Veröffentlichungen

100 Jahre Bauhaus – Design und Dasein! (2.Teil)

Das Bauhaus, München und Die Neue Sammlung

Eine Verbindung zwischen dem Bauhaus im thüringischen Weimar und der bayerischen Landeshauptstadt München und hier speziell mit ihrem weltberühmten Designmuseum – Die Neue Sammlung – erschließt sich erst bei genauerer Betrachtung. Mehr Bedeutung als Walter Gropius‘ studentische Vergangenheit in München fällt dabei dem Geschäftssitz des Bauhausverlages, dem publizistischen Sprachrohr der Designschule, in München (neben Weimar) und dem Werben der Stadt München als Standort des Bauhauses nach 1925 zu, das in einem Schreiben an die Stadt Dessau dokumentiert ist. Die Enttäuschung um die vergeblichen Bemühungen um die Ansiedlung des Bauhauses in München wurde durch die Gründung der Neuen Sammlung, die sich seither zu einem der größten und wichtigsten Designmuseen weltweit entwickelt hat, gemildert. Die „Seelenverwandtschaft“ dieser beiden Institutionen, die sich jeweils der Förderung vorbildlichen, modernen Designs verschrieben haben bzw. hatten,  ist die wohl wichtigste Verbindung zwischen dem Bauhaus und München. Die historische Verbundenheit der beiden Häuser beginnt bereits mit den Ankäufen von Bauhaus Objekten bald nach der Gründung des Münchner Design-Museums im Jahr 1925. Der Gründungsdirektor Günther Freiherr von Pechmann, prominenter Förderer der angewandten Kunst der Moderne, erwarb schon 1925 aus der Nürnberger Ausstellung „Neues Deutsches Kunsthandwerk“ fünf Keramiken von Otto Lindig. Dies waren die ersten Bauhausobjekte in den Museumsbeständen. Ihnen folgte im Jahr 1926 u.a. der Ankauf direkt vom Bauhaus Dessau, wie im aktuellen Ausstellungskatalog vermerkt, der Wandbehang Nr. 175 von Anni Albers aus dem Jahr 1925, der zu einem größeren Konvolut weiterer Textilien auch von Gunta Stölzl, Spielzeugen von Alma Buscher und Ludwig Hirschfeld-Mack sowie Metallgegenständen von Wolfgang Tümpel, Otto Rittweger, Josef Knau und Wilhelm Wagenfeld gehörte. In den folgenden Jahrzehnten wurden in unterschiedlicher Intensität, abhängig von Präferenzen des jeweiligen Museumsdirektors, weitere Bauhausobjekte erworben. Unter diesen ragen die Marcel Breuer Möbel von Ludwig Grote, des seit 1924 amtierenden Landeskonservators von Anhalt und tatkräftigem Unterstützer des Bauhauses, heraus. Erst vor wenigen Jahren gelangte mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung der lange Zeit verschollene Scheibenanhänger von Naum Slutzky ein weiteres Highlight in die Museumssammlung, dem noch viele weitere folgen mögen.

Die Ausstellung

Die Neue Sammlung nutzt den 100. Geburtstag des Bauhauses um in einer Ausstellung die aktuelle Bedeutung dieses Experimentallabors der Moderne, in dem nichts als gesetzt galt und alles radikal neu gedacht wurde, zu diskutieren. Die Neue Sammlung zählt zu den wenigen Museen, die den zeitgenössischen Erwerb von Bauhaus Objekten vorweisen können. Durch den direkten Weg aus der Produktion ins Museum weisen diese Objekte einen bestmöglichen Erhaltungszustand auf.

Die Ausstellung „Reflex Bauhaus. 40 objects – 5 conversations“ wurde in Zusammenarbeit mit dem 1972 in Leipzig geborenen und heute in Berlin lebenden Künstler Tilo Schulz entwickelt. Zum ersten Mal werden gemeinsam 40 historische Objekte aus dem eigenen Museumsbestand in München gezeigt. Neben Textilien von Anni Albers und Gunta Stölzl, Leuchten von Christian Dell, Grafik von Herbert Bayer und Lászlo Moholy-Nagy findet sich Keramik von Theodor Bogler und Otto Lindig. Es gibt aber auch Metallarbeiten von Wolfgang Tümpel und Wilhelm Wagenfeld sowie Möbel von Marcel Breuer, Schmuck von Naum Slutzky, Spielzeug von Ludwig Hirschfeld-Mack und Alma Siedhoff-Buscher zu bewundern. Aus konservatorischen Gründen werden Textilien wie auch Grafiken während der Ausstellung ausgetauscht, um einzelne Objekte nicht zu lange Licht und Luft auszusetzen. Dank üppiger Bestände ist dies dem Museum möglich.

Ganz im Geist des Bauhauses wurde diese Ausstellung neu ‚gedacht‘. Das innovative Konzept von Tilo Schulz schafft durch einen ‚Kniff‘ einen besonderen Aktualitätsbezug: Schulz lud fünf zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ein, sich mit je einem Bauhaus-Objekt in der Ausstellung zu beschäftigen und durch den ‚Dialog‘ mit diesem Objekt eine eigenständige, neue Arbeit zu erschaffen, die in der Ausstellung präsentiert wird. Mit diesem spannenden Experiment verknüpft Tilo Schulz Vergangenheit und Gegenwart.

Die Münchner Designerin und Professorin im Bereich Design textiler Produkte an der Kunsthochschule Kassel Ayzit Bostan ‚spricht‘ mit dem Lattenstuhl von Marcel Breuer. Der in der Ausstellung gezeigte entspricht der letzten von drei Versionen, die Breuer zwischen 1922 und 1924 entwickelt hat. Gedacht für die Produktion in großer Stückzahl mit minimalem Material­ und Maschinenaufwand besteht er aus Latten mit einheitlichem Querschnitt und Stoffstreifen aus der Bauhausweberei; entstanden sind am Bauhaus letztendlich aber nur 26 handwerklich gefertigte Exemplare. Entgegen den handelsüblichen zeitgenössischen Sitzmöbeln weist er die ästhetischen Formvorstellungen der Moderne auf, als ergonomische Weiterentwicklung des Stuhls von Gerrit T. Rietveld, einem Mitglied der De­Stijl­Gruppe.

Ayzit Bostan, bekannt für ihre minimalistischen Entwürfe, nimmt sich vom Lattenstuhl nur die schiefe Sitzfläche, die sie verlängert und das Holz der Konstruktion durch Edelstahlrohr, dem Material, aus dem später Breuers bekannteste Möbel entstanden, ersetzt. Zusammen mit den blaugrauen Industriegurten, die wiederum Bezug zu Breuers Stuhl nehmen, entsteht so eine maximal reduzierte 120 cm kurze Liege, die auch ein langer Stuhl sein könnte. Mit diesem Möbel schreitet sie auf dem von Breuer eingeschlagenen Weg der industriellen Serienfertigung voran.

Achsensymmetrische Spiegelungen wie der Buchstabe A oder punktsymmetrische wie der Buchstabe N werden seit alters her von der Geometrie erforscht. Die achsensymmetrische Doppelleuchte Christian Dells, produziert von der Firma Kaiser Leuchten, inspirierte die deutsche Schriftstellerin Barbara Köhler zu dem „Wort-Spiegel-Bild“ EIN ANDERERSEITS. Die in der DDR aufgewachsene Schriftstellerin beschäftigt sich immer wieder mit Kunst und Architektur, wobei sie sprachanalytische Bewegungen auf architektonische Räume überträgt.

Als Werkmeister der Metallwerkstätte (1922 – 1925) war Christian Dell an der Ausführung von Leuchten, u. a. an den 1923 entstandenen Musterstücken für das Haus „Am Horn“ in Weimar, beteiligt. Sein handwerkliches Können führte zu eigenen Entwürfen an der Frankfurter Kunstschule, als Leiter der dortigen Metallwerkstatt. Nach 1934 entwickelte er Arbeitsleuchten für die Firma Gebr. Kaiser & Co. Leuchten KG in Neheim, die dem Geschäftsbereich der Arbeits­ und Zweckleuchten ein neues Erscheinungsbild verleihen sollten. Unter dem Namen „Kaiser idell“, der sowohl auf den Designer als auch auf den Hersteller hinweist,  waren diese rund 50 Jahre erfolgreich auf dem Markt. Kennzeichnend für die „Kaiser idell“ Leuchten sind der leicht konische oder zylindrische Fassungsdom über dem asymmetrisch geschnittenen Reflektor und das variable Kugelgelenk als funktionales Bauteil zwischen Leuchtenhals und Reflektor wie auch bei der Doppelpultleuchte Nr. 6580 ausgeführt.

Der Maler, Dichter und „utopische Architekt“ Hermann Finsterlin, geboren 1887 in München, war zwar nie Schüler oder Lehrer am Bauhaus, stand aber mit Gropius und der Reformschule im Austausch. Er war bestrebt die Architektur mehr als Bau-Kunst im Sinne einer echten Kunst zu verstehen und weniger als einen Bereich der Technik. Diese hatte sich seiner Meinung nach durch einen dominierenden Funktionalitätsanspruch die Architektur unterworfen. Für mehr Sensibilität für Raum, Form und Material entwickelte er 1921/22 drei Baukastensysteme, zur spielerischen Vermittlung seiner Ideen. Am 4. November 1921 ließ er sein „Stilspiel“, bei dem einfache Körper als unzerteilte Formen miteinander kombiniert werden, und seinen „Baukasten für Zukunfts­Stil“ in der Gebrauchsmusterrolle des Reichspatentamts in Berlin schützen. Bei dem unter der Bezeichnung „Bauelement“ ebenfalls angemeldeten Baukasten  handelte es sich wahrscheinlich um „Didyms“ (didym = doppelt) oder „Durchdringungen“, die die „Combination der verschiedenen Grundkörper“ ermöglicht. Die Durchdringung und Verschmelzung zweier stereometrischer Grundkörper wie etwa Kugel, Kegel oder Zylinder diente zur Sensibilisierung gegenüber Bauformen und Proportionen von Körpern sowie der Visualisierung der räumlichen Wirkung. Jede durch die Verschmelzung neu entstandene Fläche hat dabei eine spiegelbildliche Entsprechung.

Die in Budapest, Kopenhagen und Wien ausgebildete dänische Künstlerin Sofie Thorsen arbeitet mit den „Didyms“ und betrachtet diese hinsichtlich Raum und Volumen. Finsterlins „Didyms“ finden sich bei ihr in übergeordneten, aus gebogenen Drähten gefertigten Objekten, bei denen einzelne Linien mit Gips und Farbe überzogen werden. Für Finsterlin sind Bauwerke lebendige Organismen, die die Bewohner prägen, aber umgekehrt auch von den Menschen geformt werden. An diese Wechselwirkung erinnern die Objekte von Sofie Thorsen, wenn sie in ihnen die Didyms platziert und so die streng kristallinen Formen Finsterlins aufbricht und das künstlerische Potenzial des Spiels heraus arbeitet.

Vom Kinder-Bauklötze Spiel zum Spiel der Könige: Schach, das Jahrhunderte alte strategische Brettspiel, wurde auch am Bauhaus dessen gestalterischen Vorgaben unterzogen. Ausgehend von den geometrischen Körpern Würfel und Kugel, einzeln oder in Kombination, entwarf der Bildhauer Josef Hartwig ein Schachspiel. Seine Spielfiguren reduziert er auf abstrakte Formen. Diese funktionieren selbsterklärend ohne Ornamente oder figürliche Anleihen. Das Volumen entspricht dem Wert der Figuren, aus ihrer Form leiten sich einfach und logisch ihre Zugregeln ab. Bauer und Turm dürfen sich nur parallel zu den Spielfeldgrenzen bewegen, entsprechend sind sie Würfel, der Turm seinem Wert entsprechend größer als der Bauer. Ähnlich erklärt sich die Dame, die als Figur mit den meisten Freiheitsgraden aus Würfel und Kugel besteht. König, Läufer und Springer erschließen sich analog. Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1924 wurde das Spiel erstmals vorgestellt, das in drei Varianten mit zu den erfolgreichsten Bauhaus-Spielen zählt. Zwar verwahrt die Neue Sammlung nur die preisgünstigste Variante Modell XVI, jedoch wohl die einzige komplette mit dem zugehörigen Spielbrett aus Karton. Von Joost Schmidt, einem anderen Bauhausmeister, wurden die Kartonschachteln mit der Aufschrift „Das moderne Schachspiel“ bzw. „Das Bauhaus Schachspiel“ gestaltet, von denen ebenfalls nur noch wenige Exemplare, wie das der Neuen Sammlung, existieren.

Der japanische Komponist und Klangkünstler Junya Oikawa schuf basierend auf diesem abstrakten Schachspiel die interaktive Klanginstallation „reflected moment – das bauhaus schachspiel“, mit der er neben der spielerischen Ebene des Schachs eine weitere Wahrnehmungsebene zwischen Bewusstem und Unbewusstem zugänglich macht. Er verwendet ein reduziertes klangliches Ausgangsmaterial, das der minimalistischen Funktionalität des Bauhaus­Schachbretts entspricht. Den Besuchern öffnet sich die Installation mit 3D-Kopfhörern.

Die fünfte und letzte Konversation findet zwischen zwei Damen statt. Auf Bauhaus Seite ist dies Gunta Stölzl, die sich der jahrelangen Kritik von Direktor Gropius annahm, und in den Textil-Werkstätten die Produktion und Entwicklung von textiler Meterware für die Industrie anstelle der kunstgewerblichen Einzelerzeugnisse forcierte. Der Forderung von Gropius entsprechend gestaltete sie den Dekorationsstoff Nr. 539, der unterschiedlich farbige und breite Horizontal­ und Vertikalstreifen aufweist.

Die indische Architektin Anupama Kundoo wurde 1967 in Pune im indischen Bundesstaat Maharashtra geboren. So wie am Bauhaus aus kunstgewerblichen Textilien industrielle Massenware wurde, nutzt Kundoo lokale Handwerkstraditionen und –techniken, um sozial engagierte Architektur für viele zu entwerfen, ästhetisch und an das regionale Klima angepasst. Beispielhaft ist ihr eigenes „Wall House“ genanntes Zuhause in Auroville, einer 1968 gegründeten Planstadt. Das im Jahr 2000 in low-tech-Bauweise aus den traditionellen, teilweise recycelten Baustoffen Holz und Ziegel gebaute Haus verschränkt Innen und Außen; ein Gewölbe aus ineinandergesteckten Tonröhren dient gleichzeitig als Überdachung des Außenraums. Auffällige Tonkrüge sind aus thermischen und statischen Überlegungen in die Decke integriert. Diese kostengünstige und nachhaltige Architektur, die zum do-it-yourself der künftigen Bewohner einlädt, wirkt nach Meinung der Architektin im Gegensatz zur grünen High-Tech-Architektur der Segregation der indischen Bevölkerung entgegen. In der Ausstellung sind Materialmuster und Bauelemente des „Wall House“ zu besichtigen.

Bauhaus wirkt noch heute?

Totgesagte leben länger! Nach der Auflösung durch die Nationalsozialisten war das Thema Bauhaus zumindest in Deutschland erledigt. Die emigrierenden, weil verfolgten, Bauhauslehrer nahmen die Ideen des Bauhauses aber mit in ihre neuen Heimaten, wo sie sich weiter entwickeln konnten. Als beispielhaft gilt das weltweit größte Ensemble von etwa 4000 Bauhaus Gebäuden in der „Weißen Stadt“ in Tel Aviv. Die geflohenen Bauhäusler schufen hier den so genannten Internationalen Stil auf Basis der Bauhaus Ideale, aber angepasst an das Klima sowie die Kultur und erweitert durch andere Vorbilder wie Le Corbusier. Die weltweite Popularität des Bauhauses ist letztendlich der politischen Verfolgung seiner Protagonisten in Deutschland zu verdanken. Nach dem 2. Weltkrieg fanden sich Weimar und Dessau in Ostdeutschland wieder, wo es wenig Interesse an einer Revitalisierung gab. In Westdeutschland produzierte man unter der verkaufsfördernden Bezeichnung ‚Bauhaus Klassiker‘ einige Entwürfe wie die Wagenfeld-Leuchte oder die Breuer Stühle. Erst nach der Wiedervereinigung besann sich Deutschland des wertvollen kulturellen Erbes und machte sich an die Renovierung und Rekonstruktion der historischen Stätten, die inzwischen zu Wallfahrtsorten der Bauhaus Anhänger wurden. Für den Reiseführer Lonely Planet ist Deutschland im Jahr 2019 weltweit das zweitbeste Reiseziel, da man hier an den originalen Stätten das Bauhaus Jubiläum mitfeiern kann.

100 Jahre nach seiner Geburt, die den Weg in die Moderne wies, erfreut sich das Bauhaus allgemeiner Bekanntheit und Beliebtheit. Es steht stellvertretend für vernünftig und zweckmäßig. Sein geometrisch gegliedertes Produktdesign besticht durch Funktionalität und den Verzicht auf überflüssige Ornamente. Auch in der aktuellen Architektur hat es Vorbildcharakter. Das Zauberwort Bauhaus wird wann immer möglich zur Image Veredelung neuer Produkte heran gezogen. Bauhaus ist aber mehr als ein billiger Werbespruch, es ist als die Fähigkeit neu und ohne selbst auferlegte Schranken zu denken heute aktueller und notwendiger denn je: gute, erschwingliche und nachhaltige Produkte und Bauten dürften sich gerne auf das Bauhaus beziehen. „Nur eine Idee hat die Kraft, sich so weit zu verbreiten.“ wusste schon der dritte und letzte Bauhaus Direktor Ludwig Mies van der Rohe. Man darf sich schon auf den 200. Geburtstag freuen!

  • Das Bauhaus, München und Die Neue Sammlung
  • Die Ausstellung
  • Bauhaus wirkt noch heute?