Im Jahr 2025 blickt Die Neue Sammlung – The International Design Museum Munich in der Pinakothek der Moderne im Münchner Museumsareal auf 100 bewegte Jahre ihrer Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte zurück. Grund genug um im Rahmen des 100-jährigen Jubiläums mehrere neue Räume mit speziellen Themen der ständigen Ausstellung hinzuzufügen. Seit dem 05.07.2024 ist nun der erste neu gestaltete Raum mit dem Thema „Die Farbe von Glas“ bis auf Weiteres zu besichtigen. Bei dem vorgestellten Sammlungsschwerpunkt Glas des Museums verbinden sich Design, Handwerkskunst und freie Kunst durch ein geniales Raumkonzept der Ausstellungsmacher zu einer großartigen Erweiterung des Ausstellungsangebots des Museums.
Ausstellungsarchitektur
Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden und die Fülle der etwa 230 ausgestellten Objekte angemessen präsentieren zu können, wurde das Team von Office Heinzelmann Ayadi (OHA) mit dem Entwurf der Ausstellungsarchitektur beauftragt. Das OHA ist ein Produkt- und Möbeldesignstudio, das 2018 von den Designern Sami Ayadi und Jan Heinzelmann, zwei ehemaligen Mitarbeitern von Konstantin Grcic Industrial Design, in München gegründet wurde. Einen wesentlichen Beitrag zur Ausstellungsgestaltung bilden Profilbausteine der Glasgussfabrik Lamberts aus Wunsiedel, einem international agierenden mittelständischen Betrieb aus Bayern, der nachhaltig produziert und wegen seiner reduzierten CO2-Emissionen mit dem Sustainability Award 2023 der Zeitschrift USGlass ausgezeichnet wurde. Als optischer Kniff streckt eine Spiegelwand den Raum, die Besucher ermuntern soll, ihn zu betreten und zu erkunden. Mit den U-Profilbauglas erschufen Ayadi und Heinzelmann eine Ausstellungsarchitektur, deren gerundete Formen bei Abtrennungen und Auslagen stark an die Art Déco Architektur der 1920er und 1930er Jahre erinnern. Sie bildet den angemessenen Rahmen für die Faszination von farbigem und farblosem Glas. Durch die gelungene Verschmelzung von Exponaten und Ausstellungsarchitektur entdeckt man auch die vielseitige Formensprache, die das Material erlaubt, die vielfältigen Funktionen und Verwendungen, die Glas ermöglicht und schließlich die technische Kunstfertigkeit, die es für seine Herstellung bedarf.
So finden sich im Ausstellungsraum „Die Farbe von Glas“ Trinkgläser und Tassen, Karaffen und Kannen, Teller und Schalen, Behälter und Backformen, Flaschen und Vasen, Leuchten und Glasfenster, aber auch Möbel wie Tische, Regale, Raumteiler, Stühle und Sessel, perfekt inszeniert von OHA und den Museumsmitarbeitern in einer Welt aus Glas. Dieses vorbildliche Raumkonzept verbindet Design, Handwerkskunst und freie Kunst sowie Positionen aus dem Bereich Architektur.
Glas und Gesellschaft
Die Ausstellungsmacher konnten aus dem etwa 5000 Objekte zählenden Sammlungsbestand im Bereich Glas eine großartige Auswahl heraus filtern: seriell hergestelltes Hohlglas als Beispiel eines Alltagsprodukts sowie einzigartige, frei gearbeitete oder künstlerische und architekturbezogene Entwürfe. Sowohl ihre Herstellung als auch ihre Verwendung und ihre gesellschaftliche Verortung zeigen unser enges Verhältnis zum Material Glas, dessen Reinheit und Einfachheit einzigartig unter den Werkstoffen ist. Das Faszinierende an Glas sind wohl auch seine konträren Aggregatzustände, von heiß und fluid beim Verarbeiten bis zum fertigen Gegenstand, der kalt, spröde, oft durchsichtig und starr ist.
Glas begleitet uns ganz selbstverständlich durch unseren Alltag, meist unauffällig und ohne unsere besondere Wertschätzung zu bekommen. Morgens das industriell gefertigte Wasserglas, die Windschutzscheibe unseres Autos, die gläserne Eingangstür unseres Arbeitsplatzes, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Notiz nehmen wir allenfalls, wenn es meist mit lautem Geräusch zersplittert.
Dabei gehört es zur menschlichen Zivilisation seit Jahrtausenden. Bereits im 5. Jahrtausend v. Chr. existiert es als Nebenprodukt der Glasur. In Form von Glasperlen findet man es erstmals als eigenständiges Erzeugnis im 3. Jahrtausend v. Chr. in Ägypten und im Zweistromland. In der Antike erscheint es z.B. für Trinkgläser als Hohlglas und auch schon als Flachglas für Fensterscheiben, wodurch es die natürlich vorkommenden transluzenten und spaltbaren Minerale Glimmer und Marienglas als Fensterglas ersetzte. Die längste Zeit wurde Glas durch die kunstvolle Arbeit von Glasbläsern produziert, erst ab dem 17. Jahrhundert kommen Alternativen auf, die schließlich zur industriellen Massenproduktion führen. Bei allen Verfahren wird viel Energie gebraucht, um das Gemenge der Rohstoffe, neben dem Hauptbestandteil Quarzsand (Siliziumdioxid SiO2) die Zusätze wie Soda und Pottasche, zu verflüssigen und dann wunschgemäß formen zu können.
Glas ist somit ein uralter Werkstoff der Menschheit, zugleich aber auch ein Material mit Zukunft, das kontinuierlich weiterentwickelt wird, um in Forschung und Wissenschaft, in Design und Architektur seinen Platz zu behaupten.
Historische Entwicklung – Die Neue Sammlung und ihr Glasbestand
In München wurde ab dem Jahr 1903 der Grundstock für eine moderne Vorbildersammlung durch die Vereinigung für Angewandte Kunst später umbenannt in Münchner Bund angelegt, von der Die Neue Sammlung noch heute profitiert. Und auch Glas kam schon in den Warenkorb des Vorläufers des Designmuseums. Heute umfasst der Sammlungsbestand seriell gefertigtes Industrieglas, künstlerische Unikate sowie limitierte Auflagen. Dabei wurde von Anfang an über die Grenzen Deutschlands hinaus international beobachtet und gesammelt. Der abzudeckende Zeitraum wurde vom Beginn der Industrialisierung bis in die jeweilige Gegenwart definiert. Das Augenmerk auf die Avantgarde, das zukunftsweisende Neue – wie der Name des Museums signalisiert – ist dem Haus eine Verpflichtung. Konsequenterweise liegen in den Depots zahlreiche Vorreiter der Moderne, deren Werke meist schon in den Entstehungsjahren erworben wurden. Objekte finden sich vom Jugendstil-Reformer und Werkbund-Vordenker Richard Riemerschmid sowie vom österreichischen Architekten und Designer Josef Hoffmann. Als internationale Vertreter aus dem angelsächsischen Raum sind der Amerikaner Frank Lloyd Wright oder der Brite Christopher Dresser zu nennen, die auch bedeutende Entwürfe in Glas realisieren ließen. Ebenso wenig fehlt die in Italien und Frankreich prägende Art Deco Bewegung in der Sammlung, wie zum Beispiel vom französischen Schmuck- und Glaskünstler René Lalique, dessen im Jahr 1888 gegründetes Unternehmen noch heute existiert und für hochpreisige Glasobjekte höchster Qualität bekannt ist.
Neben Wolfgang von Wersin, der nach Günther von Pechmann zweiter Direktor der Neuen Sammlung wurde (1929-1933), finden sich weitere wichtige Erneuerer der deutschen Glasgestaltung. Von Wolfgang von Wersin besitzt Die Neue Sammlung eine besonders repräsentative Auswahl von Entwürfen, die für die Wiederbelebung heißer Veredelungstechniken stehen. Anfang der 1950er Jahre probierten sich Designer wie Erwin Eisch, Aloys F. Gangkofner oder Hans Theo Baumann mit Arbeiten am Ofen aus. Schliff und Gravur zeigen Arbeiten von der Glasfachschule in Zwiesel unter Bruno Mauder und umfassen die 1920er bis 1960er Jahre. Auch künstlerische Arbeiten von Wilhelm von Eiff und seinen Schülern sind zu besichtigen.
Ihrem Auftrag entsprechend liegt der Fokus der Neuen Sammlung auf dem Industrial Design. Die Glashütten des Bayerischen Waldes sind, wohl auch wegen ihrer geografischen Nähe zu München, mit ihrer (semi)industriellen Produktion von deutschem Gebrauchsglas stark vertreten, neben Exponaten aus der Fertigung von Glasfabriken aus Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen. Aus dem nordbayerischen Selb kommen Glasserien, die bei der Firma Rosenthal unter dem Aspekt des gedeckten Tisches entwickelt wurden und deren Porzellanservice komplettierten. Fehlen dürfen aber auch nicht die Entwürfe von Wilhelm Wagenfeld für Schott in Jena, VLG in Weißwasser oder WMF in Geislingen a.d. Steige oder die von Heinrich Löffelhardt für Schott in Mainz und Vereinigte Farbenglaswerke Zwiesel.
Die Bestände an seriellem Gebrauchsglas wurden im Jahr 2006 durch den Vorlass von Hans Theo Baumann weiter ausgebaut. Als Mitbegründer des VDID (Verein deutscher Industriedesigner, 1959) hatte Baumann das Programm für die Gral-Glashütte, dessen Tochterunternehmen Rheinkristall und Süssmuth lange Jahre entscheidend beeinflusst.
Mit der Wende 1989/90 richtete sich der Blick gen Osten, um verstärkt DDR Glas zu erwerben. Die Basis bildete der Teilnachlass des Designers Horst Michel. Heute verfügt die Neue Sammlung über eine beachtliche Kollektion an ostdeutschen Gebrauchsobjekten aus stapelbaren, gepressten oder farbigen Entwürfen von Designern wie Marlies Ameling, Friedrich Bundtzen, Margarete Jahny oder Hubert Petras, die für die verstaatlichten Glashütten tätig waren.
Glasdesign aus den international führenden Glasländern des 20. und 21. Jahrhunderts Schweden, Finnland, den Niederlanden, Dänemark, Italien und Tschechien beleuchtet deren Entwicklungen: Trinkgläser, Schalen und Vasen von Gunnel Nyman, Tapio Wirkkala, Andries Dirk Copier und Per Lütken. Aufwendigere Glasarbeiten von Paolo Venini, Carlo Scarpa, Archimede Seguso oder Flavio Poli.
Die 48cm hohe Glasvase Antares von Michele de Lucchi stammt aus dem Jahr 1983. De Lucchi gehörte zu der 1980 vom großen italienischen Designer Ettore Sottsass gegründeten Mailänder Designgruppe Memphis, einem Zusammenschluss von Möbel-, Textil und Keramikdesignern der Postmoderne. Die Memphis Objekte sind phantasievolle Entwürfe als Gegenreaktion zum High-Tech Design und Funktionalismus der 1970er Jahre und wurden zum Begriff für italienisches Anti-Design. Bei ihnen werden geometrische Grundformen wie Kegel, Kugel oder Kubus miteinander kombiniert und mit kräftigen Farben kombiniert. Ein typisches Memphis Produkt ist die mundgeblasene Vase vom Designer Michele de Lucchi, die bei schneller Betrachtung mit einer Kunststoffvase verwechselt werden kann und damit die Glasmacherkunst ein wenig parodiert.
Aber auch die großen tschechischen Meister wie Jaroslavá Brychtová, Stanislav Libenský und František Vízner dürfen nicht fehlen.
Darüber hinaus verdeutlichen die Exponate von Design-Generalisten wie Werner Aisslinger, Alfredo Häberli oder Karim Rashid die unterschiedlichen Herangehensweisen und Optionen im zeitgenössischen Gebrauchsglas. Man findet dem Material geschuldete Experimentierfreudigkeit wie auch einen Funktionalismus skandinavischer Prägung.
Man kann in der Ausstellung durch ein Fenster von 1912 des amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright, das ursprünglich aus dem legendären Avery Coonley Playhouse (Riverside, IL, USA) stammte, ein dreiteiliges Jugendstil-Fenster eines Wintergartens einer Villa in Brüssel um 1905 oder durch ein von Gerhard Richter entworfenes Musterfeld der Chorfenster für die Abtei Tholay blicken. Das Chorfenster wurde von Gustav van Treeck, Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei in München, umgesetzt.
Die Technik des in der Form-Schmelzens wird durch die dreiteilige Arbeit von Stanislav Libenský und Jaroslava Brychtová repräsentiert. Die beiden Tschechen sowie italienische Protagonisten der Postmoderne nutzen die zahlreichen Möglichkeiten dieser Technik, mit Glas zu gestalten.
Die Ausstellung blickt auch auf die serielle Produktion und deren vielfältige Anwendungen vom Verpackungsglas über das Laborglas bis zum Gebrauchsglas aus den verschiedensten Ländern der Welt.
Kunstglas und Glaskunst
Inzwischen steht die Bezeichnung „Glas“ recht unspezifisch für die Gattung der vielen anderen durchsichtigen Medien, auch wenn diese aus anderen Materialien als Siliziumdioxid bestehen, wie etwa aus Kunststoff für Brillengläser oder aus spezieller Keramik für das Schauglas eines Kaminofens oder gar der Glaskörper eines Auges. Umgangssprachlich wird Kunstglas verkürzt als Glas bezeichnet, auch wenn es sich um Acrylglas bzw. Plexiglas handelt. Dieses wurde 1928 vom Chemiker Otto Röhm zufällig entdeckt und 1933 als Marke „Plexiglas“ angemeldet.
Vertauscht man die beiden Silben von Kunstglas, so findet man sich im aufregenden Bereich der Glaskunst, die seit Jahrhunderten sensationelle Objekte hervorgebracht hat. Mit seinem interdisziplinären Ansatz will das Museum in den letzten Jahren stärker auf das Thema Kunst und Design eingehen, da die Grenze zwischen der bildenden Kunst und dem Glashandwerk fließend wirkt. Entsprechend finden sich ausgezeichnete Sammlungsobjekte des Tschechen René Roubíčeks, des U.S.Amerikaners Dale Chihuly oder des Japaners Kyohei Fujita als Beispiele für diese spannende Schnittstelle.
Glaskünstler vom Bayerischen Wald bis Japan
Der aus dem bayerischen Wald stammende Aloys Ferdinand Gangkofner (1920–2003) zählt zu den wichtigsten deutschen Glasdesignern der Nachkriegszeit. Er begann als Gestalter von transparentem Glas, entwickelte sich dann zum Designer von Leuchten und Lichtgestalter, wobei für ihn Glas und Licht untrennbar miteinander verbunden waren. Er gilt auch als Bewahrer und Förderer der Technik des freigeblasenen Glases, das nicht in Negativformen eingeblasen wird, sondern ausschließlich am Ofen von Glasbläsern mit viel Gespür für das Material und einem guten Augenmaß erschaffen wird. Die „Nabel“ genannte Seite der Glasmacherpfeife, einem etwa 150cm langes Stahlrohr mit hölzernem Griff und einem Mundstück auf der anderen Seite, wird beim Glasblasen in die erhitzte, zähflüssige Glasschmelze getaucht, wodurch eine bestimmte Menge Glas aufgenommen wird. Drehen und Schwenken der Pfeife verhindert ein Abtropfen der Schmelze während des Abkühlvorgangs. In dieser Zeit bläst der Künstler in die Pfeife und schafft so den gewünschten Hohlkörper. Die äußere Form wird durch Wälzen in einem ausgehöhlten, Wasser getränkten Buchenholz definiert. Diese aufwändige Technik wird für Kleinstserien oder Prototypen technischer Objekte sowie hochwertige Gebrauchsgläser und anspruchsvolle Kunstobjekte gewählt.
In der Glasfabrik Lamberts in Waldsassen fertigte Gangkofner mit drei in der alten Technik versierten Glasmachern in den 1950er Jahren an den Wochenenden. Es entstanden Einzelstücke mit Fadenauflagen, Farbzapfen und gekämmten Fäden. Ihre gestalterische Nähe zu venezianischen Glas oder Wolfgang von Wersins Gläsern lässt sich nicht leugnen. Gangkofner bewegt sich mit seinen gedrehten und gedrückten Kannen, geschleuderten Schalen, langgezogenen Flaschen und Vasen aus reinem oder blasenhaltigem Glas an der Grenze zwischen angewandter und freier Kunst. Ihre Funktion ist immer klar zu erkennen, ringt jedoch mit der künstlerischen Formgebung. Die Individualität seiner Glasobjekte verkörpert das Gegenteil der Massenproduktion aus industrieller Herstellung. So ließ die internationale Anerkennung in Form einer Auszeichnung auf der X. Triennale in Mailand nicht lange auf sich warten. Die organischen Formen Gangkofners entsprachen schließlich dem internationalen Designideal der 1950er Jahre, wie es sich auch bei Möbeln und Leuchten findet.
Die Kooperation mit der Glasindustrie ebnete seinen Weg zum Licht-Designer. Als Entwerfer von Serienprodukten schuf er ab 1953 das Leuchten Programm für die Firma Peill + Putzler. Anfangs orientierte er sich noch an dem von Wilhelm Wagenfeld vorgegebenen organischen Stil. Bald überwand er dessen Vorgaben und erschuf doppelschalige Leuchten, die durch die Kombination von opalem und durchsichtigen Glas auch in ausgeschaltetem Zustand den Hauch der Moderne spüren ließen. Die Pendelleuchten erhielten mediterrane Namen wie Palma, Madrid, Granada, Mallorca, Bari oder Napoli. Sie waren opalüberfangen und seidenmatt (Spanien) oder aus Hellglas mit Emailstruktur und überfangenem Einsatz (Italien). Die immense Materialkenntnis und jahrelange Erfahrung ermöglichten Techniken wie die Fadeneinschmelzung beim frei gearbeiteten Glas, wobei die noch heißen Gläser bei der Herstellung gegeneinander verdreht werden. Im Ergebnis zeigt sich ein dynamischer Schwung und trotz serieller Fertigung eine Individualität durch minimale Abweichungen. Statt Gravur und Schliff benutzte er aus Kostengründen Emailmalerei und Rippenoptik.
Gangkofner dachte und arbeitete aber auch über den Entwurf einzelner Leuchten hinaus an ganzheitlichen Lichtkonzepten für Gebäude. So war er zum Beispiel 1959 für die gesamte Lichtplanung für die Meistersinger Halle in Nürnberg verantwortlich. Für diese Aufgaben entwickelte er – analog zum Systemgedanken der Möbelindustrie – verschiedene Prisma-Module, die er bei Hessenglaswerken in Stierstadt fertigen ließ. Diese Prismen konnten in beliebig vielen Verknüpfungen, Gruppen und Rhythmen zusammengesetzt werden.
Im Jahr 1965 bezog der internationale Lichtspezialist Osram seine neue Firmenzentrale in München in einem sechsgeschossigen Hochhaus auf quadratischem Grundriss, das vom Architekten Walter Henn (1912 – 2006) entworfen worden war. In der Eingangshalle begrüßte eine Gangkofner Installation aus 14 vertikalen, unterschiedlich versetzten Metallstäben mit rund 340 Glasprismen die Besucher und Mitarbeiter. Die Glasprismen funkelten und zerlegten das Licht verschiedener Spots sowie das Tageslicht in seine Spektralfarben vom warmen Rot bis zum kalten Blau. Der Inneneinrichtung diente die Installation als Raumteiler. Die aus Bleikristall gegossenen Prismen stammten wieder aus den Hessischen Glaswerken in Stierstadt, geschliffen wurden sie bei der Firma Sim in Krumbach.
Ein glücklicher Zufall bescherte der Neuen Sammlung die in der Ausstellung gezeigte Gruppe dieser Glasprismen, als im Jahr 2018 das eigentlich denkmalgeschützte Gebäude von Osram am Candidplatz in München abgerissen werden sollte. Vor dem Plattmachen des gläsernen Osram Kubus durfte Die Neue Sammlung die Installation in ihre Bestände aufnehmen. Der Zahn der Zeit hatte allerdings schon an der Installation genagt, nur ein unbeschädigter Teil von 170 Prismen auf 7 Metallpfeilern konnte gerettet werden. Mit technischen Grundrisszeichnungen aus dem Privatbesitz der Witwe Ilsebill Gangkofner konnte die Die Neue Sammlung damit immerhin einen Ausschnitt der ursprünglichen Situation rekonstruieren. Um die Prismen Installation herum baute das Office Heinzelmann Ayadi eine gläserne Ausstellungsarchitektur im neuen Museumsraum, die ihre Einzigartigkeit unterstreicht.
In den 1920 Jahren reüssierten die niederländische De Stijl Bewegung ebenso wie das deutsche Bauhaus mit reduzierten, sachlichen Formen. Das Werk des Niederländers Bernard Heesen steht in offenem Gegensatz zu diesem pragmatischen Konstruktivismus. Der 1958 im niederländischen Leerdam geborene Glaskünstler lässt sich von Abbildungen in Enzyklopädien des 19. Jahrhunderts inspirieren und realisiert verspielte Formen in barocker Opulenz. Der als Anarchist in der Glaskunst geltende Heesen variiert die systematisch angeordneten Schnörkel der historischen Vorbilder durch unbändige Spielfreude zu teils absurden Objekten, deren Ausgangsmaterial oftmals Flohmarkt- oder Dachbodenfunde sind.
Die japanisch-italienische Künstlerin Ritsue Mishima pendelt monatlich zwischen der Stadt Kyoto, in der sie 1962 geboren wurde, und Venedig, wo sie seit 1996 intuitive, farblose Glasobjekte mit auffallend rauer, manchmal verspielter Oberflächenbearbeitung kreiert. Sie gilt als eine der innovativsten Glaskünstlerinnen unserer Zeit, deren skulpturale Glasobjekte bis zu fünfstellige Summen kosten. Bei ihrer perfektionistischen Arbeit orientiert sie sich an der Handwerkskunst der traditionellen Glasbläserhochburg Murano, bricht aber mit deren Vielfarbigkeit. Sie vertritt den Standpunkt, dass das einfallende Licht ohnehin durch unterschiedliche Brechung ein großes Farbspektrum in ihren transparenten Objekten erzeugt. Am anschaulichsten kann man sich das Zusammenspiel von Glas und Licht am Beispiel des klassischen Kristalllüsters vorstellen, aus dessen Glasprismen einfallendes weißes Licht in Spektralfarben zerlegt austritt. Neue Statussymbole bescherten den Glasbläsern von Murano wirtschaftlich schwierige Zeiten, die viele der venezianischen Glasbläsereien nicht überlebten. Ritsue Mishima möchte ihnen mit ihren Arbeiten neue Perspektiven eröffnen, die das traditionelle Handwerk in Murano wirtschaftlich stabilisieren. Mit neuen Formen und Dekorationen bringt sie ihr Team zu handwerklichen Höchstleistungen, da ihre Objekte zunehmend größer und schwerer werden, bei immer üppigerer Dekoration. Dabei bleibt sie aber in der Tradition der venezianischen Glaskunst, was die klassischen Techniken des Glasblasens und der dreidimensionalen Dekorationen betrifft und betreibt viel Aufwand bei der Ausarbeitung der oberflächlichen Strukturen ihrer Unikate. Ihre Werke entstehen in ihrer Vorstellung, ohne Plan oder ausgearbeitete Entwürfe. Die Glasbläser orientieren sich an Mishimas Mini-Tonmodellen. Ihre Arbeitsweise: eine einfache Innenform erweitert Mishima um immer neue Schichten und schließlich die Dekoration wie geometrisch geformte Stacheln oder flachgedrückte Tropfen. Nach dem Abkühlen wird jedes Stück nachbearbeitet, oft geschliffen und poliert, wodurch die Lichtwirkung variiert.
Gläserne Gebrauchsobjekte
Neben den hohen Sphären der freien Kunst befasst sich die Ausstellung auch mit profanen Objekten des täglichen Gebrauchs, wie etwa Weinflaschen in vielen Variationen vom fränkischen Boxbeutel bis hin zur toskanischen Chiantiflasche. Alte Bekannte wie die Fanta Flasche oder das Odol Mundwasser dürfen selbstverständlich auch nicht fehlen. Deren Gestaltung ist nicht minder anspruchsvoll, kommt hier doch neben der Ästhetik auch noch die Qualität der Gestaltung bezüglich der Funktionalität in die Aufgabenstellung.
Eine Besonderheit ist feuerfestes Glas, auch Jenaer Glas genannt. Es wurde von Otto Schott im Jahre 1891 als hitzebeständiges und chemisch resistentes Borosilikatglas entwickelt. Heute werden unter der Marke Jenaer Glas Haushaltswaren in Lizenz von der Zwiesel Kristallglas AG vertrieben. Das „feuerfeste“ oder genauer Hitze beständige Gebrauchsglas wurde ab den 1920er-Jahren für industrielle Anwendungen wie auch für Haushalte produziert und vertrieben.
Die Kaffeemaschine „Vakuumbereiter“ aus feuerfestem Borosilikatglas wurde 1926 von Schott in den Markt eingeführt, dem Werksentwurf kann kein Designer zugeordnet werden. In der Folge wurde er von verschiedenen namhaften Gestaltern variiert. Der erste bereits im Jahr 1927 überarbeitete Entwurf stammte vom Bauhauskünstler Gerhard Marcks. Sein Design wurde wiederum von Wilhelm Wagenfeld 1932 abgeändert. Nach dem Krieg wurde die Kanne der Kaffeemaschine „Sintrax“ (gebildet aus „Sintern und Extrahieren“) von Bruno Mauder zu dem in der Ausstellung gezeigten Exemplar weiterentwickelt, bevor Modell Sintrax 52 als zweiter Werksentwurf 1952 in die Läden kam. Schließlich arbeitete auch Heinrich Löffelhardt 1964 an einer Version, die Schott nur noch in geringer Stückzahl produzierte, da die aufstrebende Konkurrenz „moderner“ elektrischer Kaffeemaschinen und der später einsetzende Espresso Kult das Ende der Sintrax bedeuteten. Das Funktionsprinzip der „Sintrax“ ist denkbar einfach. Zunächst transportiert der Dampfdruck das Wasser in das obere Gefäß und anschließend wird der dort „gesinterte“ Kaffee vom Vakuum wieder nach unten gesaugt.
Als die berühmteste deutsche Designschule, das Bauhaus seine Gründungsstadt Weimar 1925 Richtung Dessau verließ, blieb deren Metallwerkstattschüler Wilhelm Wagenfeld in Weimar. Er arbeitete ab 1926 als Assistent in der Metallwerkstatt der neu gegründeten Staatlichen Bauhochschule Weimar, deren Leitung er 1928 übernahm. Im nur gut 20km entfernten Jena, stellte Wagenfeld seine Objekte beim Jenaer Kunstverein aus und hielt einen Vortrag über Handwerk und Maschinen. Im Auditorium befand sich der Inhaber der bekannten Firma Schott, den der junge Endzwanziger Wagenfeld forsch fragte, warum er nur Wissenschaftler, aber keine Künstler beschäftigt? Aus der mutigen Frage generierte er den Auftrag für die Glasfabrik Schott in Jena Objekte zu entwerfen.
Beispielhaft für die Zusammenarbeit ist der kleine dreiteilige „Eierkocher“ aus Glas, Deckel und Metallspange, den Wagenfeld Anfang der 1930er Jahre für die Firma Schott designte. Er zeichnet sich durch sein klassisch modernes Erscheinungsbild bei gleichzeitig hoher Funktionalität aus. In der kleinen Ausführung fasste er genau ein Ei, in der großen zwei Eier. Da das Gefäß aus hitzebeständigem Glas gefertigt ist, kann es sowohl ins heiße Wasserbad als auch auf die heiße Herdplatte gestellt werden.
Ein weiteres Beispiel für „Jenaer-Glas“ ist das im Jahre 1963 von der ostdeutschen Designerin Ilse Decho entworfene Teeservice aus feuerfestem Glas, das man durchaus als eine Hommage an den Bauhausklassiker von Wilhelm Wagenfeld verstehen darf, dessen 1930er Jahre Entwurf bis in die 1950er Jahre in der DDR produziert wurde. Um 1960 aber beauftragte man die Designerin Ilse Decho einen zeitgemäßen Entwurf zu erarbeiten, bei dem sie sich mit dem ursprünglichen Teeservice von Wagenfeld auseinandersetzte.
Glas und Leuchten
Bis zur Entdeckung des elektrischen Stroms konnte man nur mit Kerzen oder anderen offenen Feuern Licht in die Dunkelheit bringen. Um seine Behausungen vor Bränden zu schützen, umgab man die offenen Flammen zweckmäßiger Weise mit Glas, durch das die Helligkeit trotzdem austreten konnte.
Die Brandgefahr wurde zwar mit der Entdeckung des elektrischen Stroms und der Erfindung der Glühbirne deutlich geringer, trotzdem „hauste“ man die nackten Leuchtmittel der Schönheit halber mit teils mehr, teils weniger geglückten Entwürfen aus Glas – später auch transparentem Kunststoff – in Kombination mit Haltern aus Metall oder seltener aus Holz ein. Denn seit den vielfach funkelnden, noch mit Kerzen betriebenen Kristalllüstern war der optische Reiz des sich in den Glasprismen zu bunter Vielfalt brechenden Lichts geschätzt. Die Ausstellung zeigt eine kleine Auswahl einfacher Leuchten mit weißem Überfangglas, farbigen Glasschirmen oder mattiertem Glas, das besonders angenehmes blendfreies Licht erzeugt.