Design mit der Aufgabe betraut, in beiden Bereichen aktuelle Strömungen der Gegenwart aufzugreifen, Entwicklungen sichtbar zu machen und zukünftige Tendenzen auszuloten. Für den Bereich Design kooperiert das NMN von Beginn an mit der Neuen Sammlung in München. Der Entwurf des NMN stammt vom Architekten Volker Staab, im Oktober 1999 war das Gebäude bezugsfertig und wurde im Jahr 2000 eröffnet. Auf über 3.000 m² Sammlungs- und Ausstellungsfläche erwarten den Besucher Kunst und Design ab den 1950er Jahren bis in die Gegenwart. Wie in der Pinakothek der Moderne in München profitiert er von dem kreativen Miteinander von Freier und Angewandter Kunst unter einem Dach.

Kunst und Design – theoretische Abgrenzung

Mit Kunst wird allgemein jede auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition basierende menschliche Leistung bezeichnet, weshalb selbst die Medizin oft als „Heilkunst“ und die Nahrungszubereitung als „Kochkunst“ betitelt werden. Die engere Definition beschränkt sich dagegen auf Ergebnisse gezielter menschlicher Beschäftigung, denen keine Funktionen direkt zugeordnet sind. Das Kunstwerk ist das Resultat des kreativen Schaffens. In den meisten Fällen krönt es dessen Ende. Das Kunstwerk kann aber auch bereits der schöpferische Prozess oder ein Vorgang sein, also dynamisch. Seit der Zeit der Aufklärung, also etwa ab dem Jahr 1700, werden zur Kunst die Ausdrucksformen der schönen Künste gerechnet: Malerei, Grafik, Bildhauerei, Musik, Literatur, Theater, Tanz und Film.

Die Redewendung „Kunst kommt von Können“ weist auf den deutschen Wortursprung des Begriffs Kunst hin und bezieht alles ein, was Menschen gemacht ist. Die alten Griechen bezeichneten die Kunst mit dem Wort téchne, das auch für Handwerk oder Kunstfertigkeit verwendet wurde, und von dem sich ebenfalls das Wort Technik ableitet. Da die Technik, sprich die Funktion und das Funktionieren, beim Design neben der Formgebung eine wesentliche Rolle spielt, baut das griechische téchne eine begriffliche Brücke zwischen Kunst und Design.

Design ist ein Lehnwort aus dem Englischen, wo es Gestaltung bedeutet, und leitet sich vom lateinischen designare (= zeichnen) ab. Anfangs bezog sich Design auf die äußerliche Form- und Farbgestaltung eines Objekts, umfasst aber heute im Zuge der sich über alle Lebensbereiche erstreckenden technischen Entwicklung mit zusätzlichen Aspekten wie der technischen Funktion eines Gegenstands und seine Bedienbarkeit durch die Benutzer. Diversität, Nachhaltigkeit und Lebensdauer sind in den letzten Jahren als weitere Aspekte dazu gekommen und beeinflussen besonders das Produktdesign. Selbst das immaterielle Programmieren wird inzwischen als Software-Design miteinbezogen.

Das Design ist wesentlich jünger als die Kunst, deren erste Zeugnisse wie die Höhlenmalerei vor etwa 40000 Jahren entstanden sind. Die weltweit erste Design Schule wurde in England, dem Mutterland der Industrialisierung, 1837 mit der Government School of Design in London gegründet. Das Design vereinte hier bereits die Zeichnung, also die Formgebung, und die technische Realisierung des Produkts; für ein aufstrebendes Industrieland eine Notwendigkeit. 1885 wurde der Begriff Design erstmals in das Oxford English Dictionary aufgenommen. Zwar soll Ludwig Mies van der Rohe schon in den 1930er-Jahren von Design gesprochen haben, doch vor 1945 wurde in Deutschland der künstlerische Anteil betont und von Kunsthandwerk, Kunstgewerbe, Industriekunst, Angewandter oder Dekorativer Kunst gesprochen. Ab den 1920er Jahren war mit der einsetzenden Moderne auch das Wort Gestaltung gebräuchlich. Seit den 1980er Jahren wird der Begriff Design nahezu schon inflationär in vielen Bereichen verwendet, teilweise sehr zum Missfallen der hauptberuflich damit Beschäftigten.

Kunst und Design – fließender Übergang?

Wann kann man bei einem Gegenstand von einem Kunstwerk sprechen? Wie bezieht die Kunst Alltagsgegenstände ein? Kann es bei einem Objekt „Kunst und Design“ oder muss es „Kunst oder Design“ heißen? Welche unterschiedlichen Wirkungen erzielt zum Beispiel die sinnliche Farbe Rot bei einem Sofa und einem dahinter hängenden Bild? Auf diese Fragen versucht die Nürnberger Ausstellung Antworten zu finden, indem die Objekte von freier und angewandter Kunst in den acht Räumen ästhetische Bezüge und inhaltliche Verknüpfungen bieten.

Und schließlich gibt es Werke, bei denen die eindeutige Zuordnung schwierig ist. Ein perfektes Beispiel für das Verschmelzen von „Kunst und Design“ in einem einzigen Objekt ist das Midcentury Sofa von Nani Prina. Es ist sowohl ein skulpturales Kunstwerk, als auch ein bequemes Sofa. In den späten 1960er Jahren ist eine Hinwendung des Möbeldesigns zu skulpturalen Objekten festzustellen. Bei den Möbeln wird oftmals die Funktionalität, also Bequemlichkeit und Benutzbarkeit, der Ästhetik vorgezogen. Das Sofa von Nani Prina erfüllt beide Anforderungen, was wohl auch der intensiven theoretischen Auseinandersetzung Nani Prinas mit dem Design zu verdanken ist.

Double Up – harmonische Zweisamkeit

In der aktuellen Ausstellung konfrontiert das NMN Kunst mit Design zu speziellen Themen direkt in neun Räumen. So treffen Objekte, Skulpturen, Fotografien, Gemälde, Möbel, Keramiken und Textilien aufeinander. Bei diesem gekonnten Zusammenspiel von Kunst und Design sind beide gleichberechtigt repräsentiert. In jedem Raum gibt es sowohl ästhetische als auch inhaltliche Bezüge. Durch die Überwindung der althergebrachten, dogmatischen Trennung der beiden Bereiche, scheint großer Gesprächsbedarf zwischen ihnen zu bestehen. Man muss nur das richtige Stichwort geben. Dies kann eine Farbe sein, eine geometrische Form, eine Küchenzeile vom Designer Duo Le Corbusier und Charlotte Perriand, entworfen für eine Marseiller Wohnanlage, oder auch ein Werkstoff wie Keramik. Und schon beginnt ein wuchtiger Dialog, der sich an verschiedenen Themenbereichen orientiert: Maße und Messen, Küche, Türme und Säulen, Pop oder die Farbe Rot lassen neue und ungewöhnliche Beziehungen zwischen Kunst und Design entstehen.

Die Ausstellungsarchitektur stammt vom Ausstellungsgestalter Martin Kinzlmaier, der die Räume als Einheit von Kunst und Design konzipiert hat. In den neun Räumen bietet das NMN ein breite Auswahl an Themen, bei der rund 150 Designobjekte von Anna Castelli Ferrieri bis Konstantin Grcic sowie Kunstwerke von Blinky Palermo bis Mona Hatoum aufeinandertreffen und sich neue Perspektiven erschließen. Darüber hinaus animieren weitere Räume mit einer interaktiven Installation oder Fotografien ergänzt durch Designklassiker die Besucher zu Begegnungen und zum Gedankenaustausch.

Mit dem mobilen Kunstwerk Instant Housing Trailer WBF-170/4 0 0 des Nürnberger Künstlers Winfried Baumann im Rahmen des Instant Housing Lab zur Kunstvermittlung bietet das NMN zusätzlich einen Treffpunkt, Werkstatt, Bühne und Raum für performatives, partizipatives und künstlerisches Arbeiten.

Der Ton macht die Musik – Whispering Wind

Die Ausstellungsmacher haben den Räumen passende Songtitel zugeordnet, die die Themen aufgreifen.

Whispering Wind von Moby (Jahr 2000) soll wohl in der Annahme, dass Wind eigentlich laut und stürmisch ist, auf die Anziehungskraft von Gegensätzlichem hinweisen: „Gegensätze ziehen sich an“, sagt man. Und so bemerkt man die Gravitation zwischen zweidimensionaler Malerei und dreidimensionaler Keramik an den Beispielen indigener Kunst Australiens und den Arbeiten der deutschen Keramikerin Lotte Reimers, die 2022 ihren 90. Geburtstag feiert. Sie entsteht durch das betont Haptische einzelner Gemälde einerseits und andererseits die rauen Oberflächen der kraftvollen Keramiken mit unregelmäßigen, teilweise von gepunkteten Linien umgrenzten Farbfeldern mit den verlaufenden, manchmal getauchten, teilweise mit dem Pinsel aufgebrachten Glasuren. Übereinstimmungen finden sich bei Bildelementen und Strukturen. Gemeinsam haben beide auch die erdigen Farben, die Natur als Lieferant der Substanzen zermahlenes Gestein, Aschen und Ton für Malerei und Keramik. Und schließlich ist es bei beiden die Hand und Kreativität des Menschen, der Kunst und Design entstehen lässt. Die globale Kunstgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts vernachlässigte bisher die indigene australische Malerei, vielleicht kann diese Ausstellung mehr Aufmerksamkeit auf diesen fremden Kulturraum lenken.

War – what is it good for

Im Jahr 1969, während des eskalierenden Vietnamkrieges, beschäftigte Edwin Starr die Frage „War – what is it good for?“, wohl für nichts Gutes. Außer dass der Krieg auch die Kunst inspiriert. Als die Sowjetunion im instabilen Afghanistan den Kommunismus mit militärischen Mitteln Anfang der 1980er Jahre gewaltsam retten wollte, führte dies zu einer neuen Form der Teppichkunst. Die geometrischen und floralen Muster der Bildmotive auf den Teppichen, traditionell von den afghanischen Nomaden und Bauern geknüpft, wurden von den aktuellen direkten Bedrohungen verdrängt: Kriegsgeräte und Waffen wie Panzer, Jagdbomber, Kampfhubschrauber, Raketen, Kanonen und Maschinengewehre. Das tödliche Waffenarsenal mutiert so zum Schmuck, dem gelegentlich Symbole der Hoffnung und Sehnsucht nach Frieden wie Wassergefäße, Blumen und Tiere hinzugefügt wurden. Der Zerfall der Sowjetunion beendete nach Jahren der Gewalt die Invasion, die Teppiche blieben als Zeitzeugen und Quellen der Zeitgeschichte. Die afghanischen Kriegsteppiche aus der Münchner Designsammlung verwischen die scharfe Grenze zwischen Kunsthandwerk und freier Kunst. Gefertigt in traditioneller Knüpftechnik, aber mit Bildkompositionen, die in ihrem Unikatcharakter inzwischen als autonome Kunstwerke gelten. In Nürnberg stehen sie einem Werk des bulgarischen Künstlers Pravdoliub Ivanov gegenüber.

Das bisschen Haushalt

Nach der teilweise Kriegswichtigen Mitarbeit der Frauen in der Industrie während des Zweiten Weltkriegs und der gewaltigen Aufbauleistung der Trümmerfrauen danach, „durften“ die Frauen wieder ihrer angeblichen biologischen Bestimmung gemäß und dem traditionellen bürgerlichen Familienmodell entsprechend an den heimischen Herd zurückkehren. Die dadurch freiwerdenden Arbeitsplätze wurden für Kriegsheimkehrer benötigt. Die Werbung der Nachkriegszeit, typischerweise winkt eine strahlende Mutti mit Kittelschürze dem Vati im Anzug bei der Abfahrt zur Arbeit hinterher, idealisierte die Mär vom glücklichen Hausfrauen Dasein für Kinder und Küche. Die Männer eroberten das Weltall, die Frauen die Küche. 1977 ironisierte Johanna von Koczian diese Ungerechtigkeit mit ihrem Song „Das bisschen Haushalt …“. Seit damals hat sich doch einiges zum Besseren gewandelt, so dass nun auch Männer in einer Küchenzeile wie der von Le Corbusier und Charlotte Perriand, entworfen für eine Marseiller Wohnanlage, tätig werden dürfen. Die erstmalig von der Neuen Sammlung ausgestellte Küchenzeile aus den späten 1940er Jahren verdichtet die wichtigen Funktionen auf kleinem Raum und dies in einer vielfarbigen Realisierung. Die beiden hochkarätigen Designer führten damit fort, was seit Beginn des 20. Jahrhunderts als Bauaufgabe Küche zunehmend an Bedeutung gewann. Das vormals zahlreich vorhandene Personal wurde von elektrischen Helferlein wie Kühlschrank, Herd oder Staubsauger verdrängt, die Wohnungen wurden gleichzeitig kleiner und für die Kochzeile blieb oft nur ein schmaler Schlauch. So bemühten sich die Küchenplaner die Geräte und Stauräume so anzuordnen, dass sie der „one-woman-show“ Hausfrau die Abläufe mit kurzen Wegen erleichterten. Das führte im Design zu einem Modernisierungsschub parallel zum technischen Fortschritt. Die Kunst hingegen registrierte die ungerecht verteilten Geschlechterrollen und Rechte, und kritisierte dies häufiger mit Werken, die eine feministische Perspektive einnehmen.

Alles Em Lot

Die Vermessung der Welt war schon vor 200 Jahren Lebensthema des Naturforschers und Weltreisenden Alexander von Humboldt (1769–1859). Etwa zur selben Zeit beschleunigte die Industrialisierung die Normungsbestrebungen im Interesse einer optimierten Kosteneffizienz, schneller Austauschbarkeit von verschlissenen Maschinenbauteilen und zunehmender Massenproduktion. 1901 wurde in Großbritannien das erste nationale Normungsinstitut gegründet, 1918 folgte Deutschland mit der ersten Veröffentlichung der DIN-Norm: der Siegeszug des rechten Winkels oder wie die kölsche Band BAP 1990 sang: „Alles Em Lot!“. Für die Definition und Kontrolle der Normen bedarf es zahlreicher Messgeräte zur Bestimmung von Zeit, Gewicht und Entfernung. Große Nachfrage bestand an individuellen Instrumenten für jedermann wie Armbanduhren, Personenwaagen oder Metermaß, was auf Grund der zu erwartenden hohen Verkaufszahlen das Interesse der Designer für diese Produkte weckte. Die Moderne mit einer Vielzahl an elektrotechnischen Erfindungen wie Radio, Grammophon oder Telefon erhöhte die Notwendigkeit zur Normierung und Standardisierung. Big data aus großen Datenerhebungen und mit statistischen Methoden ausgewertet, eroberte die empirischen Wissenschaften lange bevor sich der Begriff im 21. Jahrhundert etablierte. Alles wurde vermessen und ideale Werte festgelegt. Hier war die Kunst dem Design voraus, das ideale Maß und die gekonnte Proportion waren für die Qualität von Gemälden wie Skulpturen schon immer entscheidend. Bei den ungegenständlichen Gemälden des 20. Jahrhunderts komponierten einige Künstler, der zunehmend von Zahlen dominierten Welt angepasst, nach mathematischen Regeln, die andere wiederum bewusst ignorierten.

Don’t Sit Down ‘Cause I’ve Moved Your Chair

Das Museum macht ein Angebot…zum Hinsetzen. Aber Vorsicht: „Don’t Sit Down ‘Cause I’ve Moved Your Chair“ sangen die Arctic Monkeys 2011. Im NMN hat man nun die seltene Gelegenheit Designklassiker zum ausgiebigen Ausprobieren zu „besitzen“. Nach einem anstrengenden Rundgang oder zwischendurch zum Ausruhen laden die wohl gestalteten Besucherstühle von Werner Aisslinger, Arne Jacobsen, Cecilie Manz, Philippe Starck und Patricia Urquiola zum Resümieren ein.

Mit dem Hinweis „Sitzen ist das neue Rauchen“ weisen Fachleute auf die gesundheitlichen Gefahren falschen und zu langen Sitzens hin. Branchen übergreifend sitzt der moderne Mensch viel länger als frühere Generationen, Computer und Internet haben das Problem verschärft. Für Designer stellt sich die anspruchsvolle Aufgabe, ästhetische und funktionale Stühle zu konstruieren, ohne orthopädische Anmutung und unter Berücksichtigung der vielfältigen Ansprüche. Das Spektrum reicht von Bürostühlen zum rückenschonenden Arbeiten bis hin zum Fernsehsessel zum Lümmeln und Ausruhen. Es gibt kaum einen namhaften Designer, der sich nicht auch in dieser Königsdisziplin versucht hat. Viele nutzen dies als Experimentierfeld für diverse Materialien wie Holz, Sperrholz, Kunststoff, Beton, Karton oder Metall und unterschiedliche Techniken wie Bugholz von Thonet oder mit dem Laser geschnittene Formen. Mit dem unbestechlichen Auge der Fotokamera hat der italienische   Meisterfotograf Aldo Ballo die Stühle wie einzigartige Skulpturen inszeniert und ihre Besonderheiten herausgearbeitet.

Er hat ein knallrotes Gummiboot

trällerte Wencke Myhre im Jahr 1971. Warum aber rot und nicht blau, grün oder gelb? Rot ist eine Warnfarbe im Wellenlängenbereich oberhalb 600nm, auf die das menschliche Auge im Gegensatz zu Tieren sehr empfindlich reagiert. Deshalb wird sie als Stoppsignal bei Ampeln oder anderen Warnzeichen verwendet. Rot wird als warme Farbe empfunden, die nicht-sichtbare infrarote Wärmestrahlung schließt sich direkt an. Rot hat viele Bedeutungen wie Feuer und Blut, Liebe und Wut, Sozialismus und Kommunismus. Verluste und Schulden werden auch in roter Farbe ausgewiesen. Farbpsychologen attestieren Fußballmannschaften, die in Rot antreten, erfolgreicher zu sein – der FC Bayern München würde nicht widersprechen. Die Möglichkeiten der neuen Kunststoffe malten in den 1960er-Jahren Farbe   in grellen Tönen in den Alltag, die den damaligen Formen und Funktionen entsprach. Wer tippt nicht gern auf der knallroten Valentine von Olivetti, die Optimismus und Lebensfreude, Jugendlichkeit und Aufbruch verspricht. The sky is the limit, und selbst nach dem Mond griff die Menschheit. Bis im Jahr 1973 die erste Ölkrise den Fortschrittsglauben zähmte.

Für Künstler wiederum gibt es nicht nur ein Rot. Sie unterscheiden zwischen Zinnober-, Scharlach-, Purpur-, Karmin-, Krapplack-, Ochsenblut- oder Hostaperm-Rot, um nur einige zu nennen.

Die tausend Türme deiner Stadt


Türme sind seit alters her ein Thema der Menschen, man denke nur an den Turmbau zu Babel und den Drang der Menschen sich zu erhöhen. Sie bieten als Wachturm, Glockenturm oder Aussichtsturm eine abgehobene Perspektive, Weit- und Überblick. Der Turm definiert sich über seine Höhe, die um ein Vielfaches größer ist als sein Durchmesser bzw. seine Breite oder Tiefe. Damit ist er ein Vorläufer der Hochhäuser oder Wolkenkratzer. Der tschechische Sänger Karel Gott besang 2006 „Die tausend Türme deiner Stadt“. Ganz so viele zeigt das NMN nicht, aber doch eine gediegene Auswahl an Möbeln, Stelen und Automaten, die uns – Menschenähnlich – aufrecht gegenüberstehen. Dies gebietet ihre Funktion, wie etwa bei der Litfaßsäule, die die Plakate und Texte auf unsere Augenhöhe bringt. Oder der Garderobenständer, bei dem nur eine ausreichend große vertikale Dimension wichtig ist. Neben den homogenen Turmbauten gibt es auch die geschichteten Volumina gestapelter unterschiedlicher Fernsehgehäuse oder eine erzählerische Bronzeskulptur, aus der ein wackliger Turm über einer Hütte emporstrebt.

Make My Head Go Pop

Der Begriff Pop leitet sich vom englischen Wort „popular“ ab und hat wie das deutsche Wort „populär“ die Bedeutung bekannt oder beliebt. Der wichtigste Vertreter der Popkultur ist die Popmusik, die sich ab den 1950er Jahren aus Rock ’n‘ Roll, Beat und Folk entwickelte und die Rebellion der Jugend intonierte. Mit der Popmusik als Beschleuniger breitete sich das Pop-Fieber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts viral aus und entwickelte sich zur Pandemie. Pop ist mehr als Popmusik, Pop ist ein Lebensgefühl und eine Einstellung. Er hat eine ganze Generation geprägt und seine Spuren auch in der Literatur, in der Kunst als Pop-Art und im Design hinterlassen. Im Jahr 2001 erinnerte das schwedische Pop-Duo Roxette mit ihrem Song „Make My Head Go Pop“ daran. Pop als Kulturprinzip treibt die Entwicklung voran, gegen Langeweile hilft nur permanent Neues. Das Phänomen Pop gleicht die unterschiedlichen Niveaus zwischen Hoch- und Massenkultur aus. Pop steht immer im Spannungsfeld zwischen Kommerz und Kultur. Im Design zeigt sich Pop als anti-elitär, spielerisch und emanzipatorisch. Überkommene, gar fest gemeißelte Prinzipien wie Gute Form ignoriert er, die Regeln des Funktionalismus werden bewusst gebrochen. Erstmalig in der Design Geschichte entstehen aufblasbare Sessel, Schränke mit weichen Wänden oder Sofas als Skulpturen. Das vom Pop beeinflusste Design der 1960er Jahre steht am Anfang der Postmoderne, die besonders durch die 1980 in Mailand gegründete Gruppe Memphis bekannt wurde.

In den 1960er Jahren schufen Künstler wie Roy Lichtenstein zahlreich reproduzierte Comic-artige Werke, mit einzelnen Motiven wie Porträts im Großformat. Oder Andy Warhol mit seinen berühmten „Campbell’s Soup Cans“. Der zuletzt in Berlin lebende und bei einem Flugzeugabsturz tragisch ums Leben gekommene luxemburgische Künstler Michel Majerus (1967–2002) zählte in den 1990er Jahren zu den Stars der Kunstszene. Seine Bilder aktualisierten die 30 Jahre alten Konzepte der Pop-Art, Pop-Art reloaded. Bei ihm stehen nicht mehr die überdimensionalen Einzelmotive im Vordergrund, sondern eine spezielle Ästhetik des Mix, der Fusion und des Samplings. Zwar sind seine Werke mit Waschmittel-Motiven und Werbeslogans auch am Computer entstanden, aber doch eigenständige, individuelle Kompositionen. Die Malereien von Michel Majerus kommentieren das Pop-Design und treffen in der Ausstellung auf internationale Designikonen der Zeit um 1970.