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Anders gesehen. Afrikanische Keramik – Aus der Sammlung Herzog Franz von Bayern

Anders gesehen. Afrikanische Keramik - Aus der Sammlung Herzog Franz von Bayern

Die Neue Sammlung – The Design Museum freut sich über die essentielle Vergrößerung ihres Sammlungsbestandes im Bereich der Keramik. Durch die großzügige Schenkung von über 660 Objekten afrikanischer Keramik aus der Sammlung Herzog Franz von Bayern verfügt das Museum nun auch auf diesem außereuropäischen Spezialgebiet über hochkarätige Objekte in beachtlichem Umfang. Um dies angemessen zu würdigen werden einem breiten Publikum 262 herausragende Arbeiten vom 27.09.2019 – 29.03.2020  in der Pinakothek der Moderne in München präsentiert.

Keramik im Design Museum?

Keramikarbeiten, besonders historische, erwartet man am ehesten in einem ethnografischen Museum anzutreffen. Das Material ist extrem robust und überdauert Jahrhunderte und mehr. Selbst Bruchstücke sind für Archäologen wertvolle Informationsträger, so zusagend materialisierte Geschichte. Die Arbeiten sind Zeugen früher Zivilisationen und geben Auskunft über die handwerklichen Fähigkeiten ihrer Hersteller. Darüber hinaus kann man aus den für das praktische Leben, rituelle oder religiöse Zwecke geschaffenen Objekten Rückschlüsse auf die Organisation der Zivilisationen und ihr Zusammenleben schließen.

Bei einem Designmuseum denkt man zuallererst an aerodynamisch gestaltete Transportmittel wie Fahrräder, Motorräder und Autos, an elektronische Geräte wie Radios und Computer oder Möbel wie Stühle, Tische und Schränke, aber nicht unbedingt an Keramik. Warum also beschäftigt sich ein Design Museum mit Keramik, die häufig mehr zum Kunsthandwerk als zum Industriedesign gezählt wird? Die Erklärung hierfür findet sich in den Gründungsjahren des ältesten Designmuseums der Welt. Die Neue Sammlung wurde bereits 1925, also in den Anfangsjahren der Moderne, als Staatliches Museum für angewandte Kunst in München gegründet, wo sie bis zu ihrem Umzug im Jahr 2002 in die Pinakothek der Moderne in einem Seitenflügel des Bayerischen Nationalmuseums residierte. Ihr Auftrag lautete „das Neue“ von höchster Qualität aufzuspüren, zu sammeln und zu bewahren. Dies bedeutete den Fokus auf die jeweils zeitgenössische Formgestaltung zu richten, was auch aktuelle Trends beim Keramikdesign beinhaltete. Bereits der Gründungsdirektor der Neuen Sammlung Günther Freiherr von Pechmann hat schon ab dem Gründungsjahr 1925 angefangen Keramikobjekte für die Sammlungsbestände zu erwerben. So kamen früh Bauhauskeramiken und auf der Pariser Weltausstellung Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industries Modernes erworbene Keramiken aus Italien, England und Skandinavien nach München, wo sie in einer ersten Keramikausstellung der Neuen Sammlung 1926 präsentiert wurden. Bis heute ist der Sammlungsbestand auf über 15000 Keramiken angewachsen, 500 Objekte aus China und Japan unterstreichen die Internationalität und Breite der Kollektion.

Der Sammler Herzog Franz von Bayern

Seit nunmehr 40 Jahren sammelt Herzog Franz von Bayern afrikanische Keramik, auf die er eher zufällig aufmerksam wurde. Auf der Suche nach zeitgenössischer Kunst gefielen ihm beim Besuch der Münchner Galerien von Fred Jahn und Margret Biedermann die ausgestellten Djenne-Stücke und  Zulu-Gefäße. Er war so fasziniert, dass er nicht nur ein Objekt, sondern gleich eine ganze Gruppe erwarb. Da es damals in Deutschland im Gegensatz zu afrikanischen Holz- und Metallobjekten noch keinen nennenswerten Markt für diese keramischen Nischenprodukte gab, konnte er sie anfangs noch preisgünstig erwerben. Entscheidendes Kaufkriterium war die Ästhetik der Werke, er kaufte nur was ihm gefiel. Dabei konnte er direkt an den Objekten spüren, dass sie ganz ohne technische Hilfsmittel wie einer Töpferscheibe nur von den geschickten Händen der Töpferinnen, die meisten Werke stammen von Frauen, geformt wurden.  Darüber hinaus bieten die nicht glasierten Keramiken eine besondere Haptik, da man die Scherben direkt berührt und so die leicht unregelmäßigen Oberflächen und die Spuren des Feuers beim Brennen erspüren kann. Die Zusammenstellung der Sammlung erfolgte anfangs zufällig ohne Systematik, da man noch insgesamt wenig über die Keramik des großen Kontinents wusste. Im Laufe der Zeit entwickelte Herzog Franz von Bayern ein System, bei dem er nach Regionen sammelte. Mit jeder neuen Region entdeckte er auch neue Formen. Die unterschiedlichen Formensprachen eint ein „afrikanisches Grundgefühl“, die Objekte vermitteln den gesellschaftlichen Kontext in dem sie die Keramikerinnen formten.

Für den weiteren, methodischen Aufbau der Sammlung war das in Deutschland aufkommende Interesse an der Thematik hilfreich. Mit der Nachfrage wuchs auch das Angebot am Markt. Dadurch entwickelte sich nach und nach ein reger Austausch mit anderen Sammlern, Händlern und besonders Wissenschaftlern, wodurch neben den Objekten selbst immer mehr Informationen zu diesen von Herzog Franz von Bayern gesammelt wurden. Mit Barbara Thompson konnte Herzog Franz von Bayern eine renommierte Wissenschaftlerin gewinnen, die die umfangreiche Sammlung betreut. Durch all diese Kontakte erfuhr der Sammler mehr über die Hintergründe seiner Objekte, in welchem Kontext sie entstanden und welche eigentliche Bedeutung sie hatten. Er konnte nun besonders auch aus der Kenntnis ihrer Arbeitsweise die kreative Leistung der Töpferinnen würdigen. Durch die zunehmende Quantität der Sammlung, die Vergleiche und Rückschlüsse ermöglichte, kristallisierte sich die Qualität einzelner besonderer Keramiken heraus. Es entwickelten sich beim Sammler  auch Vorlieben wie etwa für die Zulu-Keramik, die überwiegend in Südafrika zu finden ist.

Herzog Franz von Bayern sammelte aber nicht nur für seine eigenen Vitrinen, vielmehr war ihm von Anfang an daran gelegen einem breiten Publikum die Schönheit der Objekte zugänglich zu machen. 1984 übernahm er bei einer der ersten bedeutenden  Ausstellungen afrikanischer Keramik im Münchner Museum Fünf Kontinente, damals noch Museum für Völkerkunde, die Schirmherrschaft und stellte zahlreiche Leihgaben zur Verfügung. Auch für eine Ausstellung in London (Africa: The Art of a Continent, 1995/96) steuerte er einige Objekte bei. Die nun in der Neuen Sammlung in der Pinakothek der Moderne präsentierten 262 Keramiken aus den insgesamt etwa 660 im Juli 2017 dem Design Museum als Schenkung überlassenen Objekten setzt diese „Öffentlichkeitsarbeit“ fort.

Die Sammlung

Die Sammlung gilt als eine der international bedeutenden Sammlungen afrikanischer Keramik in Hinblick auf ihren Umfang, die Präzision der Auswahl und die Qualität der einzelnen Stücke. Sie umfasst Keramiken vom 19. bis ins 21. Jahrhundert. Sie entstand einzig aus der Leidenschaft und Begeisterung des Sammlers, mit der er über 40 Jahre hinweg kontinuierlich ihren Aufbau betrieben hat. Mit zunehmendem Wissen schärfte sich auch beim Ankauf der Blick für hochwertige Objekte, so dass die Sammlung nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ wuchs. 

Die Keramikkunst in Afrika blickt auf eine lange Geschichte zurück und ermöglicht einen kontinuierlichen Einblick in die materielle Kultur des Kontinents. Alle ausgestellten Arbeiten wurden in Handarbeit in der so genannten Aufbau-Technik hergestellt, also ohne einer Drehscheibe. Von Generation zu Generation wurde und wird das Wissen über die Tonmaterialien, die Aufbau- und Brandtechniken vererbt. Ebenso werden die Formen für rituelle wie profane Objekte weiter gegeben, die jedoch dem Wandel der kulturellen und individuellen Werte adaptiert werden.  Das Zusammenspiel von Form, Funktion und Bedeutung wird seit dem 19. Jahrhundert flexibler interpretiert, wodurch die künstlerische Freiheit zunahm.

Im Mittelpunkt der Sammlung steht die Gefäßkeramik, unter anderem Wasser-, Milch-, Butter- oder Biergefäße für den täglichen Gebrauch. Daneben finden sich aus verschiedenen Regionen Afrikas auch religiös oder medizinisch motivierte Ritual- und Seelengefäße mit ausdrucksvollen figürlichen Darstellungen.

Die Farbigkeit der Keramiken reicht von monochromer Eleganz bis hin zu lebensfroher Vielfarbigkeit.

Unübersehbare Nähe zum Art Deco weist das Biergefäß (ukhamba) von  Azolina MaMncube Ngema (1936 – 2015 oder 2016, Südafrika) auf (Abb. 1). Überhaupt sind Biergefäße zahlreich vertreten, was auf eine gewisse kulturelle Nähe  zur bayerischen Lebensart hinweist.

In Afrika, der Wiege der Menschheit, findet man aber auch anthropomorphe Gefäße wie den Krug aus der Niangara Werkstatt der Mangbetu-Kultur (Abb. 21) oder das Flaschengefäß mit Henkeln (abb. 6), das der Tip oder Teke Kultur in der Utyo Region, Demokratische Republik Kongo, zugerechnet wird und gegen Ende 19. bis Anfang 20. Jahrhundert datiert.

In den Objekten der Sammlung spiegelt sich zudem die enorme Flexibilität der Töpferinnen des gesamten afrikanischen Kontinents wieder und zeigt wie sie dem Wandel des Kundengeschmacks sowohl in ihren heimischen Märkten als auch im Ausland vorausschauend und mit großer Anpassungsfähigkeit begegneten. Nach Bedarf töpferten sie mit neuen Materialien und schufen neue Gestaltungsformen und Verzierungen.

Die Töpferinnen

In diesem Beitrag wird meist von Töpferinnen gesprochen und in der Tat sind es fast ausnahmslos Frauen, die die Tradition des Töpferhandwerks in der Familie weiter geben. So gibt es eine Familie, bei der seit vier Generationen auf sehr hohem Niveau und in einer besonderen Handschrift Keramik gefertigt wird. Die Keramik ist ein lebenslanger Begleiter und selbst nach dem Tod bleibt durch die Seelengefäße eine Verbindung bestehen.

Neben den vielen noch unbekannten Künstlerinnen findet sich mit Magdalene Odundo eine international anerkannte Keramikerin. Sie wurde 1950 in Nairobi, Kenia, geboren. 1971 zog sie nach England, wo sie im Jahr 2001 in London eine Keramik Professur erhielt und noch heute künstlerisch arbeitet. Ihre Werke, die inzwischen nicht mehr nur Gebrauchskeramik sind, werden stark am Kunstmarkt nachgefragt und sind nur schwer und zu hohen Preisen erhältlich. Sie ist eine außergewöhnliche Vertreterin der zeitgenössischen afrikanischen Keramik, die Herzog Franz von Bayern so beschreibt: „In ihren Arbeiten verbinden sich eine gewisse afrikanische Grundbefindlichkeit mit einer unverwechselbaren eigenen Handschrift, und das auf allerhöchstem Niveau. Sie versteht es, die Spannung eines Gefäßes, die für mich zu den faszinierendsten Merkmalen der afrikanischen Keramik gehört, besonders gut herauszuarbeiten, eine Spannung, die sich von unten nach oben durchzieht, und das selbst bei asymmetrischen Objekten.“

Die Ausstellung und wissenschaftliche Forschung

Der Titel der Ausstellung „Anders gesehen“ weist darauf hin, dass diese Objekte in einem Museum für Design und angewandte Kunst unter gestalterischen und künstlerischen Gesichtspunkten betrachtet und bewertet werden müssen. Deshalb sind die Werke nicht nach Regionen geordnet, sondern werden aus vier verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Im Erdgeschoss geht es um Form, Dekor und Materialität. Im 2. Obergeschoss der Rotunde befasst man sich mit der Vielfalt afrikanischer Keramik, dem Einfluss der Käufer und der zeitgenössischen Strömung. Bei letzterem findet ein Umdenken statt. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Autorschaft der afrikanischen Kunsthandwerker von den Experten aus dem Norden ignoriert oder verschwiegen und verkam somit zur Bedeutungslosigkeit. Heute steigt die Zahl afrikanischer Töpferinnen und Töpfer, besonders der Zulu Keramiker, die es zu internationalem Renommee und entsprechendem Marktwert gebracht haben.

Die Ausstellung eröffnet eine neue Sichtweise auf die handwerkliche afrikanische Keramikproduktion mit dem Fokus auf Form, Funktion, Dekor und Materialität, womit sie mit der Methodik eines Design Museums konzipiert ist.

Die Ausstellung zeigt Objekte aus 25 Ländern, deren Entstehung bis zurück ins 19. Jahrhundert datiert, das jüngste stammt aus dem Jahr 2016. Die Neue Sammlung präsentiert sie in einem Raum im Erdgeschoss auf in Schlangenform angeordneten Tischen vor der Projektion einer afrikanischen Landschaft und im zweiten Stock in der Rotunde. Für die Entwicklung dieser besonderen Ausstellungsarchitektur konnte sie den international bekannten Architekten Asif Khan aus London gewinnen. Für die lichtdurchflutete Rotunde hat er eine Installation entworfen, die die Themen „Archiv“ und „Körper“ visualisieren.  So befinden sich die Objekte entweder wie archiviert in Regalen oder werden von hölzernen Armen gehalten, die von dem Künstler Frank Arroni Ntaluma beigesteuert wurden. Die Arme ragen aus Holzkästen heraus und vermitteln den Eindruck, dass die Keramik gerade noch von der Töpferin begutachtet oder schon vom Benutzer gehalten wird.

Neben der nun dem interessierten Publikum zugänglichen Präsentation im Museum ist vor allem die von der Neuen Sammlung unterstützte weitere wissenschaftliche Arbeit mit den Keramiken von großer Bedeutung.  Herzog Franz von Bayern „freut besonders, dass durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit meiner Sammlung viele Keramiken, die bei ihrer Erwerbung noch anonym waren, inzwischen einzelnen Keramikerinnen oder Keramiker-Familien, die oftmals über mehrere Generationen gearbeitet haben und zum Teil immer noch arbeiten, zugeordnet werden konnten.“ Die meisten Künstler sind noch immer unbekannt, lediglich von 40 gibt es Nachweise. Hilfreich sind dabei Signaturen wie auf den Arbeiten des 1928 verstorbenen Voania von Muba.