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Finn Juhl. Life, Work, World. – Pionier der dänischen Moderne

Finn Juhl

Ab den 1920er Jahren prägten das deutsche Bauhaus und das französische Art Déco die europäische und US-amerikanische Gestaltung, Architektur und Kunst. 1933 schloss der Nationalsozialismus aus ideologischen Gründen die deutsche Designschule von Weltrang, nach 1945 hatte sich Europa, auch durch die Zäsur des 2. Weltkriegs, vom Art Déco abgewandt. Die Abkehr vom Stil der letzten Jahrzehnte erleichterte wohl die Vergangenheitsbewältigung. Nun schlug die Stunde des Nordens. Skandinavisches Design, das sich im Geist der Internationalen Moderne unauffällig fernab der Metropolen Berlin und Paris ab 1930 entwickelt hatte, sollte bald weltweit zu Geltung gelangen. Einer der bedeutendsten Protagonisten hierbei war der Däne Finn Juhl, der maßgeblich für die Etablierung der dänischen Moderne in Amerika war.

Skandinavisches Design und Dänische Moderne

Während sich nach 1920 die internationale Moderne mit kühlen und strengen Linien und Flächen in Materialien wie Beton, Stahl und Glas definierte, die eine kalte und unpersönliche Monumentalität verkörperten, wählte die skandinavische Moderne einen anderen, bodenständigeren Weg. Im Gegensatz zu üppigem Art Déco Prunk und kühlem Bauhaus Design gelang den Skandinaviern die Fortführung der lokalen Bautraditionen als Weiterentwicklung im Geiste der Moderne, die auf dem überbrachten Wissen des eigenen Handwerks beruhten. Die skandinavische Moderne wirkte vom Design über die angewandte Kunst bis hin zur Stadtplanung. Obwohl Architekten wie der Däne Arne Jacobsen, der Finne Alvar Aalto, der Schwede Gunnar Asplund und der Norweger Sverre Fehn den Einfluss von Le Corbusier oder Mies van der Rohe nicht verleugneten, gestaltete jeder von ihnen den Modernismus näher am Menschen und seinen speziellen Bedürfnissen. Warme, natürliche Materialien wie das helle nordische Holz und die Betonung organischer, gebogener Formen, die immer die menschlichen Proportionen beachteten, sind für die skandinavische Moderne charakteristisch. Die dänische Moderne wiederum ist eine spezielle Ausprägung der skandinavischen Moderne. Das goldene Zeitalter des dänischen Möbeldesigns erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte von den 1930ern bis in die frühen 1960er Jahre. Dieses goldene Zeitalter wurde von einer Handvoll junger ambitionierter Designer ermöglicht, zu denen Finn Juhl als wichtiger Vertreter zählt.

Die dänische Schule der Designer

Der Architekt und Designer Kaare Klint (1888 – 1954) gründete 1924 an der Dänischen Akademie der Schönen Künste in Kopenhagen die neue Abteilung für „Möbelkunst und Raumausstattung“, womit er den Grundstein für den Aufstieg des dänischen Möbels in den folgenden Jahrzehnten legte. Klint etablierte einen wissenschaftlich ausgerichteten Ansatz im Möbelentwurf. Er basierte auf sorgfältigen Untersuchungen an dem Benutzer, der auf dem Stuhl sitzen oder seine Kleidung in einen Schrank hängen sollte, oder umfassender auf der Analyse wie komplexe Vorgänge im Haushalt und der Wohnung ablaufen, um diese durch die Gestaltung der Möbel und Objekte zu optimieren. Die Motivation hierfür war zunehmendes soziales Verantwortungsbewusstsein, wissenschaftliche Neugier und wirtschaftlicher Rationalismus. Architektur und Design wurden sich immer stärker ihrer sozialen Verantwortung bewusst, die Bedürfnisse der Menschen wurden stärker gewichtet als Stil oder überkommenes Brauchtum. Für manche Architekten und Entwerfer entwickelte sich diese wissenschaftliche Haltung zur Ideologie, getrieben von der Begeisterung für die neue Maschinenästhetik der Moderne und den technologischen Möglichkeiten der sich vermehrt durchsetzenden Massenproduktion. Die Klint Schule begriff Möbeldesign als eigenständige Disziplin, deren funktionaler Anspruch sich vom reinen ästhetischen Gedanken mancher Aspekte des Modernismus weit entfernte. Wie seine Landsleute Hans J. Wegner und Arne Jacobsen fand Finn Juhl eine eigenständige Formensprache, die die Lehren der Klint Schule erweiterte und eine freiere Interpretation des Verhältnisses Form und Funktion erforschte.

Design in der Schreinerei

Der Transfer des Designs von der Schule in die reale Wirtschaft wurde durch die jährlich stattfindende Möbelmesse „Snedkerlaugets utstilling“ der Kopenhagener Tischler gefördert. Zahlreiche professionelle Partnerschaften zwischen Entwerfern und Möbelschreinern wurden hier geschlossen, die oftmals Jahrzehnte hielten. Das beste Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit zwischen Finn Juhl und Niels Vodder. Auf der Messe konnten die Besucher die neuesten dänischen Möbel betrachten und kaufen. Für die kleinen Möbelschreinereien war sie eine großartige Plattform, die sie im Konkurrenzkampf mit der stark wachsenden Möbelindustrie unterstützte. Den Designern schließlich bot sie die Möglichkeit ihre Entwürfe „ins Schaufenster“ zu stellen und die Reaktionen von Kunden und Kritikern aufzunehmen.

Making of … einer Design-Ikone

Finn Juhl kam am 30. Januar 1912 in Frederiksberg, einem Stadtteil Kopenhagens, zur Welt. Drei Tage nach seiner Geburt verstarb seine Mutter. Sein Verhältnis zum Vater, der besonders sein frühes Interesse an Kunstgeschichte nicht teilte, blieb zeitlebens distanziert. Bereits als Jugendlichen zog es ihn in die Dänische Nationalgalerie und zu den griechischen Skulpturen in der Kopenhagener Glyptothek, die – 1888 gegründet – ihren Namen der Begeisterung ihres Gründungsdirektors Carl Jacobsen für die Münchner Glyptothek verdankt. Der autoritäre Vater zweifelte am finanziellen Ertrag eines Kunstgeschichtestudiums und fürchtete noch unter dem Schock des schwarzen Freitags an Wall Street im Jahr 1929 um das Auskommen seines Sohnes. Am Ende drängte Vater Juhl den Sohn ein Architekturstudium unter Kay Fisker an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen zu beginnen, dem er sich von 1930 bis 1934 widmete. Genauso erging es auch einem anderen dänischen Stardesigner und Architekten, Arne Jacobsen, der ebenfalls wegen seines Vaters ein vermeintlich ein besseres Einkommen versprechendes Architekturstudium absolvieren musste. Letztendlich setzte sich aber seine Leidenschaft für die angewandte Kunst durch, so dass er schließlich als Möbeldesigner erfolgreich wurde und sich immer wieder von Werken der abstrakten Kunst bei seinen Entwürfen inspirieren ließ.

Als Berufsanfänger erhielt er 1934 eine feste Anstellung im Architekturbüro des führenden Architekten des dänischen Modernismus, Vilhelm Lauritzen, bei dem er schon als Student tätig war. 1937 debütierte er mit seinem handwerklichen Partner Niels Vodder auf der Ausstellung der Tischlerzunft. Die Zusammenarbeit mit Vodder sollte bis 1959 fortbestehen, die Mitarbeit im Architekturbüro Lauritzen, für die er 1944 mit der C.F. Hansen Medaille ausgezeichnet wurde, endete Mitte der 1940er Jahre.

Finn Juhls Haus

Im Jahr 1942 errichtete er sein selbst entworfenes Wohnhaus in Charlottenlund, nördlich von Kopenhagen, in dem er wie in einem Versuchslabor seine Design- und Einrichtungsideen ausprobieren und perfektionieren konnte. Das Haus zeichnet sich durch Einfachheit aus, ein schlichter, rechtwinkliger Bungalow mit zwei eingeschossigen Flügeln aus weiß gekalktem Backstein und mit einem niedrigen Dach aus hellgrauen Schindeln. Im Haus wird der Besucher von den lichtdurchfluteten Räumlichkeiten überrascht, die ganz im Sinne der Vereinigung von Kunst und Design möbliert sind, die beide auch perfekt mit der Architektur harmonieren. Es steht auch für sein Bestreben nach Einheit, aber nicht nach Einförmigkeit, weshalb Juhl alles bis hin zu alltäglichen Gebrauchsgegenständen wie Besteck und Geschirr selbst entwarf. Im Gegensatz zu diesen banalen Dingen im Haus stößt man auch auf seine profunde Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Modern Art. Seine Sammelleidenschaft gehörte der Dänischen Kunst wie den Gemälden von Asger Gorn und den totemartigen Skulpturen von Erik Thommensen und Sonja Ferlov Mancoba. Die organischen Formen der expressionistischen Avantgarde der 1930er bis 1950er Jahre, mit denen er sich im Haus umgab, erscheinen wieder in den vielen herz-, nieren- und flossenartigen Formen von Juhls Möbelkonstruktionen und Elementen wie Rücken- oder Armlehnen. Im Design Prozess arbeitete er mit dem Auge eines Bildhauers und sagte 1952 selbst: „Ein Stuhl ist nicht nur ein industrielles Produkt in einem Raum. Er wird selbst zu Form und Raum.“ So spiegelt Juhls Haus noch heute den Geschmack des dänischen Mid-Century Stils wieder. Eingebettet in seine Umgebung gibt es Zeugnis über ein Designerleben, das der Hochkultur verpflichtet war. Heutzutage steht es als Teil des Ordrupgaard Museums Besuchern offen.

Selbständiger Designer

1945 eröffnete er sein eigenes Büro in Nyhavn in Kopenhagen und arbeitete – wie er immer wieder betonte – als autodidaktischer Möbeldesigner, wobei ihm das vorangegangene Architekturstudium sicher geholfen hat. Nicht selten vernachlässigte er den Anspruch der Moderne auf ein demokratisches Design, das auf formschöne und praktische, aber zugleich kostengünstige Objekte für die weniger betuchte Käuferschicht hinarbeitete. Wegen teurer Luxusmaterialien und aufwändiger Handarbeit wurde er häufig als Vertreter eines elitären Designs begriffen und angegriffen.

Von 1945 bis 1955 lehrte er an der School of Interior Design in Frederiksberg, Kopenhagen, und hatte eine Gastprofessur am Institute of Design.

In seinem Heimatland Dänemark war er lange umstritten, da er sich über die Designlehre des großen Kaare Klint hinaus entwickelt hatte. Im Jahr 1948 präsentierte der amerikanische Architekt und Autor Edgar Kaufmann Jr. Juhls Entwürfe in einem Beitrag in der Zeitschrift Interiors einem großen kaufkräftigen Publikum und machte ihn auf einen Schlag in den USA bekannt.

Der internationale Durchbruch gelang ihm 1951/52 mit der Gestaltung des Sitzungsraumes des Treuhandrates im Hauptgebäude der Vereinten Nationen in New York City, für die er von seinem Heimatland Dänemark beauftragt wurde. Für die Good Design-Ausstellung in Chicago fertigte er zwei Dutzend Möbelstücke, die dann von der amerikanischen Firma Baker Furniture industriell hergestellt wurden. Es folgte eine Ausstellung im legendären Museum of Modern Art in New York City.

1954 und 1957 war er Teilnehmer der Triennale in Mailand. Viele internationale Auszeichnungen wie die drei Goldmedaillen auf der XI. Triennale im Jahr 1957 stellen ihn auf eine Stufe mit den beiden anderen dänischen Designikonen Arne Jacobsen und Hans J. Wegner. Als eine der führenden Figuren des „Danish Design“ der 1940er Jahre hat er dieses damals in den USA als dänischen Exportschlager erfolgreich eingeführt.

Die Vorlieben änderten sich, die 1960er und 1970er Jahre standen ganz im Zeichen der Pop-Art und des Plastikkults. Das Interesse an Juhls sorgsam entworfenen und handwerklich anspruchsvoll gefertigten Möbeln schwand.

Arbeiten und Werke

In den 1950er und 1960er Jahren wurde er mit der Gestaltung zahlreicher Interieurs beauftragt. Dazu zählen repräsentative Aufträge wie die dänische Botschaft in Washington, D.C. oder auch die Büros der Fluglinie SAS (Scandinavian Airlines) sowie die Inneneinrichtung eines Flugzeugs dieses Unternehmens.

Bei seinen Werken finden sich viele Stuhl- und Sofaentwürfe mit abstrakter und organischer Linienführung Skulpturen gleich, die seine Inspiration bei den Plastiken Henry Moores oder Hans Arps nicht verheimlichen können. Damit beeinflusste er das dänische Design und dessen junge Entwerfer und verhalf der dänischen Inneneinrichtung zu weltweitem Erfolg. Seine Entwürfe im Geiste der Moderne weisen die Anmutung klassischer Möbelstücke auf. Sie sind gleichzeitig ein wahrer „eye-catcher“ und harmonieren nahezu mit jedem Einrichtungsstil.

  • Der Häuptling

Ein Klassiker unter den Juhl Möbeln ist der Chieftain Chair/FJ49A aus dem Jahre 1949, der selbstverständlich auch bei Niels Vodder produziert wurde. Er ist wohl das bekannteste und auffälligste Designstück Juhls. Obwohl er ein voluminöser Sessel ist, genügt er den Ansprüchen der Moderne nach Leichtigkeit und Transparenz. Für den Betrachter entstehen Räume zwischen dem blanken Rahmen und den gepolsterten Elementen, die dazu einladen ihn zu umrunden und ihn aus verschiedenen Perspektiven zu erforschen. Somit stellt er die definitive Abkehr von der (Un-)sitte des Empire-Stils dar, die Möbel entlang der Wände zu platzieren. Die vielen sich überlagernden Elemente des Rahmens enthalten eine Variation des Ägyptischen Stuhls (1949) und beziehen sich auch auf die Speere und Werkzeuge indigener Völker. Die Rückenlehne erinnert an die untere Hälfte eines Schildes. Juhl unterstrich diesen Aspekt zum einen bei der Namensgebung, Häuptling Stuhl, und zum anderen bei der Vorstellung des Stuhls, indem er indigene Utensilien wie Pfeil und Bogen und diverse Kunstwerke zusammen mit der Fotografie eines Speer schwingenden afrikanischen Kriegers präsentierte. Der Sitz, das Rückenteil und die Armlehnen scheinen frei an und zwischen den Teilen des Rahmens zu hängen. Als das Dänische Kunst & Design Museum den Stuhl ankaufen wollte, gab es allerdings Kritik von fundamentalistischen Tischlern. Der Innenrahmen der gepolsterten Teile war statt aus Holz aus Metall gefertigt und mit Filz und Leder überzogen. Der Sessel enthält so viele Formen und potenzielle Referenzen, dass er buchstäblich nach Bedeutung schreit, über sein eigentliches Dasein als Möbel hinaus. Er wirkt wie eine eingefrorene Geste oder Standbild eines bewegten Körpers.

Die jungen Preisträger des nun jährlichen vergebenen Finn Juhl Designpreises erhalten neben dem Preisgeld jeweils einen Miniatur „Häuptling“ – Sessel.

  • Poet Sofa

Seinen literarischen Namen verdankt das Sofa einem sehr ähnlichen Modell, das nur als Unikat gefertigt wurde und, in Anlehnung an die dänische Comic-Serie, in dem gleichnamigen populären Film „The Poet and the Little Mother“ als Requisite mitgespielt hat. Zweifellos ist es eines der bekanntesten Stücke aus Juhls Werk. Nicht nur wegen des im Sinne des Marketings außerordentlichen Glücksfalls im Film aufgetreten zu sein, sondern weil es alle wichtigen Attribute eines Finn Juhl Möbels aufweist. Den beabsichtigten skulpturalen Juhl Ausdruck unterstrich er bei der Kopenhagener Möbelschreiner Ausstellung im Jahr 1941, indem er zwei Poet Sofas im Zusammenspiel mit einem abstrakten skulpturalen Wandbild des Färingers Sigurjón Ólafsson platzierte. Die freie Form ermöglichte eine überzeugende Funktionalität. Juhl begriff Form, Ausdruck und Komfort als ein Ganzes, das nicht getrennt erörtert werden kann. Das Design des Poet Sofas ist für zwei Menschen im, vielleicht vertraulichen, Gespräch gedacht. Die beiden Sitzpositionen sind leicht zueinander angewinkelt, so dass keiner der beiden auf dem Sofa sich für den Blickkontakt schmerzhaft verdrehen muss. Der Abstand der beiden Gesprächspartner ist weder unangenehm nah noch unpersönlich weit. Sie müssen auch nicht zu formell aufrecht sitzen, ganz im Gegenteil bietet das Sofa eine Rücken- und Lendenwirbel Unterstützung. Die Armablage sowie die Möglichkeit viele verschiedene Rückenschonende Sitzpositionen einzunehmen sind durch das Design berücksichtigt und sichergestellt. Bei manchen Modellen unterscheiden sich die Farbe von Sitz und Rückenlehne vom Sitzkissen. Ein beliebter Trick Finn Juhls, um die Form noch deutlicher hervorzuheben. Das Sofa ist eine kleine romantische Skulptur für zwei. Man könnte sagen es ist die passende Dame zum Herrn verkörpert durch den Chieftains Sessel, so schlank in der Taille wie der Häuptling an der Brust breit ist.

Design zwischen Kunst und Funktion

Gerade am Design von Finn Juhl zeigt sich, dass die Grenzen zwischen Kunst und Funktion fließend sein können. Egal ob er einzelne Möbelstücke, komplette Inneneinrichtungen, Ausstellungen oder Häuser entwarf, er bezog sich auch immer auf die schönen Künste. Bei seinen Inneneinrichtungen kehrte er regelmäßig zu einigen wenigen Favoriten zurück, wie den Maler Vilhelm Lundstrøm und den Bildhauer Erik Thommesen. Finn Juhl verband Farben, Texturen und Beleuchtung zu einem stimmigen Ganzen. Bei seinem Möbeldesign ließ er sich gerne von den Skulpturen von Jean Arp, Barbara Hepworth, Henry Moore und Alexander Calder inspirieren. So bezog Juhl einen künstlerischen Ausdruck in den Kern des Designprozesses mit ein und schuf auf diese Weise im Design einen Raum, in dem sich ästhetische Erwägungen und künstlerischer Ausdruck entwickeln konnten.

Juhls Design ist im Wesentlichen vom Funktionalismus geprägt, aber mit einem menschlichen Gesicht, das eine Ausgewogenheit zwischen den kulturellen und den technischen Aspekten herstellte. Ohne diese Balance wäre das Design willkürlich und oberflächlich, wir würden die Sicht auf die Intension hinter dem Produkt verlieren. Juhl selbst meinte, dass es eine so enge Beziehung zwischen Form und Funktion eines Gegenstands gibt, und damit eine ebenso intime Beziehung zum zeitgenössischen Leben, dass die Formensprache als Teil der Funktion behandelt werden müsse. Mit dem Bezug auf den damals praktizierten Lebensstil schlägt Juhl weiter vor, dass die Frage der Balance zwischen Technik und Mensch nicht auf die Ästhetik oder das Design beschränkt bleiben sollte.

Tradition gegen Innovation

Als junger Berufsanfänger erlebte Juhl die bereits Jahrzehnte dauernde, aber langsam abklingende kontroverse Diskussion der Designer, wem man den Vorzug geben sollte. Der altehrwürdigen Handwerkstradition als Kern aller Manufakturen, mit Produkten authentisch gefertigt von hochqualifizierten Fachleuten, oder der seriellen Massenproduktion, die zweifellos mit der glänzenden Maschinenästhetik von Möbeln oder Autos und dazu preisgünstig in großen Stückzahlen gefertigt, auch faszinierte. Diesen Konflikt hatte bereits das deutsche Bauhaus durchlebt, wo man sich nach anfänglicher Begeisterung für die Handwerkskunst dann doch der industriellen Fertigung und dem damit verbundenen sozialen Versprechen, Menschenwürdige Wohn- und Lebensumstände für die breiten unterprivilegierten Schichten, verschrieb und Massenprodukte entwarf. Letztendlich scheiterte aber das Bauhaus am Versuch eine überzeugende Verbindung zwischen Form und Funktion bzw. Tradition und Innovation herzustellen, behauptet der Autor Christian Buundegaard. Er argumentiert weiter, dass der Funktionalismus im schlimmsten Fall eine herbe Enttäuschung darstellte. In der Architektur hatte bisher die Tradition über den Stil der Gebäude entschieden: Parlamente und Gerichtsgebäude sollten klassisch sein, Rathäuser gotisch, Paläste und stattliche Anwesen Barock. Zwar hatte die Moderne versprochen, die Form der Funktion folgen zu lassen, doch es schien, dass alte Stile einfach ersetzt worden waren.

Das nordische Schönheitsideal

In Dänemark mussten die Architektur der Moderne ebenso wie das Design sich in einem vom protestantisch calvinistischen Arbeitsethos und sozialem Verantwortungsbewusstsein geprägtem Umfeld ihren Platz erkämpfen. Ab etwa 1930 orientierten sich die führenden Architekten des Landes an der Moderne, wobei die erfolgreichsten Resultate ihres Schaffens nichts radikal Neues zeigten, sondern eine vorsichtige Weiterentwicklung des Bestehenden waren. Kay Fisker, Juhls Lehrer an der Architektenschule, beschrieb den Funktionalismus als funktionelle Tradition, nach vorne gewandt, aber das Bestehende achtend. Es wurde Wert auf die Vereinigung von Schönheit und Nützlichkeit bzw. Form und Funktion gelegt, d.h. Schönheit auf Bestellung. So zusagend durch den Austausch von ‚oder‘ durch ‚und‘ die Verschärfung von William Morris‘ (1834-1896) Postulat „Have nothing in your house which you do not know to be useful or believe to be beautiful.“ Besonders der langjährige Leiter der Möbelschule an der Kunstakademie Kaare Klint hatte sich diesem Ansatz verschrieben und bestimmte systematisch die Dimensionen von Gegenständen und Möbeln um sie mit den menschlichen Proportionen in Bezug zu setzen. Damit hat er bis heute enormen Einfluss auf das dänische Möbeldesign.

Finn Juhls Modernismus

Als ausgebildeter Architekt dachte und arbeitete Finn Juhl nach Begriffen wie Ordnung, Einheit, Harmonie, Kontext und ästhetische Übereinstimmung. Als Vertreter der Moderne suchte er konsequent eine Formensprache, die die Notwendigkeit der Funktionalität sowie die objektiven und rationalen Aspekte des Handwerks betonte. Als leidenschaftlicher Bewunderer und Sammler der zeitgenössischen Kunst sah er die Notwendigkeit deren Gemälde und Skulpturen in einem ebenso modernen Umfeld zu präsentieren. Alles andere wäre für ihn wie „fortschrittliche Literatur in einem Renaissance Möbel sitzend zu lesen“. Für Juhl waren die Objekte der Kunst wie des Designs gegenseitig aufeinander angewiesen, um ihre volle Wirkung auf den Betrachter entfalten zu können. Seine dänischen Wurzeln brachten ihn zu einem Design im Sinne der Moderne, aber mit humanem Antlitz.

1950 – 1959: Juhls amerikanische Jahre

Die Neue Welt war über Jahrhunderte Ziel europäischer Auswanderer auf der Suche nach wirtschaftlichem Erfolg und Lebensglück. Zwischen 1860 und 1930 übersiedelten alleine mehr als 300.000 Dänen in die Vereinigten Staaten von Amerika. Nach dem Zweiten Weltkrieg verblieben die USA die einzige militärische und zugleich wirtschaftliche Supermacht. Dieses Erfolgsmodell exportierte offensiv den „American way of Life“ mit seinen Filmen, seiner Musik, Zeitschriften, aber auch Mobiliar und Neuheiten wie den Supermarkt. Unterstützt wurde dieser „Kulturexport“ vom US-amerikanischen Marshall Plan für Europa, der die am Boden liegenden Volkswirtschaften wiederaufbauen sollte und durch Wohlstand die Europäer vom Sowjetkommunismus fernhalten sollte. Andererseits hatten die reichen Amerikaner bzw. die Elite der kultivierten Gesellschaft einen Sinn für sorgfältiges Design und Handwerkskunst. Mit dem Erwerb hochwertiger europäischer Erzeugnisse, vom englischen Sportwagen bis hin zum dänischen Möbel, drückten sie dies aus.

Zur Vorbereitung der für 1948 geplanten Ausstellung über Skandinavisches Design im Museum of Modern Art (MoMA) in New York, bereiste der Kurator Edgar Kaufman Jr., der in den 1920er Jahren in Wien und später beim legendären Architekten Frank Lloyd Wright ausgebildet worden war, Skandinavien. Im Showroom Den Permanente in Kopenhagen entdeckte er die Möbel von Finn Juhl, auf den er bereits von Abel Sorensen, den für die Inneneinrichtung des Hauptsitzes der Vereinten Nationen in New York Verantwortlichen, aufmerksam gemacht worden war. Sorensen hatte nicht übertrieben, Kaufman war sofort begeistert von Juhls Möbeln, die seinem Empfinden nach im Gegensatz zu den anderen dänischen Möbeln modern und anspruchsvoll waren. Juhl wiederum war begeistert von Kaufmans kunstgeschichtlichem Wissen, woraus eine lebenslange berufliche Zusammenarbeit und Freundschaft entstanden.

Die angedachte Ausstellung wurde nie realisiert. Kaufman veröffentlichte jedoch in der Zeitschrift Interiors den Beitrag ‚Finn Juhl of Copenhagen‘, worin er den modernen Ausdruck und die hochwertige Handwerkskunst, verantwortet vom Möbelschreiner Nils Vodder, dessen dänischer Möbel herausstellte. Bald kaufte auch das MoMA drei Juhl Stühle an: den FJ44, FJ45 und FJ48. Neben diesen Empfehlungen war es vor allem Juhls Persönlichkeit, die zum Erfolg in den USA beitrug. Im zunehmend rauen Marketing und Verkauf von Kunst und Design war nicht mehr nur das Produkt entscheidend, sondern auch der Designer, der Mensch, dahinter. Juhls Erfolgsgeschichte in den USA hatte begonnen.

Design für die Vereinten Nationen

1950 erhielt Juhl den Auftrag das Interieur des Sitzungsraumes des Treuhandrates im Hauptgebäude der Vereinten Nationen in New York City zu gestalten. Der Treuhandrat residierte zusammen mit dem Sicherheitsrat und dem Wirtschafts- und Sozialrat in einem rechteckigen Gebäude am East River. Die Aufgabe des am 26. März 1947 gegründeten Treuhandrates war, die Kolonien Italiens und des Japanischen Reichs sowie das nach dem Ersten Weltkrieg in Völkerbundmandate umgewandelte koloniale Erbe des Deutschen Kaiserreiches und des Osmanischen Reiches zu verwalten. Am 1. November 1994 hat der Treuhandrat mit der Entlassung des letzten Treuhandgebiets Palau seine Arbeit eingestellt.

Für die Innengestaltung der beiden anderen Ratsdomizile wurden der etablierte 68-jährige Norweger Arnstein Arneborg und der 61-jährige Schwede Sven Markelius gewählt. Damit hatte die nordische Designerauswahl die einmalige Möglichkeit den skandinavischen Modernismus einem Weltpublikum zu präsentieren und der Aufstieg des ‚jungen‘ Finn Juhls setzte sich rasant fort, vermutlich diskret protegiert durch seinen Freund Edgar Kaufman und Abel Sorensen.

Die Innengestaltung der Kammer des Treuhandrats durch Finn Juhl wird als sein innenarchitektonisches Meisterstück betrachtet. Der großflächige Saal ist ein über 1000qm großer, aber relativ niedriger Raum, der sich für Juhl schon auf den ersten Blick als schwierig zu bespielen darstellte. Die Lichtquellen waren unregelmäßig verteilt und schwierig in das Deckenkonzept zu integrieren. Das Außenlicht der acht Meter hohen Panoramafenster strömte durch einen dünnen Vorhang, der die Konturen der Gebäude auf der anderen Seite des East Rivers erahnen ließ, aber besonders auch ein Problem mit dem Gegenlicht darstellte. Es ist Juhls großes Verdienst den Saal mit seinem unverwechselbaren und eleganten Design für die Tagungsteilnehmer komfortabel und einladend gestaltet zu haben. Er schuf für die heiklen humanitären Themen des Rats eine Begegnungsstätte, die in einer warmen und herzlichen Atmosphäre persönliche Gespräche in gegenseitigem Respekt förderte. Seine Intention war nicht die Besucher zu beeindrucken, sondern sie in den Raum zu integrieren.

Finn Juhl in der Gegenwart

Nachdem sich über einige Jahrzehnte seine Design-historische Bedeutung verringerte und wenig Interesse an Finn Juhls Möbeln bestand, legte er in den letzten Jahren zusammen mit der nostalgischen Aufmerksamkeit für das skandinavische Wohngefühl, Stichwort Hygge (dänisch für gemütliche, herzliche Atmosphäre), ein beeindruckendes Comeback hin. Das spiegelt sich direkt in den Auktionsrekorden wieder, bei denen erste Exemplare seiner legendären Chieftain-Entwürfe bis zu sechsstellige Euroerlöse erzielen. Sein Design ist ein Mix aus moderner Konstruktion, neuen Techniken und freien Formen, angelehnt an die abstrakte Malerei, und leitete die Nachkriegs-Nierenformästhetik ein. Besonders Juhls Einsatz von Teakholz war über viele Jahre prägend für zahlreiche Designer. Seine modern und gleichzeitig klassisch anmutenden Möbelstücke werten als Blickfang jeden Einrichtungsstil auf.

Die allererste umfassende Monografie über FinnJuhl, einen der einflussreichsten dänischen Design-Pioniere der Moderne, stammt von Christian Bundegaard und enthält eine großzügig illustrierte Übersicht von Juhls Möbeln, Industrie- und Ausstellungsdesigns, Inneneinrichtungen und Gebäuden sowie ein detailliertes Verzeichnis seiner Werke mit Stühlen, Sesseln, Sofas, Hockern, Regalen, Sideboards, Schreibtischen, Tischen, Leuchten und Tischgeschirr.

Beitrag erschienen im Sammler Journal 03/2021.

Titel: Finn Juhl
Autor/en: Christian Bundegaard
ISBN: 0714878065
EAN: 9780714878065

Life, Work, World.
300 farbige Fotos.

Sprache: Englisch
22, 3 cm / 29, 8 cm / 3, 0 cm ( B/H/T ).

Herausgegeben von Christian Bundegaard
Phaidon Verlag GmbH

19. September 2019 – gebunden – 264 Seiten